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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Frieden, welchen er über die ganze Natur ausbreitet, auch ins Herz des Men¬
schen, und wie die Empfindung desselben auch den frommen Gebrauch der Kirche
hervorgerufen hat, so erweist sich seine Macht stets von Neuem als eine un¬
mittelbar und unwillkürlich wirkende. So sehr nun Richter Meister ist, die
Grundstimmungen in allen Schattirungen festzuhalten, so zeigt sich sein tiefer
und wahrer Naturstnn ganz besonders darin, daß er auch durch das scheinbar Zu¬
fällige und nicht unmittelbar dem nächsten Zweck Dienende in Wahrheit doch
die Hauptstimmung von einer andern Seite her neu begründet. Auch die
Natur arbeitet nicht so einseitig auf einen Zweck hin, daß sie nicht mit reicher
Hand nach allen Seiten hin zugleich Geschöpfen aller Art Leben und Freude
verliehe. Aber es gehört ein seiner Sinn dazu, hierin der Natur nachzufolgen,
und weder ängstlich besorgt um die Einheit pedantisch zu verschneiden, was
gern knospen und blühen möchte, noch in der bunten' Mannichfaltigkeit Hal¬
tung und Maß zu verlieren. Auf unsrem Bilde sehen wir noch im Vorder¬
grunde im Schatten des Baums eine Gruppe von drei Kindern. Ein kleines
Mädchen spielt mit einem Lamm, ihr sieht ein Knabe zu, der sich bequem ge¬
lagert hat; ein drittes Mädchen hat sich in die Knie aufgerichtet und zeigt auf
den Baum hin, in dessen hohlem Stamm sich zwei kleine Kameraden versteckt
haben, die sie nun entdeckt. Diese unschuldige Freude der Kinder, auf denen
die Hitze des Tages nicht gelastet hat, im kühlen Schatten, denen der ehrwür¬
dige Baum, um den sich die fromme Andacht sammelt, zum harmlosen Spiel
dient, vollendet erst den reichen und doch so reinen Eindruck des ernst-heiteren
Friedens, welchen ein schöner Sommerabend der Natur und den Men¬
schen bringt.

Einen ähnlichen Reichthum individueller Motive, die im Ganzen harmonisch
aufgehen, zeigt das Gemälde des Schreckensteins, welches v. Quandt be¬
schreibt: "Der hohe, von altem Gemäuer gekrönte Schreckenstein erhebt sein
stolzes Haupt, welches noch vom Licht der Sonne glänzt, die hinter waldige Berge
hinabsank und den Thalbewohnern verschwand. Am Fuß des schroffen Felsen
breitet sich hier die Elbe wie ein stiller See aus, und ein alter Schiffer führt
Menschen von höchst verschiedener Sinnesart in seinem Kahn an das jen¬
seitige User hinüber; ein Kind, welches mit einem grünen Zweige im Wasser
harmlos spielt, ein ländliches, in stummer Seligkeit versunkenes Brautpaar,
das einen greisen Harfner wohl kaum vernimmt, der alte Volkslieder singt,
und einen jungen Mann, der nachdenklich zuhört, indeß sein Reisegefährte,
welcher ein wandernder Künstler zu sein scheint, zu den Ruinen mit einem Aus-,
druck romantischen Schmerzes über die verlorene Heidenzeit hinausblickt. Auch
ist ein Mädchen im Kahn, das ruhig neben ihrem Graskorb steht, mit großen
Augen in die Welt hineinblickt, und sich um Nichts kümmert, was um und
neben ihr vorgeht, weil sie sich selbst und Andere noch nicht versteht."


Frieden, welchen er über die ganze Natur ausbreitet, auch ins Herz des Men¬
schen, und wie die Empfindung desselben auch den frommen Gebrauch der Kirche
hervorgerufen hat, so erweist sich seine Macht stets von Neuem als eine un¬
mittelbar und unwillkürlich wirkende. So sehr nun Richter Meister ist, die
Grundstimmungen in allen Schattirungen festzuhalten, so zeigt sich sein tiefer
und wahrer Naturstnn ganz besonders darin, daß er auch durch das scheinbar Zu¬
fällige und nicht unmittelbar dem nächsten Zweck Dienende in Wahrheit doch
die Hauptstimmung von einer andern Seite her neu begründet. Auch die
Natur arbeitet nicht so einseitig auf einen Zweck hin, daß sie nicht mit reicher
Hand nach allen Seiten hin zugleich Geschöpfen aller Art Leben und Freude
verliehe. Aber es gehört ein seiner Sinn dazu, hierin der Natur nachzufolgen,
und weder ängstlich besorgt um die Einheit pedantisch zu verschneiden, was
gern knospen und blühen möchte, noch in der bunten' Mannichfaltigkeit Hal¬
tung und Maß zu verlieren. Auf unsrem Bilde sehen wir noch im Vorder¬
grunde im Schatten des Baums eine Gruppe von drei Kindern. Ein kleines
Mädchen spielt mit einem Lamm, ihr sieht ein Knabe zu, der sich bequem ge¬
lagert hat; ein drittes Mädchen hat sich in die Knie aufgerichtet und zeigt auf
den Baum hin, in dessen hohlem Stamm sich zwei kleine Kameraden versteckt
haben, die sie nun entdeckt. Diese unschuldige Freude der Kinder, auf denen
die Hitze des Tages nicht gelastet hat, im kühlen Schatten, denen der ehrwür¬
dige Baum, um den sich die fromme Andacht sammelt, zum harmlosen Spiel
dient, vollendet erst den reichen und doch so reinen Eindruck des ernst-heiteren
Friedens, welchen ein schöner Sommerabend der Natur und den Men¬
schen bringt.

