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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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nicht mangelt, weil sie von großer rhythmischer Kraft sind, ganz anders und viel
besser, als neuere Productionen in diesem Fache.

Neben diesen drei Opern hat uns Marschner noch eine Menge andere ge¬
schenkt, die, obwohl sie in Einzelheiten Vortreffliches bieten, doch dem Schicksal
nicht haben entrinnen können, zu vergehen. Sie mögen hier in chronologischer
Folge aufgeführt sein, so weit sich diese ungefähr auffinden ließ. Nach einer
kleinen komischen Oper "der Holzdieb," für einen Privatcirkel geschrieben und im
Allgemeinen um wenig gekannt, machte er sich zuerst bekannt durch die Oper
"Heinrich der Vierte," die, noch in Pesth geschrieben, wo er seit 1816 als
Musikdirector am Theater arbeitete, durch Weber's Vermittlung 1820 in
Dresden aufgeführt wurde und seine Berufung als Musikdirector dahin
zu Folge hatte. Nach seiner Verehlichung 1826 lebte er in gleicher
Anstellung in Leipzig, und von da ans wurde 1828 sein Vampyr und
1829 der Templer und die Jüdin bekannt. 1830 erhielt er einen Ruf
als Kapellmeister nach Hannover, wo er jetzt noch weilt. Von dieser Zeit
an schrieb er noch seinen Hans Helling, 1833 das erste Mal in Berlin aufge¬
führt, bei welcher Gelegenheit ihn die Berliner Künstler mit einem Lorbeerkranz
und silbernen Ehrenbecher beschenkten. Es folgen noch 1836 in Leipzig "das
Schloß am Aetna", 1838 in Berlin "des Falkners Braut", 1838 in Hannover
"der Bahn", eine komische Oper, die Scene in China, und zuletzt 1845 in
Dresden "Adolph von Nassau". Häufigere Aufführungen erlebten von diesen
Opern uur "des Falkners Braut" und "Bahn", doch standen anch sie nur kurze
Zeit auf, den Nepertoireu der deutscheu Bühne. Die musikalische Nemesis rächte
sich an Marschner, weil er Vielschreiber wurde; sie bestrafte ihn hart, weil er in
seinem Adolph von Nassau eiuer schlechten Kunst Concessionen machen zu müssen
glaubte, welcher grade er uicht in die Arme fallen durfte, da es seiner Natur wider¬
strebt, trivial zu sein. Deu einzigen Versuch, eine rein komische Oper zu schreiben,
hat er durch seinen Bahn gemacht: er ist mißglückt, vielleicht wider sein Erwarten,
gewiß gegen das seiner Verehrer, da in seinem volkstümlichen Humor, welchen
er in seinen bessern Werken oft ans überraschende Weise entwickelt, die sicherste Gewähr
eines guten Gelingens zu liegen scheint. Es ist aber leichter, derb zu sein, als sich ans
fein komische Weise zu benehmen. -- Interessant ist es für den aufmerksamen Beschauer,
sein Steigen und Herabgehen in seinen Werken zu verfolgen; bis zur Zeit des
Helling erregte jedes neue Werk dnrch seine Fortschritte Bewunderung, von dieser
Zeit an erduldete er das Schicksal der meisten Talente, er hatte sich ausgeschrie¬
ben und mochte nicht daran glauben, daß ans das Fluthen seiner schöpferischen
Kraft eine Ebbe eingetreten war. -- Das Schone aber, das er uns geschaffen,
wird bleiben, und im Vampyr, im Templer, in Hans Helling wird die Kunst
unserer Bühne noch oft und in später Zeit dem Deutschen Gelegenheit geben, eine
ächt deutsche, edle und mannhafte Schöpferkraft zu bewundern.


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nicht mangelt, weil sie von großer rhythmischer Kraft sind, ganz anders und viel
besser, als neuere Productionen in diesem Fache.

Neben diesen drei Opern hat uns Marschner noch eine Menge andere ge¬
schenkt, die, obwohl sie in Einzelheiten Vortreffliches bieten, doch dem Schicksal
nicht haben entrinnen können, zu vergehen. Sie mögen hier in chronologischer
Folge aufgeführt sein, so weit sich diese ungefähr auffinden ließ. Nach einer
kleinen komischen Oper „der Holzdieb," für einen Privatcirkel geschrieben und im
Allgemeinen um wenig gekannt, machte er sich zuerst bekannt durch die Oper
„Heinrich der Vierte," die, noch in Pesth geschrieben, wo er seit 1816 als
Musikdirector am Theater arbeitete, durch Weber's Vermittlung 1820 in
Dresden aufgeführt wurde und seine Berufung als Musikdirector dahin
zu Folge hatte. Nach seiner Verehlichung 1826 lebte er in gleicher
Anstellung in Leipzig, und von da ans wurde 1828 sein Vampyr und
1829 der Templer und die Jüdin bekannt. 1830 erhielt er einen Ruf
als Kapellmeister nach Hannover, wo er jetzt noch weilt. Von dieser Zeit
an schrieb er noch seinen Hans Helling, 1833 das erste Mal in Berlin aufge¬
führt, bei welcher Gelegenheit ihn die Berliner Künstler mit einem Lorbeerkranz
und silbernen Ehrenbecher beschenkten. Es folgen noch 1836 in Leipzig „das
Schloß am Aetna", 1838 in Berlin „des Falkners Braut", 1838 in Hannover
„der Bahn", eine komische Oper, die Scene in China, und zuletzt 1845 in
Dresden „Adolph von Nassau". Häufigere Aufführungen erlebten von diesen
Opern uur „des Falkners Braut" und „Bahn", doch standen anch sie nur kurze
Zeit auf, den Nepertoireu der deutscheu Bühne. Die musikalische Nemesis rächte
sich an Marschner, weil er Vielschreiber wurde; sie bestrafte ihn hart, weil er in
seinem Adolph von Nassau eiuer schlechten Kunst Concessionen machen zu müssen
glaubte, welcher grade er uicht in die Arme fallen durfte, da es seiner Natur wider¬
strebt, trivial zu sein. Deu einzigen Versuch, eine rein komische Oper zu schreiben,
hat er durch seinen Bahn gemacht: er ist mißglückt, vielleicht wider sein Erwarten,
gewiß gegen das seiner Verehrer, da in seinem volkstümlichen Humor, welchen
er in seinen bessern Werken oft ans überraschende Weise entwickelt, die sicherste Gewähr
eines guten Gelingens zu liegen scheint. Es ist aber leichter, derb zu sein, als sich ans
fein komische Weise zu benehmen. — Interessant ist es für den aufmerksamen Beschauer,
sein Steigen und Herabgehen in seinen Werken zu verfolgen; bis zur Zeit des
Helling erregte jedes neue Werk dnrch seine Fortschritte Bewunderung, von dieser
Zeit an erduldete er das Schicksal der meisten Talente, er hatte sich ausgeschrie¬
ben und mochte nicht daran glauben, daß ans das Fluthen seiner schöpferischen
Kraft eine Ebbe eingetreten war. — Das Schone aber, das er uns geschaffen,
wird bleiben, und im Vampyr, im Templer, in Hans Helling wird die Kunst
unserer Bühne noch oft und in später Zeit dem Deutschen Gelegenheit geben, eine
ächt deutsche, edle und mannhafte Schöpferkraft zu bewundern.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/63>, abgerufen am 04.07.2024.