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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Mit der Thätigkeit Marschner's im dramatischen Fache hängt genau zusam¬
men seine große Betheiligung an der Gesangmnsik überhaupt. Alle Arten der¬
selben, vom einstimmigen Gesänge mit Begleitung an bis zur reichsten Vielstim¬
migkeit haben in ihm ihren Meister gefunden, alle Formen derselben führte er ans,
vom einfachen Liede bis zum Hymnus und der großen Cantate mit Orchester.
Von wie großer Bedeutung auch seine Lieder mit Pianoforte sein mögen, so
werden sie doch im Werthe übertroffen durch die Mäuuergesäuge, von denen ge¬
wiß gegen zwanzig verschiedene Hefte vorhanden sind. Sie zeichnen sich vor den
gleichen Werken seiner Zeitgenossen, am meisten vor seinem Rivalen in diesem
Fache, durch die Frische ihrer Melodien, durch die Kraft des Rhythmus, durch
deu gesündesten nud volkstümlichsten Humor ans. Sie sind für den bessern Theil
der Nation geschrieben, und haben auch bei diesem ihre gerechte Würdigung ge¬
sunden. Man faßte überhaupt in jenen Zeiten den Männergescmg sowohl künst¬
lerisch wie moralisch tiefer anf, man betrachtete ihn als Bildungs- und Erhebnngs-
mittel, keineswegs liebte man es, ihn zu trivialen Späßen zu benutzen und zur
Unterhaltung für gedankenlose Leute zu verwenden.

Auch die künstliche Manier des Männergesanges, die Mendelssohn in seinen
ersten 6 Quartetten angefangen, die später leider so viele Nachahmer gesunden,
findet sich nicht bei Marschner und Kreutzer; sie erkannten wohl, daß die beschei¬
denen Kräfte des Männergesangs nur zu einfachen Zwecken zu benutzen seien.
Möchten doch Vereine daran denken, die bessern Gesänge aus jenen Zeiten vor¬
zuführen und einzustudiren.

Auch in der Composition für Clavier und Kammermusik hat Marschuer uicht
ohne Fleiß gearbeitet, doch uicht mit so vielem Glücke, daß eine besondere Erwäh-
nung dieser Werke nöthig erscheint. Alle diese Sachen bieten weder geistreiche
Züge, uoch Neues; sie bewegen sich in den Formen, die jene Zeit der Wiener
Schule abgeborgt hatte, und sie hinterlassen keinen Eindruck, als den des guten
Willens und eiuer leidlichen Geschicklichkeit. Sein Meister Weber theilt mit ihm
das gleiche Loos, wenn man auch diesem wenigsteus in den vier großen Sonaten
für Clavier Anlage zur großen Form zugestehen muß und bei läugerer künst¬
lerischer Thätigkeit vielleicht sogar Großes in dieser Beziehung erwarten durfte.

Es ist der Zweck dieses Aufsatzes gewesen, die Aufmerksamkeit wieder auf
den Componisten zu lenken; er verdient sie in dem höchsten Maße, und mit
Recht darf er wohl zu einer Zeit hervorgezogen werden, in welcher die Versuche
in dramatischer Musik häufiger angestellt werdeu, als dies seit einigen Jahren der
Fall war. Für junge Komponisten dürste es nicht ohne Frucht sein, eine genaue
Bekanntschaft mit Marschner's Werken anzuknüpfen, da in ihnen genügender Stoff
zur Betrachtung und zur Nachahmung liegt, gewiß wenigstens in größerem Maße,
als die neuesten dramatischen Werke darzubieten im Stande sind.




Mit der Thätigkeit Marschner's im dramatischen Fache hängt genau zusam¬
men seine große Betheiligung an der Gesangmnsik überhaupt. Alle Arten der¬
selben, vom einstimmigen Gesänge mit Begleitung an bis zur reichsten Vielstim¬
migkeit haben in ihm ihren Meister gefunden, alle Formen derselben führte er ans,
vom einfachen Liede bis zum Hymnus und der großen Cantate mit Orchester.
Von wie großer Bedeutung auch seine Lieder mit Pianoforte sein mögen, so
werden sie doch im Werthe übertroffen durch die Mäuuergesäuge, von denen ge¬
wiß gegen zwanzig verschiedene Hefte vorhanden sind. Sie zeichnen sich vor den
gleichen Werken seiner Zeitgenossen, am meisten vor seinem Rivalen in diesem
Fache, durch die Frische ihrer Melodien, durch die Kraft des Rhythmus, durch
deu gesündesten nud volkstümlichsten Humor ans. Sie sind für den bessern Theil
der Nation geschrieben, und haben auch bei diesem ihre gerechte Würdigung ge¬
sunden. Man faßte überhaupt in jenen Zeiten den Männergescmg sowohl künst¬
lerisch wie moralisch tiefer anf, man betrachtete ihn als Bildungs- und Erhebnngs-
mittel, keineswegs liebte man es, ihn zu trivialen Späßen zu benutzen und zur
Unterhaltung für gedankenlose Leute zu verwenden.

Auch die künstliche Manier des Männergesanges, die Mendelssohn in seinen
ersten 6 Quartetten angefangen, die später leider so viele Nachahmer gesunden,
findet sich nicht bei Marschner und Kreutzer; sie erkannten wohl, daß die beschei¬
denen Kräfte des Männergesangs nur zu einfachen Zwecken zu benutzen seien.
Möchten doch Vereine daran denken, die bessern Gesänge aus jenen Zeiten vor¬
zuführen und einzustudiren.

