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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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jung und kräftig, aß mit mehr Appetit als Delicatesse, und bildete sich Nichts
auf eine "xraucls ünsgss as xoüt" -- eine große Feinheit des Geschmacks in
der Wahl seiner Speisen -- ein. Große, massenhafte Braten und Gerichte, deren
einziges Verdienst Nahrhaftigkeit war, entsprachen seinen Begriffen von einer
guten Küche am besten. Sein enormer Appetit war befriedigt, wenn der Hun¬
ger gestillt war; Wissenschaft und Kunst waren nicht erst nöthig, um ihn zu
reizen.

Endlich brach die Revolution ans, und die Geschichtschreiber der Küche
sprechen mit Betrübniß von ihrer Wirkung auf die Wissenschaft, welche Montaigne
,,1'art. als 1a xusuls" nennt. Die Schornsteine der Faubourg Se. Germain und der
Chaussee d'Artim rauchten nicht mehr, der Duft der Trüffeln war verschwunden,
und die Großen und Reichen mußten sich glücklich schätzen, wenn sie durch die
Flucht ihr Leben retten, und in der Fremde das bittere Brod der Verbannung
essen durften. Die Finanzpächter, welche die Ueppigkeit des Hofes und des Adels
noch übertrieben hatten, waren zu Grunde gerichtet oder saßen im Kerker. Das
Mahl des Stoikers, Rettig und Eier, die schwarze Suppe der Spartaner und der
Pumpernickel Westphalens kamen jetzt an die Tagesordnung. Drei ganze lange
Jahre hindurch lebte man in dieser kärglichen Weise. Hätte" die Gothen und
Vandalen nur ein wenig länger fortgewirthschaftet, sagt ein witziger Gourmand,
welcher die Revolution überlebte, so wäre das Recept eines Hühnerfricassses un¬
zweifelhaft verloren gegangen. Die Märkte wurden nicht länger mehr mit Zu¬
fuhr versehen. Rind-, Schöps-, Kalbfleisch und Schinken waren verschwunden;
an Fisch nnr zu denke" wäre Thorheit gewesen. Eine Steinbutte, ein Lachs
oder ein Stör vou guter Qualität, sagt Grimod, war während der Revolution
gar nicht zu sehen.' Zahmes und wildes Geflügel erschienen dem Epikuräer uur
uoch in sehnsüchtigen, aber leider, allzu nichtigen Träumen. Diese Noth beschränkte
sich nicht blos auf Paris. "Man hätte mit einem gaUzen Pack Assignaten", be¬
richtet derselbe Schriftsteller, "ans einem Markt der Provinz erscheinen können,
ohne einen Sack Mehl dafür zu bekommen." Die Rückkehr zu Baarzahlungeu
brachte eine wesentliche Verbesserung dieser traurigen Zustände hervor. Die
Louisd'ors und Fünffrankenstücke lockten mit ihrem Klänge auch wieder Schaaren
von Hühnern und Rebhühnern auf die Märkte. Die Köche fingen wieder an,
die Sprache zu gebrauchen, mit welcher der italienische Haushofmeister des Car-
dinals Cavaffa dem trefflichen und witzige" Montaigne erwartete, eine Sprache, wel¬
cher der humoristische Autor ein unvergängliches Denkmal in deu unvergleichlichen
Büchern errichtet hat, welche, so lauge die französische Sprache und Literatur be¬
stehen, werden gelesen und bewundert werden. ,,11 in'a doit un äiseours as
oetts LvIonLS Ah g'usule U.VSS uns xravits et vontsnaueo Mo.xi8tra.1o, oomrns
s'it in'eust pari" as. guvlque Arvucl point as tKsoloFio. L1 in'u. Äsouitkro uns
ciMvrenee Ä'appvtitii; 1v polios no hos fauces; 1v8 quviitss ach INgreüisnts


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jung und kräftig, aß mit mehr Appetit als Delicatesse, und bildete sich Nichts
auf eine „xraucls ünsgss as xoüt" — eine große Feinheit des Geschmacks in
der Wahl seiner Speisen — ein. Große, massenhafte Braten und Gerichte, deren
einziges Verdienst Nahrhaftigkeit war, entsprachen seinen Begriffen von einer
guten Küche am besten. Sein enormer Appetit war befriedigt, wenn der Hun¬
ger gestillt war; Wissenschaft und Kunst waren nicht erst nöthig, um ihn zu
reizen.

