Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Es ist in der Natur der Sache begründet, daß das Verhältniß zwischen
Natur und Menschen verschieden modificirt erscheint, bald die eine bald die
andere Seite mehr hervortritt, ohne daß je eine von beiden geradezu subordinire er¬
scheint, wodurch die Einheit gestört werden würde, die auf der gegenseitigen
Durchdringung beider beruht, welche ohne gegenseitiges Maßhalten nicht dar¬
gestellt werden könnte. Dadurch ist also auch die Eigenthümlichkeit der Com-
position wie der technischen Ausführung bedingt. Der Platz, welchen in Richters
Bildern der Mensch einnimmt, verlangt nothwendig eine sorgfältigere, mit Liebe
das Individuelle darstellende Behandlung, als sie der gewöhnlichen Staffage
zu Theil wird, ohne die Sauberkeit einer detaillirten Ausführung zu erreichen,
wie es das Genre erfordert, welche dem Gesammteindruck schaden, wie eine zu
oberflächliche Behandlung ihn verdunkeln würde. Eben so verlangtauch das Land¬
schaftliche durch die unmittelbare Beziehung auf die menschlichen Figuren eine
eigenthümliche Behandlung, die jenen ihren vollen Werth läßt. Wie schon
bemerkt, wird der volle Eindruck der Landschaft in Form und Farbe dadurch in
keiner Weise geschwächt, bildet vielmehr den Grundton des Ganzen. Ueber die
Technik im Einzelnen zu sprechen, ist nicht meines Amtes, noch dieses -Orts.
Aber das darf man sagen, Richter ist ein Maler und besitzt die Herrschaft über
die Mittel seiner Kunst, ohne die Niemand ein Künstler ist; aber die Freude
an der Technik als solcher ist seiner Natur fremd und daher hat er es wohl zu
dem, was sich als Virtuosität in der Technik bezeichnen läßt, nicht bringen wollen,
noch können. Dieses, wie die unglaubliche Fruchtbarkeit seiner Erfindung und
die Freude am Componiren mögen neben äußeren Gründen wohl dazu beigetragen
haben, daß er in den letzten Jahren vorzugsweise auf einem Gebiet thätig ge¬
wesen ist, wo ihm dieser Genuß des Schaffens leicht und rasch geboten wird.

Nach seiner Rückkehr aus Italien kehrte Richter mit Vorliebe auch zum
Radiren zurück, und bearbeitete mehrere Folgen tyroler und italienischer Land¬
schaften. Auch die ersten Jahrgänge der Bilderchronik des sächsischen Kunstver-
eins, die deutschen Dichtungen mit Randzeichnungen deutscher Künstler ent¬
halten treffliche Radirungen von ihm, andere sind sonst zerstreut. Zu dem Be¬
deutendsten dieser Art gehören ohne alle Frage die beiden großen Blätter, welche
Richter im Jahr 18/18 für den Sachs. Kunstverein radirte. Die eine Composttion stellt
Rübezahl vor, welcher vor der Frau erscheint, die dem schreienden Kinde mit dem
Berggeist gedroht hatte. Nichts kann ansprechender sein, als die Wahrheit und
Treuherzigkeit in den furchtsamen Kindern, die sich um die Mutter schaaren, welche
entschlossen und muthig den innern Schrecken bemeistert, und der kecke Humor
in der derben Gestalt des Berggeistes, der die Hand nach dem Schreihals aus¬
streckt. Und zwischen ihnen liegt auf der Erde das kleinste Kind in unbefan¬
gener Lust: man kann nichts Reizenderes und Naiveres sehen. Die Scene
geht vor in einer hohen Gebirgslandschaft, mit Bäumen bewachsen, durch die


Es ist in der Natur der Sache begründet, daß das Verhältniß zwischen
Natur und Menschen verschieden modificirt erscheint, bald die eine bald die
andere Seite mehr hervortritt, ohne daß je eine von beiden geradezu subordinire er¬
scheint, wodurch die Einheit gestört werden würde, die auf der gegenseitigen
Durchdringung beider beruht, welche ohne gegenseitiges Maßhalten nicht dar¬
gestellt werden könnte. Dadurch ist also auch die Eigenthümlichkeit der Com-
position wie der technischen Ausführung bedingt. Der Platz, welchen in Richters
Bildern der Mensch einnimmt, verlangt nothwendig eine sorgfältigere, mit Liebe
das Individuelle darstellende Behandlung, als sie der gewöhnlichen Staffage
zu Theil wird, ohne die Sauberkeit einer detaillirten Ausführung zu erreichen,
wie es das Genre erfordert, welche dem Gesammteindruck schaden, wie eine zu
oberflächliche Behandlung ihn verdunkeln würde. Eben so verlangtauch das Land¬
schaftliche durch die unmittelbare Beziehung auf die menschlichen Figuren eine
eigenthümliche Behandlung, die jenen ihren vollen Werth läßt. Wie schon
bemerkt, wird der volle Eindruck der Landschaft in Form und Farbe dadurch in
keiner Weise geschwächt, bildet vielmehr den Grundton des Ganzen. Ueber die
Technik im Einzelnen zu sprechen, ist nicht meines Amtes, noch dieses -Orts.
