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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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sich plötzlich gerade ausstreckte; eine Frau, gewiß seiue Mutter, war. beständig bei
ihm und stützte ihm deu Kopf; eiues Abends sah ich, daß es sich nicht mehr be¬
wegte, und wußte, daß es todt war. Am 12. Juli während der Nacht erweckte
mich das Aufstoßen mit Flintenkolben auf dem steinernen Fußboden des Ganges;
ein Officier mit vier Soldaten trat in die Käsematte, eine Laterne in der Hand;
ich sprang von dem Bett auf um ihm zu zeigen, daß ich bereit sei; er leuchtete
mir mit der Laterne in das Gesicht, untersuchte dann die Maltern und ging wie¬
der hinaus. Ich hörte die Flintenkolben in der Käsematte neben mir aufstoßen
und erkannte, daß es der Jnspectionsofficier war, der die Runde gemacht hatte.

Die Zeit verstrich langsam; jeden Morgen schrieb ich den Tag und das
Datum mit dem kleinen Diamant auf die Fensterscheibe. Ich versuchte, meine
Lage zu vergessen, und meine Phantasie streifte frei herum in den grünen Ebenen
von Steiermark oder ans den Bergen der Schweiz; aber nicht immer konnte ich
die Anfälle dumpfer Entmuthigung fern halten. Bald jedoch fand ich meine Kraft
wieder und wollte leben; die Hoffnung, mich eines Tages rächen zu können, er¬
hielt mich aufrecht. Fast den ganzen Tag saß ich in der Fenstervertiefung, manch¬
mal blieben Leute stehen, um mich anzusehen; dann zog ich mich rasch zurück,
aus Furcht, die Aufmerksamkeit der Schildwache auf mich zu lenken. Eines Abends
ging eine junge Fran über die Brücke. Sie hatte einen Blumenstrauß in der
Hand; und da sie wahrscheinlich wußte, daß ich ein kaiserlicher Officier war, zer¬
pflückte sie die Blumen und warf sie uach meinem Fenster zu. . Ich hätte ihr
gern für diesen Beweis ihrer Theilnahme, die mir außerordentlich wohl that, ge¬
dankt. Mehrere Male sah ich auch einen jungen Geistlichen über die Brücke
gehn; wenn er allein war, blieb er stets stehen und grüßte mich.

Am 21. Juli sagte mir der Profos, daß Kraue im Gefängniß gestorben sei
und daß er mir Lebewohl sagen lasse. Am 27. früh trat er abermals in meinen
Kerker. Auf seinem Gesichte stand Schweiß und sein Auge suchte deu Boden;
mit seinem Schnupftuch wischte er einige Blutstropfen von dem Aermel. "Kapitän,"
sagte er zu mir, "Kußmaneck, Braunstein und Gerberich sind eben erschossen
worden; Sie bleiben als Gefangener hier." Ich wollte mich nicht auf diese Hoff¬
nung verlassen: ich fürchtete, man werde mich für eine Execution für den Nach¬
mittag oder den folgenden Tag aufsparen. Erst am folgenden Tage, am 28. Juli
Abends, als mir der Profos sagte, daß die Hinrichtung in Folge des von De-
breczin gekommenen Befehls stattgefundn habe, erkannte ich, daß ich außer Ge¬
fahr sei. Das Erscheinen des Baus vor Umsatz hatte die Ankunft des Couriers
aus Debreczin verzögert, und als Görgey das Urtel zur Bestätigung erhielt,
machte die kaiserliche Armee unter Haynan's Führung überall siegreiche Fortschritte.
Mochte Mitleid Görgey bewegen, oder mochte er in einem Augenblicke, wo die
ungarische Sache verloren schien, sür die Zukunft fürchten, kurz, er weigerte sich,
das Todesurtheil über einen Officier zu bestätiget!.


sich plötzlich gerade ausstreckte; eine Frau, gewiß seiue Mutter, war. beständig bei
ihm und stützte ihm deu Kopf; eiues Abends sah ich, daß es sich nicht mehr be¬
wegte, und wußte, daß es todt war. Am 12. Juli während der Nacht erweckte
mich das Aufstoßen mit Flintenkolben auf dem steinernen Fußboden des Ganges;
ein Officier mit vier Soldaten trat in die Käsematte, eine Laterne in der Hand;
ich sprang von dem Bett auf um ihm zu zeigen, daß ich bereit sei; er leuchtete
mir mit der Laterne in das Gesicht, untersuchte dann die Maltern und ging wie¬
der hinaus. Ich hörte die Flintenkolben in der Käsematte neben mir aufstoßen
und erkannte, daß es der Jnspectionsofficier war, der die Runde gemacht hatte.

Die Zeit verstrich langsam; jeden Morgen schrieb ich den Tag und das
Datum mit dem kleinen Diamant auf die Fensterscheibe. Ich versuchte, meine
Lage zu vergessen, und meine Phantasie streifte frei herum in den grünen Ebenen
von Steiermark oder ans den Bergen der Schweiz; aber nicht immer konnte ich
die Anfälle dumpfer Entmuthigung fern halten. Bald jedoch fand ich meine Kraft
wieder und wollte leben; die Hoffnung, mich eines Tages rächen zu können, er¬
hielt mich aufrecht. Fast den ganzen Tag saß ich in der Fenstervertiefung, manch¬
mal blieben Leute stehen, um mich anzusehen; dann zog ich mich rasch zurück,
aus Furcht, die Aufmerksamkeit der Schildwache auf mich zu lenken. Eines Abends
ging eine junge Fran über die Brücke. Sie hatte einen Blumenstrauß in der
Hand; und da sie wahrscheinlich wußte, daß ich ein kaiserlicher Officier war, zer¬
pflückte sie die Blumen und warf sie uach meinem Fenster zu. . Ich hätte ihr
gern für diesen Beweis ihrer Theilnahme, die mir außerordentlich wohl that, ge¬
dankt. Mehrere Male sah ich auch einen jungen Geistlichen über die Brücke
gehn; wenn er allein war, blieb er stets stehen und grüßte mich.

Am 21. Juli sagte mir der Profos, daß Kraue im Gefängniß gestorben sei
und daß er mir Lebewohl sagen lasse. Am 27. früh trat er abermals in meinen
Kerker. Auf seinem Gesichte stand Schweiß und sein Auge suchte deu Boden;
mit seinem Schnupftuch wischte er einige Blutstropfen von dem Aermel. „Kapitän,"
sagte er zu mir, „Kußmaneck, Braunstein und Gerberich sind eben erschossen
worden; Sie bleiben als Gefangener hier." Ich wollte mich nicht auf diese Hoff¬
nung verlassen: ich fürchtete, man werde mich für eine Execution für den Nach¬
mittag oder den folgenden Tag aufsparen. Erst am folgenden Tage, am 28. Juli
Abends, als mir der Profos sagte, daß die Hinrichtung in Folge des von De-
breczin gekommenen Befehls stattgefundn habe, erkannte ich, daß ich außer Ge¬
fahr sei. Das Erscheinen des Baus vor Umsatz hatte die Ankunft des Couriers
aus Debreczin verzögert, und als Görgey das Urtel zur Bestätigung erhielt,
machte die kaiserliche Armee unter Haynan's Führung überall siegreiche Fortschritte.
Mochte Mitleid Görgey bewegen, oder mochte er in einem Augenblicke, wo die
ungarische Sache verloren schien, sür die Zukunft fürchten, kurz, er weigerte sich,
das Todesurtheil über einen Officier zu bestätiget!.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/520>, abgerufen am 04.07.2024.