Einen ähnlichen Reichthum individueller Motive, die im Ganzen harmonisch
aufgehen, zeigt das Gemälde des Schreckensteins, welches v. Quandt be¬
schreibt: „Der hohe, von altem Gemäuer gekrönte Schreckenstein erhebt sein
stolzes Haupt, welches noch vom Licht der Sonne glänzt, die hinter waldige Berge
hinabsank und den Thalbewohnern verschwand. Am Fuß des schroffen Felsen
breitet sich hier die Elbe wie ein stiller See aus, und ein alter Schiffer führt
Menschen von höchst verschiedener Sinnesart in seinem Kahn an das jen¬
seitige User hinüber; ein Kind, welches mit einem grünen Zweige im Wasser
harmlos spielt, ein ländliches, in stummer Seligkeit versunkenes Brautpaar,
das einen greisen Harfner wohl kaum vernimmt, der alte Volkslieder singt,
und einen jungen Mann, der nachdenklich zuhört, indeß sein Reisegefährte,
welcher ein wandernder Künstler zu sein scheint, zu den Ruinen mit einem Aus-,
druck romantischen Schmerzes über die verlorene Heidenzeit hinausblickt. Auch
ist ein Mädchen im Kahn, das ruhig neben ihrem Graskorb steht, mit großen
Augen in die Welt hineinblickt, und sich um Nichts kümmert, was um und
neben ihr vorgeht, weil sie sich selbst und Andere noch nicht versteht."


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[0217] Frieden, welchen er über die ganze Natur ausbreitet, auch ins Herz des Men¬ schen, und wie die Empfindung desselben auch den frommen Gebrauch der Kirche hervorgerufen hat, so erweist sich seine Macht stets von Neuem als eine un¬ mittelbar und unwillkürlich wirkende. So sehr nun Richter Meister ist, die Grundstimmungen in allen Schattirungen festzuhalten, so zeigt sich sein tiefer und wahrer Naturstnn ganz besonders darin, daß er auch durch das scheinbar Zu¬ fällige und nicht unmittelbar dem nächsten Zweck Dienende in Wahrheit doch die Hauptstimmung von einer andern Seite her neu begründet. Auch die Natur arbeitet nicht so einseitig auf einen Zweck hin, daß sie nicht mit reicher Hand nach allen Seiten hin zugleich Geschöpfen aller Art Leben und Freude verliehe. Aber es gehört ein seiner Sinn dazu, hierin der Natur nachzufolgen, und weder ängstlich besorgt um die Einheit pedantisch zu verschneiden, was gern knospen und blühen möchte, noch in der bunten' Mannichfaltigkeit Hal¬ tung und Maß zu verlieren. Auf unsrem Bilde sehen wir noch im Vorder¬ grunde im Schatten des Baums eine Gruppe von drei Kindern. Ein kleines Mädchen spielt mit einem Lamm, ihr sieht ein Knabe zu, der sich bequem ge¬ lagert hat; ein drittes Mädchen hat sich in die Knie aufgerichtet und zeigt auf den Baum hin, in dessen hohlem Stamm sich zwei kleine Kameraden versteckt haben, die sie nun entdeckt. Diese unschuldige Freude der Kinder, auf denen die Hitze des Tages nicht gelastet hat, im kühlen Schatten, denen der ehrwür¬ dige Baum, um den sich die fromme Andacht sammelt, zum harmlosen Spiel dient, vollendet erst den reichen und doch so reinen Eindruck des ernst-heiteren Friedens, welchen ein schöner Sommerabend der Natur und den Men¬ schen bringt. Einen ähnlichen Reichthum individueller Motive, die im Ganzen harmonisch aufgehen, zeigt das Gemälde des Schreckensteins, welches v. Quandt be¬ schreibt: „Der hohe, von altem Gemäuer gekrönte Schreckenstein erhebt sein stolzes Haupt, welches noch vom Licht der Sonne glänzt, die hinter waldige Berge hinabsank und den Thalbewohnern verschwand. Am Fuß des schroffen Felsen breitet sich hier die Elbe wie ein stiller See aus, und ein alter Schiffer führt Menschen von höchst verschiedener Sinnesart in seinem Kahn an das jen¬ seitige User hinüber; ein Kind, welches mit einem grünen Zweige im Wasser harmlos spielt, ein ländliches, in stummer Seligkeit versunkenes Brautpaar, das einen greisen Harfner wohl kaum vernimmt, der alte Volkslieder singt, und einen jungen Mann, der nachdenklich zuhört, indeß sein Reisegefährte, welcher ein wandernder Künstler zu sein scheint, zu den Ruinen mit einem Aus-, druck romantischen Schmerzes über die verlorene Heidenzeit hinausblickt. Auch ist ein Mädchen im Kahn, das ruhig neben ihrem Graskorb steht, mit großen Augen in die Welt hineinblickt, und sich um Nichts kümmert, was um und neben ihr vorgeht, weil sie sich selbst und Andere noch nicht versteht."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/217>, abgerufen am 22.07.2024.