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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Reife und bei einer Virtuosität, die damals kein Gleichzeitiger hatte, die heilige
Unschuld seiner Begeisterung fühlt. Man darf, man muß sagen, daß man diesen
Naturgrößen, bilduugsernsteu Geist kaum aus irgend einer andern seiner noch
vorhandenen Arbeiten in gleicher Fülle und Reinheit kennen lernen, und daß
man von seinem größten Werk nur uoch aus diesen Pastellbildern den wahren
Begriff erhalten kann.

Das Wandgemälde selbst, welches Leonardo 1498 oder 99 vollendet hat,
war bekanntlich schon SO Jahre nachher durch die Feuchtigkeit der Wand halb
verdorben, ucich weiteren 30 Jahren fast unkenntlich, verblichen, verdunkelt, theil¬
weise abgesprungen und abgefallen von der Mauer. Hierauf war es, daß
Bianchi Vespiuo, vom Cardinal Borromeo beauftragt, auf einzelnen, erst schlie߬
lich zusammengesetzten Leinwandstücken die gleichgroße Copie in Oel malte. Ver¬
gebens. Denn theils konnte er, was er malen sollte, nicht sehen, theils, was er
sehen konnte, nicht malen. Das Original aber wurde, nachdem weitere 100
Jahre daran gezehrt und gewaltsame Beschädigungen es noch mehr entstellt hat¬
ten, zuerst von Bellotti (1726) anstatt restaurirt, derb übermalt, dann von Mazza
(1770) mit Eisen bekratzt und nen bedeckt, so daß, der ferneren Unbilden durch
französische Soldaten und durch Überschwemmung zu geschweigen, jetzt vou Leo-
nardo's Hand Nichts mehr daran zu gewahren ist, als etwa das Tischtuch und
ein Paar Stellen der Lust. Bossi, 1807 vom Vicekönig Eugen beauftragt, mit
allen anfzutreibenden Mitteln Leonardo's Bild, in gleicher Größe nachzuahmen,
war nach Anlage und Gewöhnung nicht der Mann dazu. Er hielt sich entschie¬
den an die unglückliche Copie vou Vespiuo. sein fremdartiges Bild war die
Grundlage des Rieseumosaiks von Nafaelli, welches sich jetzt in Wien befindet.
Was noch übrig war, um einen nähern Begriff des Originals zu geben, das
sind die zwei Copien des Abendmahls von einem Schüler Leonardo's, dem Marco
d'Oggione, die eine in Fresco im Speisesaal des Klosters Castellazzo (Haupt¬
grundlage des Kupferstichs vou Morgheu), die andere in Oel für den Speisesaal
der Karthause zu Pavia gemalt, jetzt in der Akademie d. K. zu Loudon (gesto¬
chen von I. Frey); ferner die Oelcopie in der Kirche zu Ponte Capriasca, dem
Pietro Luini (Sohn des Hanptschülers von Leonardo) zugeschrieben. Diese drei
Schulcopieu haben naturgroße, das Londoner Bild etwa wenig darüber, während
in Leonardo's Bild die Figuren anderthalbmal lebensgroß waren. Noch ist zu
nennen der dem Sontman beigelegte Kupferstich nach einer Zeichnung, die Ru¬
bens von Leonardo's Abendmahl gemacht. Die Uebereinstimmung der drei Schul¬
copieu und der Zeichnung vou Rubens, was die Stellungen, die Kopflagen, die
Motive der Hände und Verkettung der Composition betrifft, ist von Werth, und
zeugt in mehrfacher Beziehung gegen Vespino'S und Bossi's Annahmen. DieGesichter-
Liueamente sind, einzeln genommen, in den Copien des Marco d'Oggione und des
Pietro Luini (von welchen die Weimarische Kunstsammlung Durchzeichnungen besitzt)


Reife und bei einer Virtuosität, die damals kein Gleichzeitiger hatte, die heilige
Unschuld seiner Begeisterung fühlt. Man darf, man muß sagen, daß man diesen
Naturgrößen, bilduugsernsteu Geist kaum aus irgend einer andern seiner noch
vorhandenen Arbeiten in gleicher Fülle und Reinheit kennen lernen, und daß
man von seinem größten Werk nur uoch aus diesen Pastellbildern den wahren
Begriff erhalten kann.