Endlich brach die Revolution ans, und die Geschichtschreiber der Küche
sprechen mit Betrübniß von ihrer Wirkung auf die Wissenschaft, welche Montaigne
,,1'art. als 1a xusuls" nennt. Die Schornsteine der Faubourg Se. Germain und der
Chaussee d'Artim rauchten nicht mehr, der Duft der Trüffeln war verschwunden,
und die Großen und Reichen mußten sich glücklich schätzen, wenn sie durch die
Flucht ihr Leben retten, und in der Fremde das bittere Brod der Verbannung
essen durften. Die Finanzpächter, welche die Ueppigkeit des Hofes und des Adels
noch übertrieben hatten, waren zu Grunde gerichtet oder saßen im Kerker. Das
Mahl des Stoikers, Rettig und Eier, die schwarze Suppe der Spartaner und der
Pumpernickel Westphalens kamen jetzt an die Tagesordnung. Drei ganze lange
Jahre hindurch lebte man in dieser kärglichen Weise. Hätte« die Gothen und
Vandalen nur ein wenig länger fortgewirthschaftet, sagt ein witziger Gourmand,
welcher die Revolution überlebte, so wäre das Recept eines Hühnerfricassses un¬
zweifelhaft verloren gegangen. Die Märkte wurden nicht länger mehr mit Zu¬
fuhr versehen. Rind-, Schöps-, Kalbfleisch und Schinken waren verschwunden;
an Fisch nnr zu denke» wäre Thorheit gewesen. Eine Steinbutte, ein Lachs
oder ein Stör vou guter Qualität, sagt Grimod, war während der Revolution
gar nicht zu sehen.' Zahmes und wildes Geflügel erschienen dem Epikuräer uur
uoch in sehnsüchtigen, aber leider, allzu nichtigen Träumen. Diese Noth beschränkte
sich nicht blos auf Paris. „Man hätte mit einem gaUzen Pack Assignaten", be¬
richtet derselbe Schriftsteller, „ans einem Markt der Provinz erscheinen können,
ohne einen Sack Mehl dafür zu bekommen." Die Rückkehr zu Baarzahlungeu
brachte eine wesentliche Verbesserung dieser traurigen Zustände hervor. Die
Louisd'ors und Fünffrankenstücke lockten mit ihrem Klänge auch wieder Schaaren
von Hühnern und Rebhühnern auf die Märkte. Die Köche fingen wieder an,
die Sprache zu gebrauchen, mit welcher der italienische Haushofmeister des Car-
dinals Cavaffa dem trefflichen und witzige» Montaigne erwartete, eine Sprache, wel¬
cher der humoristische Autor ein unvergängliches Denkmal in deu unvergleichlichen
Büchern errichtet hat, welche, so lauge die französische Sprache und Literatur be¬
stehen, werden gelesen und bewundert werden. ,,11 in'a doit un äiseours as
oetts LvIonLS Ah g'usule U.VSS uns xravits et vontsnaueo Mo.xi8tra.1o, oomrns
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[0157] jung und kräftig, aß mit mehr Appetit als Delicatesse, und bildete sich Nichts auf eine „xraucls ünsgss as xoüt" — eine große Feinheit des Geschmacks in der Wahl seiner Speisen — ein. Große, massenhafte Braten und Gerichte, deren einziges Verdienst Nahrhaftigkeit war, entsprachen seinen Begriffen von einer guten Küche am besten. Sein enormer Appetit war befriedigt, wenn der Hun¬ ger gestillt war; Wissenschaft und Kunst waren nicht erst nöthig, um ihn zu reizen. Endlich brach die Revolution ans, und die Geschichtschreiber der Küche sprechen mit Betrübniß von ihrer Wirkung auf die Wissenschaft, welche Montaigne ,,1'art. als 1a xusuls" nennt. Die Schornsteine der Faubourg Se. Germain und der Chaussee d'Artim rauchten nicht mehr, der Duft der Trüffeln war verschwunden, und die Großen und Reichen mußten sich glücklich schätzen, wenn sie durch die Flucht ihr Leben retten, und in der Fremde das bittere Brod der Verbannung essen durften. Die Finanzpächter, welche die Ueppigkeit des Hofes und des Adels noch übertrieben hatten, waren zu Grunde gerichtet oder saßen im Kerker. Das Mahl des Stoikers, Rettig und Eier, die schwarze Suppe der Spartaner und der Pumpernickel Westphalens kamen jetzt an die Tagesordnung. Drei ganze lange Jahre hindurch lebte man in dieser kärglichen Weise. Hätte« die Gothen und Vandalen nur ein wenig länger fortgewirthschaftet, sagt ein witziger Gourmand, welcher die Revolution überlebte, so wäre das Recept eines Hühnerfricassses un¬ zweifelhaft verloren gegangen. Die Märkte wurden nicht länger mehr mit Zu¬ fuhr versehen. Rind-, Schöps-, Kalbfleisch und Schinken waren verschwunden; an Fisch nnr zu denke» wäre Thorheit gewesen. Eine Steinbutte, ein Lachs oder ein Stör vou guter Qualität, sagt Grimod, war während der Revolution gar nicht zu sehen.' Zahmes und wildes Geflügel erschienen dem Epikuräer uur uoch in sehnsüchtigen, aber leider, allzu nichtigen Träumen. Diese Noth beschränkte sich nicht blos auf Paris. „Man hätte mit einem gaUzen Pack Assignaten", be¬ richtet derselbe Schriftsteller, „ans einem Markt der Provinz erscheinen können, ohne einen Sack Mehl dafür zu bekommen." Die Rückkehr zu Baarzahlungeu brachte eine wesentliche Verbesserung dieser traurigen Zustände hervor. Die Louisd'ors und Fünffrankenstücke lockten mit ihrem Klänge auch wieder Schaaren von Hühnern und Rebhühnern auf die Märkte. Die Köche fingen wieder an, die Sprache zu gebrauchen, mit welcher der italienische Haushofmeister des Car- dinals Cavaffa dem trefflichen und witzige» Montaigne erwartete, eine Sprache, wel¬ cher der humoristische Autor ein unvergängliches Denkmal in deu unvergleichlichen Büchern errichtet hat, welche, so lauge die französische Sprache und Literatur be¬ stehen, werden gelesen und bewundert werden. ,,11 in'a doit un äiseours as oetts LvIonLS Ah g'usule U.VSS uns xravits et vontsnaueo Mo.xi8tra.1o, oomrns s'it in'eust pari« as. guvlque Arvucl point as tKsoloFio. L1 in'u. Äsouitkro uns ciMvrenee Ä'appvtitii; 1v polios no hos fauces; 1v8 quviitss ach INgreüisnts /,<)-«-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/157>, abgerufen am 22.07.2024.