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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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sehr geschwächt. Ich ließ mich auf das rechte Ufer der Donau übersetzen und
begab mich zu dem Obersten Mannla. Er und seine Officiere umarmten mich
voller Freude; lange Zeit hatte man geglaubt, ich sei erschossen. Den ganzen
Tag lang ließ ich mir die Gefechte des Feldzuges und die Leiden unserer Armee
erzählen. Die Siege waren theuer erkauft worden. Viele meiner Kameraden
waren todt; viele unsrer Soldaten waren in diesen alltäglichen Gefechten geblieben.
Dem tapfern Hauptmann Freiberg, der während des Feldzugs mein Gefährte ge¬
wesen, hatte eine Kanonenkugel den Kopf weggerissen. Taxis hatte ein Granat-
stnck in das Gesicht getroffen; ich wagte mich nur noch zögernd nach meinen
Freunden zu erkundigen.

Unsere Officiere erzählten mir, wie Gerberich in Gefangenschaft gefallen war.
Es war ihm gelungen, sich durch die Vorpostenkette zu schleichen, und er lief
jetzt rasch nach der Circumvallationslinie. Aber verfolgt von den Ungarn und
vielleicht verwirrt gemacht vou dem Pfeifen der Kugeln, denn die Unsrigen schössen
auf seiue Verfolger, blieb er einen Augenblick steheu; die Ungarn packten ihn
wieder, führten ihn in die Festung zurück und fanden in seinem Rock die Papiere,
die er sich eingenäht hatte.*)

Ich war zu geschwächt, um die Reise auf den kleinen Karren der Bauern
aushalten zu können, das einzige Transportmittel, das der Krieg übrig gelassen.
Ich begab mich daher nach Semlin, um mit dem Dampfschiff die Sau herauf
zu fahren und uach Gratz zu gehen. Unterwegs fand ich Schaaren von zerlump¬
ten Frauen und Mädchen -- es waren slavische Familien aus dem Banat und der
Banz, deren Männer und Väter im Bürgerkrieg umgekommen waren. Die Weiber
hatten sich in die Wälder geflüchtet und hier mehrere Monate lang von süßen
Eicheln und ein wenig Mehl gelebt; jetzt abgezehrt von Hunger und Elend kamen
sie von dem Gebirge herab mit ihren nackten und fast sterbenden Kindern; sie
sollten nur Leichen und eiugeäscherte Dörfer siudeu. Man darf sich nicht darüber
wundern: der ungarische Krieg hat die Bevölkerung im Süden des Reichs unver-
hältnißmäßig gelichtet; uach einer ofstcielleu Zählung ans dem Frühjahr 1850
beläuft sich die Zahl der Wittwen in deu Militärbezirke vou Kroatien, Slavo¬
nien, dem Banat und Siebenbürgen, deren Männer im Kriege umgekommen siud,
auf mehr als 25,000. In Semlin führte man mir drei Bauern vor, die mau
vor zwei Monaten in Palauka festgenommen hatte, und die Mitglieder der Bande
sein sollten, die mich gefangen genommen hatte. Meine Kameraden hatten sie
anfangs erschießen wollen; aber da sie später hofften, ich könnte noch am Leben
sein, und die Rache der Ungarn fürchteten, so hatten sie sie eingesteckt. Die



*) Die i)8 Sträflinge, die uns bei dem Angriff auf die Wachen unterstützen sollten,
sind vom Kaiser begnadigt worden; die Wittwen Kußmanek'ö, Braunstein'S und Kraue'S er¬
hielte" "icht unbeträchtliche Pensionen und ihre Kinder werden auf Staatskosten erzogen;
drei Söhne Kußmancck'S sind bereits Officiere in der kaiserlichen Armee. Gerberich war
nicht verheiratet.

sehr geschwächt. Ich ließ mich auf das rechte Ufer der Donau übersetzen und
begab mich zu dem Obersten Mannla. Er und seine Officiere umarmten mich
voller Freude; lange Zeit hatte man geglaubt, ich sei erschossen. Den ganzen
Tag lang ließ ich mir die Gefechte des Feldzuges und die Leiden unserer Armee
erzählen. Die Siege waren theuer erkauft worden. Viele meiner Kameraden
waren todt; viele unsrer Soldaten waren in diesen alltäglichen Gefechten geblieben.
Dem tapfern Hauptmann Freiberg, der während des Feldzugs mein Gefährte ge¬
wesen, hatte eine Kanonenkugel den Kopf weggerissen. Taxis hatte ein Granat-
stnck in das Gesicht getroffen; ich wagte mich nur noch zögernd nach meinen
Freunden zu erkundigen.

Unsere Officiere erzählten mir, wie Gerberich in Gefangenschaft gefallen war.
Es war ihm gelungen, sich durch die Vorpostenkette zu schleichen, und er lief
jetzt rasch nach der Circumvallationslinie. Aber verfolgt von den Ungarn und
vielleicht verwirrt gemacht vou dem Pfeifen der Kugeln, denn die Unsrigen schössen
auf seiue Verfolger, blieb er einen Augenblick steheu; die Ungarn packten ihn
wieder, führten ihn in die Festung zurück und fanden in seinem Rock die Papiere,
die er sich eingenäht hatte.*)

Ich war zu geschwächt, um die Reise auf den kleinen Karren der Bauern
aushalten zu können, das einzige Transportmittel, das der Krieg übrig gelassen.
Ich begab mich daher nach Semlin, um mit dem Dampfschiff die Sau herauf
zu fahren und uach Gratz zu gehen. Unterwegs fand ich Schaaren von zerlump¬
ten Frauen und Mädchen — es waren slavische Familien aus dem Banat und der
Banz, deren Männer und Väter im Bürgerkrieg umgekommen waren. Die Weiber
hatten sich in die Wälder geflüchtet und hier mehrere Monate lang von süßen
Eicheln und ein wenig Mehl gelebt; jetzt abgezehrt von Hunger und Elend kamen
sie von dem Gebirge herab mit ihren nackten und fast sterbenden Kindern; sie
sollten nur Leichen und eiugeäscherte Dörfer siudeu. Man darf sich nicht darüber
wundern: der ungarische Krieg hat die Bevölkerung im Süden des Reichs unver-
hältnißmäßig gelichtet; uach einer ofstcielleu Zählung ans dem Frühjahr 1850
beläuft sich die Zahl der Wittwen in deu Militärbezirke vou Kroatien, Slavo¬
nien, dem Banat und Siebenbürgen, deren Männer im Kriege umgekommen siud,
auf mehr als 25,000. In Semlin führte man mir drei Bauern vor, die mau
vor zwei Monaten in Palauka festgenommen hatte, und die Mitglieder der Bande
sein sollten, die mich gefangen genommen hatte. Meine Kameraden hatten sie
anfangs erschießen wollen; aber da sie später hofften, ich könnte noch am Leben
sein, und die Rache der Ungarn fürchteten, so hatten sie sie eingesteckt. Die



*) Die i)8 Sträflinge, die uns bei dem Angriff auf die Wachen unterstützen sollten,
sind vom Kaiser begnadigt worden; die Wittwen Kußmanek'ö, Braunstein'S und Kraue'S er¬
hielte» «icht unbeträchtliche Pensionen und ihre Kinder werden auf Staatskosten erzogen;
drei Söhne Kußmancck'S sind bereits Officiere in der kaiserlichen Armee. Gerberich war
nicht verheiratet.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/523>, abgerufen am 27.06.2024.