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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Am zweiten Juli, als ich langsam in meiner Käsematte auf- und abging,
kam ein ungarischer Artillerie-Hauptmann an meiner Thür vorüber; er blieb einen
Augenblick steheu, um mich anzusehen. Ich feste ruhig meinen Spaziergang fort,
er aber packte die Schildwache vor meiner Thür bei der Schulter und sagte zu
ihr: "Trage Sorge, daß uus der Hund nicht ausreißt, Du stehst mir für ihn."
Dann, wie ich vor ihm vorbeiging, drohte er mir mit zornrvthem Gesicht mit der
Faust und sagte: "Ja, ja, schwarzgelber Hund, Du mußt erschossen werden." Ich
glaubte jetzt, das Urtel sei von Debreczin angekommen; die Kräfte verließen mich,
ich bekam einen heftigen Brustkrampf, und mußte mich auf das Bett setzen.
Einen Soldaten rührte mein schmerzliches Stöhnen zu Mitleid, und er holte
einen Arzt. Dieser erschien bald, aber als er sich mir nähern wollte, befahl ihn:
der Profos, fortzugehen. Der Zorn gab mir meine ganze Kraft wieder; ich
stürzte ans den Profos los und packte ihn bei der Kehle. Der Profos stürzte
zur Käsematte hinaus, und die Wache hielt mich mit der Mute auf. Nach einer
halben Stunde kam der Oberarzt in meine Käsematte; er untersuchte meine Brust,
und gegen Abend brachte mir ein Soldat eine Flasche. Ich trank sie aus; eine
heftige Wärme durchdrang sofort meinen ganzen Körper, und ich hielt mich für
vergiftet. Der Commandant der Festung, dachte ich, wagt nicht, mich erschießen
zu lassen, ans Furcht vor den Folgen, wenn ihn vielleicht das Kriegsglück zwingt
zu eapituliren; aber jetzt kaun man sagen, ich sei an der Cholera gestorben. Die
Nacht wurde mir sehr laug; der Arzt kam erst gegen 8 Uhr. Ich war fest ent¬
schlossen, über meinen Zustand klar zu werden. "Doctor," sagte ich, "ich bin
vergiftet; verhehlen Sie mir nicht die Wahrheit." -- "Nein, nein," erwiederte
er mit bewegter Stimme, "zu so etwas werde ich nie meine Einwilligung geben.
Ich habe Frau und Kiuder und fürchte die Strafe Gottes."

Ich war schwach, aber ruhig; ich betete zu Gott, mir meine Energie zu
lassen; ich fühlte, wie in mir die Jugend mit der Krankheit kämpfte, und bald
fand sich meine ganze Kraft wieder; ich setzte mich in diese Fensternische, wo ich,
wenn ich den Kopf dnrch das Gitter steckte, ans die Brücke sehen konnte. Früh
drangen die ersten Sonnenstrahlen schief in meine Käsematte; es war für mich
ein wahrer Genuß, mich an ihnen zu wärmen, und sie zu verfolgen bis zu dem
Augenblick, wo es mit dem älter werdenden Tag wieder finster in meiller Zelle
wurde. Vor meinem Fenster auf der Contreescarpe lind in einem Theile deö
trockenen Grabens hatten arme Familien, deren Wohnungen in der Vorstadt ab¬
gebrannt waren, ihr Lager angeschlagen; die Unglücklichen waren ohne Obdach
und fast ohne Lebensmittel; die Cholera richtete große Verwüstungen unter ihnen
al,, und fast jeden Tag sah ich Einen in einer Decke forttragen; ich besinne mich
besonders noch eines Kindes von etwa 12 Jahren, das ich mehrere Tage lang
hatte schreien hören; die Krankheit zog alle seine Glieder krampfhaft zusammen,
ich sah, wie es sich zusammenbog und den Kopf zwischen die Knie verbarg, dann