Das Wandgemälde selbst, welches Leonardo 1498 oder 99 vollendet hat,
war bekanntlich schon SO Jahre nachher durch die Feuchtigkeit der Wand halb
verdorben, ucich weiteren 30 Jahren fast unkenntlich, verblichen, verdunkelt, theil¬
weise abgesprungen und abgefallen von der Mauer. Hierauf war es, daß
Bianchi Vespiuo, vom Cardinal Borromeo beauftragt, auf einzelnen, erst schlie߬
lich zusammengesetzten Leinwandstücken die gleichgroße Copie in Oel malte. Ver¬
gebens. Denn theils konnte er, was er malen sollte, nicht sehen, theils, was er
sehen konnte, nicht malen. Das Original aber wurde, nachdem weitere 100
Jahre daran gezehrt und gewaltsame Beschädigungen es noch mehr entstellt hat¬
ten, zuerst von Bellotti (1726) anstatt restaurirt, derb übermalt, dann von Mazza
(1770) mit Eisen bekratzt und nen bedeckt, so daß, der ferneren Unbilden durch
französische Soldaten und durch Überschwemmung zu geschweigen, jetzt vou Leo-
nardo's Hand Nichts mehr daran zu gewahren ist, als etwa das Tischtuch und
ein Paar Stellen der Lust. Bossi, 1807 vom Vicekönig Eugen beauftragt, mit
allen anfzutreibenden Mitteln Leonardo's Bild, in gleicher Größe nachzuahmen,
war nach Anlage und Gewöhnung nicht der Mann dazu. Er hielt sich entschie¬
den an die unglückliche Copie vou Vespiuo. sein fremdartiges Bild war die
Grundlage des Rieseumosaiks von Nafaelli, welches sich jetzt in Wien befindet.
Was noch übrig war, um einen nähern Begriff des Originals zu geben, das
sind die zwei Copien des Abendmahls von einem Schüler Leonardo's, dem Marco
d'Oggione, die eine in Fresco im Speisesaal des Klosters Castellazzo (Haupt¬
grundlage des Kupferstichs vou Morgheu), die andere in Oel für den Speisesaal
der Karthause zu Pavia gemalt, jetzt in der Akademie d. K. zu Loudon (gesto¬
chen von I. Frey); ferner die Oelcopie in der Kirche zu Ponte Capriasca, dem
Pietro Luini (Sohn des Hanptschülers von Leonardo) zugeschrieben. Diese drei
Schulcopieu haben naturgroße, das Londoner Bild etwa wenig darüber, während
in Leonardo's Bild die Figuren anderthalbmal lebensgroß waren. Noch ist zu
nennen der dem Sontman beigelegte Kupferstich nach einer Zeichnung, die Ru¬
bens von Leonardo's Abendmahl gemacht. Die Uebereinstimmung der drei Schul¬
copieu und der Zeichnung vou Rubens, was die Stellungen, die Kopflagen, die
Motive der Hände und Verkettung der Composition betrifft, ist von Werth, und
zeugt in mehrfacher Beziehung gegen Vespino'S und Bossi's Annahmen. DieGesichter-
Liueamente sind, einzeln genommen, in den Copien des Marco d'Oggione und des
Pietro Luini (von welchen die Weimarische Kunstsammlung Durchzeichnungen besitzt)


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[0273] Reife und bei einer Virtuosität, die damals kein Gleichzeitiger hatte, die heilige Unschuld seiner Begeisterung fühlt. Man darf, man muß sagen, daß man diesen Naturgrößen, bilduugsernsteu Geist kaum aus irgend einer andern seiner noch vorhandenen Arbeiten in gleicher Fülle und Reinheit kennen lernen, und daß man von seinem größten Werk nur uoch aus diesen Pastellbildern den wahren Begriff erhalten kann. Das Wandgemälde selbst, welches Leonardo 1498 oder 99 vollendet hat, war bekanntlich schon SO Jahre nachher durch die Feuchtigkeit der Wand halb verdorben, ucich weiteren 30 Jahren fast unkenntlich, verblichen, verdunkelt, theil¬ weise abgesprungen und abgefallen von der Mauer. Hierauf war es, daß Bianchi Vespiuo, vom Cardinal Borromeo beauftragt, auf einzelnen, erst schlie߬ lich zusammengesetzten Leinwandstücken die gleichgroße Copie in Oel malte. Ver¬ gebens. Denn theils konnte er, was er malen sollte, nicht sehen, theils, was er sehen konnte, nicht malen. Das Original aber wurde, nachdem weitere 100 Jahre daran gezehrt und gewaltsame Beschädigungen es noch mehr entstellt hat¬ ten, zuerst von Bellotti (1726) anstatt restaurirt, derb übermalt, dann von Mazza (1770) mit Eisen bekratzt und nen bedeckt, so daß, der ferneren Unbilden durch französische Soldaten und durch Überschwemmung zu geschweigen, jetzt vou Leo- nardo's Hand Nichts mehr daran zu gewahren ist, als etwa das Tischtuch und ein Paar Stellen der Lust. Bossi, 1807 vom Vicekönig Eugen beauftragt, mit allen anfzutreibenden Mitteln Leonardo's Bild, in gleicher Größe nachzuahmen, war nach Anlage und Gewöhnung nicht der Mann dazu. Er hielt sich entschie¬ den an die unglückliche Copie vou Vespiuo. sein fremdartiges Bild war die Grundlage des Rieseumosaiks von Nafaelli, welches sich jetzt in Wien befindet. Was noch übrig war, um einen nähern Begriff des Originals zu geben, das sind die zwei Copien des Abendmahls von einem Schüler Leonardo's, dem Marco d'Oggione, die eine in Fresco im Speisesaal des Klosters Castellazzo (Haupt¬ grundlage des Kupferstichs vou Morgheu), die andere in Oel für den Speisesaal der Karthause zu Pavia gemalt, jetzt in der Akademie d. K. zu Loudon (gesto¬ chen von I. Frey); ferner die Oelcopie in der Kirche zu Ponte Capriasca, dem Pietro Luini (Sohn des Hanptschülers von Leonardo) zugeschrieben. Diese drei Schulcopieu haben naturgroße, das Londoner Bild etwa wenig darüber, während in Leonardo's Bild die Figuren anderthalbmal lebensgroß waren. Noch ist zu nennen der dem Sontman beigelegte Kupferstich nach einer Zeichnung, die Ru¬ bens von Leonardo's Abendmahl gemacht. Die Uebereinstimmung der drei Schul¬ copieu und der Zeichnung vou Rubens, was die Stellungen, die Kopflagen, die Motive der Hände und Verkettung der Composition betrifft, ist von Werth, und zeugt in mehrfacher Beziehung gegen Vespino'S und Bossi's Annahmen. DieGesichter- Liueamente sind, einzeln genommen, in den Copien des Marco d'Oggione und des Pietro Luini (von welchen die Weimarische Kunstsammlung Durchzeichnungen besitzt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/273>, abgerufen am 22.07.2024.