Aber das darf man sagen, Richter ist ein Maler und besitzt die Herrschaft über
die Mittel seiner Kunst, ohne die Niemand ein Künstler ist; aber die Freude
an der Technik als solcher ist seiner Natur fremd und daher hat er es wohl zu
dem, was sich als Virtuosität in der Technik bezeichnen läßt, nicht bringen wollen,
noch können. Dieses, wie die unglaubliche Fruchtbarkeit seiner Erfindung und
die Freude am Componiren mögen neben äußeren Gründen wohl dazu beigetragen
haben, daß er in den letzten Jahren vorzugsweise auf einem Gebiet thätig ge¬
wesen ist, wo ihm dieser Genuß des Schaffens leicht und rasch geboten wird.

Nach seiner Rückkehr aus Italien kehrte Richter mit Vorliebe auch zum
Radiren zurück, und bearbeitete mehrere Folgen tyroler und italienischer Land¬
schaften. Auch die ersten Jahrgänge der Bilderchronik des sächsischen Kunstver-
eins, die deutschen Dichtungen mit Randzeichnungen deutscher Künstler ent¬
halten treffliche Radirungen von ihm, andere sind sonst zerstreut. Zu dem Be¬
deutendsten dieser Art gehören ohne alle Frage die beiden großen Blätter, welche
Richter im Jahr 18/18 für den Sachs. Kunstverein radirte. Die eine Composttion stellt
Rübezahl vor, welcher vor der Frau erscheint, die dem schreienden Kinde mit dem
Berggeist gedroht hatte. Nichts kann ansprechender sein, als die Wahrheit und
Treuherzigkeit in den furchtsamen Kindern, die sich um die Mutter schaaren, welche
entschlossen und muthig den innern Schrecken bemeistert, und der kecke Humor
in der derben Gestalt des Berggeistes, der die Hand nach dem Schreihals aus¬
streckt. Und zwischen ihnen liegt auf der Erde das kleinste Kind in unbefan¬
gener Lust: man kann nichts Reizenderes und Naiveres sehen. Die Scene
geht vor in einer hohen Gebirgslandschaft, mit Bäumen bewachsen, durch die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0218" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93583"/>
          <p xml:id="ID_610"> Es ist in der Natur der Sache begründet, daß das Verhältniß zwischen<lb/>
Natur und Menschen verschieden modificirt erscheint, bald die eine bald die<lb/>
andere Seite mehr hervortritt, ohne daß je eine von beiden geradezu subordinire er¬<lb/>
scheint, wodurch die Einheit gestört werden würde, die auf der gegenseitigen<lb/>
Durchdringung beider beruht, welche ohne gegenseitiges Maßhalten nicht dar¬<lb/>
gestellt werden könnte. Dadurch ist also auch die Eigenthümlichkeit der Com-<lb/>
position wie der technischen Ausführung bedingt. Der Platz, welchen in Richters<lb/>
Bildern der Mensch einnimmt, verlangt nothwendig eine sorgfältigere, mit Liebe<lb/>
das Individuelle darstellende Behandlung, als sie der gewöhnlichen Staffage<lb/>
zu Theil wird, ohne die Sauberkeit einer detaillirten Ausführung zu erreichen,<lb/>
wie es das Genre erfordert, welche dem Gesammteindruck schaden, wie eine zu<lb/>
oberflächliche Behandlung ihn verdunkeln würde. Eben so verlangtauch das Land¬<lb/>
schaftliche durch die unmittelbare Beziehung auf die menschlichen Figuren eine<lb/>
eigenthümliche Behandlung, die jenen ihren vollen Werth läßt. Wie schon<lb/>
bemerkt, wird der volle Eindruck der Landschaft in Form und Farbe dadurch in<lb/>
keiner Weise geschwächt, bildet vielmehr den Grundton des Ganzen. Ueber die<lb/>
Technik im Einzelnen zu sprechen, ist nicht meines Amtes, noch dieses -Orts.<lb/>
Aber das darf man sagen, Richter ist ein Maler und besitzt die Herrschaft über<lb/>
die Mittel seiner Kunst, ohne die Niemand ein Künstler ist; aber die Freude<lb/>
an der Technik als solcher ist seiner Natur fremd und daher hat er es wohl zu<lb/>
dem, was sich als Virtuosität in der Technik bezeichnen läßt, nicht bringen wollen,<lb/>
noch können. Dieses, wie die unglaubliche Fruchtbarkeit seiner Erfindung und<lb/>
die Freude am Componiren mögen neben äußeren Gründen wohl dazu beigetragen<lb/>
haben, daß er in den letzten Jahren vorzugsweise auf einem Gebiet thätig ge¬<lb/>
wesen ist, wo ihm dieser Genuß des Schaffens leicht und rasch geboten wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_611" next="#ID_612"> Nach seiner Rückkehr aus Italien kehrte Richter mit Vorliebe auch zum<lb/>
Radiren zurück, und bearbeitete mehrere Folgen tyroler und italienischer Land¬<lb/>
schaften. Auch die ersten Jahrgänge der Bilderchronik des sächsischen Kunstver-<lb/>