Auch in der Composition für Clavier und Kammermusik hat Marschuer uicht
ohne Fleiß gearbeitet, doch uicht mit so vielem Glücke, daß eine besondere Erwäh-
nung dieser Werke nöthig erscheint. Alle diese Sachen bieten weder geistreiche
Züge, uoch Neues; sie bewegen sich in den Formen, die jene Zeit der Wiener
Schule abgeborgt hatte, und sie hinterlassen keinen Eindruck, als den des guten
Willens und eiuer leidlichen Geschicklichkeit. Sein Meister Weber theilt mit ihm
das gleiche Loos, wenn man auch diesem wenigsteus in den vier großen Sonaten
für Clavier Anlage zur großen Form zugestehen muß und bei läugerer künst¬
lerischer Thätigkeit vielleicht sogar Großes in dieser Beziehung erwarten durfte.

Es ist der Zweck dieses Aufsatzes gewesen, die Aufmerksamkeit wieder auf
den Componisten zu lenken; er verdient sie in dem höchsten Maße, und mit
Recht darf er wohl zu einer Zeit hervorgezogen werden, in welcher die Versuche
in dramatischer Musik häufiger angestellt werdeu, als dies seit einigen Jahren der
Fall war. Für junge Komponisten dürste es nicht ohne Frucht sein, eine genaue
Bekanntschaft mit Marschner's Werken anzuknüpfen, da in ihnen genügender Stoff
zur Betrachtung und zur Nachahmung liegt, gewiß wenigstens in größerem Maße,
als die neuesten dramatischen Werke darzubieten im Stande sind.




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[0064] Mit der Thätigkeit Marschner's im dramatischen Fache hängt genau zusam¬ men seine große Betheiligung an der Gesangmnsik überhaupt. Alle Arten der¬ selben, vom einstimmigen Gesänge mit Begleitung an bis zur reichsten Vielstim¬ migkeit haben in ihm ihren Meister gefunden, alle Formen derselben führte er ans, vom einfachen Liede bis zum Hymnus und der großen Cantate mit Orchester. Von wie großer Bedeutung auch seine Lieder mit Pianoforte sein mögen, so werden sie doch im Werthe übertroffen durch die Mäuuergesäuge, von denen ge¬ wiß gegen zwanzig verschiedene Hefte vorhanden sind. Sie zeichnen sich vor den gleichen Werken seiner Zeitgenossen, am meisten vor seinem Rivalen in diesem Fache, durch die Frische ihrer Melodien, durch die Kraft des Rhythmus, durch deu gesündesten nud volkstümlichsten Humor ans. Sie sind für den bessern Theil der Nation geschrieben, und haben auch bei diesem ihre gerechte Würdigung ge¬ sunden. Man faßte überhaupt in jenen Zeiten den Männergescmg sowohl künst¬ lerisch wie moralisch tiefer anf, man betrachtete ihn als Bildungs- und Erhebnngs- mittel, keineswegs liebte man es, ihn zu trivialen Späßen zu benutzen und zur Unterhaltung für gedankenlose Leute zu verwenden. Auch die künstliche Manier des Männergesanges, die Mendelssohn in seinen ersten 6 Quartetten angefangen, die später leider so viele Nachahmer gesunden, findet sich nicht bei Marschner und Kreutzer; sie erkannten wohl, daß die beschei¬ denen Kräfte des Männergesangs nur zu einfachen Zwecken zu benutzen seien. Möchten doch Vereine daran denken, die bessern Gesänge aus jenen Zeiten vor¬ zuführen und einzustudiren. Auch in der Composition für Clavier und Kammermusik hat Marschuer uicht ohne Fleiß gearbeitet, doch uicht mit so vielem Glücke, daß eine besondere Erwäh- nung dieser Werke nöthig erscheint. Alle diese Sachen bieten weder geistreiche Züge, uoch Neues; sie bewegen sich in den Formen, die jene Zeit der Wiener Schule abgeborgt hatte, und sie hinterlassen keinen Eindruck, als den des guten Willens und eiuer leidlichen Geschicklichkeit. Sein Meister Weber theilt mit ihm das gleiche Loos, wenn man auch diesem wenigsteus in den vier großen Sonaten für Clavier Anlage zur großen Form zugestehen muß und bei läugerer künst¬ lerischer Thätigkeit vielleicht sogar Großes in dieser Beziehung erwarten durfte. Es ist der Zweck dieses Aufsatzes gewesen, die Aufmerksamkeit wieder auf den Componisten zu lenken; er verdient sie in dem höchsten Maße, und mit Recht darf er wohl zu einer Zeit hervorgezogen werden, in welcher die Versuche in dramatischer Musik häufiger angestellt werdeu, als dies seit einigen Jahren der Fall war. Für junge Komponisten dürste es nicht ohne Frucht sein, eine genaue Bekanntschaft mit Marschner's Werken anzuknüpfen, da in ihnen genügender Stoff zur Betrachtung und zur Nachahmung liegt, gewiß wenigstens in größerem Maße, als die neuesten dramatischen Werke darzubieten im Stande sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/64>, abgerufen am 27.06.2024.