eins, die deutschen Dichtungen mit Randzeichnungen deutscher Künstler ent¬<lb/>
halten treffliche Radirungen von ihm, andere sind sonst zerstreut. Zu dem Be¬<lb/>
deutendsten dieser Art gehören ohne alle Frage die beiden großen Blätter, welche<lb/>
Richter im Jahr 18/18 für den Sachs. Kunstverein radirte. Die eine Composttion stellt<lb/>
Rübezahl vor, welcher vor der Frau erscheint, die dem schreienden Kinde mit dem<lb/>
Berggeist gedroht hatte. Nichts kann ansprechender sein, als die Wahrheit und<lb/>
Treuherzigkeit in den furchtsamen Kindern, die sich um die Mutter schaaren, welche<lb/>
entschlossen und muthig den innern Schrecken bemeistert, und der kecke Humor<lb/>
in der derben Gestalt des Berggeistes, der die Hand nach dem Schreihals aus¬<lb/>
streckt. Und zwischen ihnen liegt auf der Erde das kleinste Kind in unbefan¬<lb/>
gener Lust: man kann nichts Reizenderes und Naiveres sehen. Die Scene<lb/>
geht vor in einer hohen Gebirgslandschaft, mit Bäumen bewachsen, durch die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0218] Es ist in der Natur der Sache begründet, daß das Verhältniß zwischen Natur und Menschen verschieden modificirt erscheint, bald die eine bald die andere Seite mehr hervortritt, ohne daß je eine von beiden geradezu subordinire er¬ scheint, wodurch die Einheit gestört werden würde, die auf der gegenseitigen Durchdringung beider beruht, welche ohne gegenseitiges Maßhalten nicht dar¬ gestellt werden könnte. Dadurch ist also auch die Eigenthümlichkeit der Com- position wie der technischen Ausführung bedingt. Der Platz, welchen in Richters Bildern der Mensch einnimmt, verlangt nothwendig eine sorgfältigere, mit Liebe das Individuelle darstellende Behandlung, als sie der gewöhnlichen Staffage zu Theil wird, ohne die Sauberkeit einer detaillirten Ausführung zu erreichen, wie es das Genre erfordert, welche dem Gesammteindruck schaden, wie eine zu oberflächliche Behandlung ihn verdunkeln würde. Eben so verlangtauch das Land¬ schaftliche durch die unmittelbare Beziehung auf die menschlichen Figuren eine eigenthümliche Behandlung, die jenen ihren vollen Werth läßt. Wie schon bemerkt, wird der volle Eindruck der Landschaft in Form und Farbe dadurch in keiner Weise geschwächt, bildet vielmehr den Grundton des Ganzen. Ueber die Technik im Einzelnen zu sprechen, ist nicht meines Amtes, noch dieses -Orts. Aber das darf man sagen, Richter ist ein Maler und besitzt die Herrschaft über die Mittel seiner Kunst, ohne die Niemand ein Künstler ist; aber die Freude an der Technik als solcher ist seiner Natur fremd und daher hat er es wohl zu dem, was sich als Virtuosität in der Technik bezeichnen läßt, nicht bringen wollen, noch können. Dieses, wie die unglaubliche Fruchtbarkeit seiner Erfindung und die Freude am Componiren mögen neben äußeren Gründen wohl dazu beigetragen haben, daß er in den letzten Jahren vorzugsweise auf einem Gebiet thätig ge¬ wesen ist, wo ihm dieser Genuß des Schaffens leicht und rasch geboten wird. Nach seiner Rückkehr aus Italien kehrte Richter mit Vorliebe auch zum Radiren zurück, und bearbeitete mehrere Folgen tyroler und italienischer Land¬ schaften. Auch die ersten Jahrgänge der Bilderchronik des sächsischen Kunstver- eins, die deutschen Dichtungen mit Randzeichnungen deutscher Künstler ent¬ halten treffliche Radirungen von ihm, andere sind sonst zerstreut. Zu dem Be¬ deutendsten dieser Art gehören ohne alle Frage die beiden großen Blätter, welche Richter im Jahr 18/18 für den Sachs. Kunstverein radirte. Die eine Composttion stellt Rübezahl vor, welcher vor der Frau erscheint, die dem schreienden Kinde mit dem Berggeist gedroht hatte. Nichts kann ansprechender sein, als die Wahrheit und Treuherzigkeit in den furchtsamen Kindern, die sich um die Mutter schaaren, welche entschlossen und muthig den innern Schrecken bemeistert, und der kecke Humor in der derben Gestalt des Berggeistes, der die Hand nach dem Schreihals aus¬ streckt. Und zwischen ihnen liegt auf der Erde das kleinste Kind in unbefan¬ gener Lust: man kann nichts Reizenderes und Naiveres sehen. Die Scene geht vor in einer hohen Gebirgslandschaft, mit Bäumen bewachsen, durch die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/218
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/218>, abgerufen am 22.07.2024.