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Am zweiten Juli, als ich langsam in meiner Käsematte auf- und abging,
kam ein ungarischer Artillerie-Hauptmann an meiner Thür vorüber; er blieb einen
Augenblick steheu, um mich anzusehen. Ich feste ruhig meinen Spaziergang fort,
er aber packte die Schildwache vor meiner Thür bei der Schulter und sagte zu
ihr: „Trage Sorge, daß uus der Hund nicht ausreißt, Du stehst mir für ihn."
Dann, wie ich vor ihm vorbeiging, drohte er mir mit zornrvthem Gesicht mit der
Faust und sagte: „Ja, ja, schwarzgelber Hund, Du mußt erschossen werden." Ich
glaubte jetzt, das Urtel sei von Debreczin angekommen; die Kräfte verließen mich,
ich bekam einen heftigen Brustkrampf, und mußte mich auf das Bett setzen.
Einen Soldaten rührte mein schmerzliches Stöhnen zu Mitleid, und er holte
einen Arzt. Dieser erschien bald, aber als er sich mir nähern wollte, befahl ihn:
der Profos, fortzugehen. Der Zorn gab mir meine ganze Kraft wieder; ich
stürzte ans den Profos los und packte ihn bei der Kehle. Der Profos stürzte
zur Käsematte hinaus, und die Wache hielt mich mit der Mute auf. Nach einer
halben Stunde kam der Oberarzt in meine Käsematte; er untersuchte meine Brust,
und gegen Abend brachte mir ein Soldat eine Flasche. Ich trank sie aus; eine
heftige Wärme durchdrang sofort meinen ganzen Körper, und ich hielt mich für
vergiftet. Der Commandant der Festung, dachte ich, wagt nicht, mich erschießen
zu lassen, ans Furcht vor den Folgen, wenn ihn vielleicht das Kriegsglück zwingt
zu eapituliren; aber jetzt kaun man sagen, ich sei an der Cholera gestorben. Die
Nacht wurde mir sehr laug; der Arzt kam erst gegen 8 Uhr. Ich war fest ent¬
schlossen, über meinen Zustand klar zu werden. „Doctor," sagte ich, „ich bin
vergiftet; verhehlen Sie mir nicht die Wahrheit." — „Nein, nein," erwiederte
er mit bewegter Stimme, „zu so etwas werde ich nie meine Einwilligung geben.
Ich habe Frau und Kiuder und fürchte die Strafe Gottes."

Ich war schwach, aber ruhig; ich betete zu Gott, mir meine Energie zu
lassen; ich fühlte, wie in mir die Jugend mit der Krankheit kämpfte, und bald
fand sich meine ganze Kraft wieder; ich setzte mich in diese Fensternische, wo ich,
wenn ich den Kopf dnrch das Gitter steckte, ans die Brücke sehen konnte. Früh
drangen die ersten Sonnenstrahlen schief in meine Käsematte; es war für mich
ein wahrer Genuß, mich an ihnen zu wärmen, und sie zu verfolgen bis zu dem
Augenblick, wo es mit dem älter werdenden Tag wieder finster in meiller Zelle
wurde. Vor meinem Fenster auf der Contreescarpe lind in einem Theile deö
trockenen Grabens hatten arme Familien, deren Wohnungen in der Vorstadt ab¬
gebrannt waren, ihr Lager angeschlagen; die Unglücklichen waren ohne Obdach
und fast ohne Lebensmittel; die Cholera richtete große Verwüstungen unter ihnen
al,, und fast jeden Tag sah ich Einen in einer Decke forttragen; ich besinne mich
besonders noch eines Kindes von etwa 12 Jahren, das ich mehrere Tage lang
hatte schreien hören; die Krankheit zog alle seine Glieder krampfhaft zusammen,
ich sah, wie es sich zusammenbog und den Kopf zwischen die Knie verbarg, dann


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[0519] Am zweiten Juli, als ich langsam in meiner Käsematte auf- und abging, kam ein ungarischer Artillerie-Hauptmann an meiner Thür vorüber; er blieb einen Augenblick steheu, um mich anzusehen. Ich feste ruhig meinen Spaziergang fort, er aber packte die Schildwache vor meiner Thür bei der Schulter und sagte zu ihr: „Trage Sorge, daß uus der Hund nicht ausreißt, Du stehst mir für ihn." Dann, wie ich vor ihm vorbeiging, drohte er mir mit zornrvthem Gesicht mit der Faust und sagte: „Ja, ja, schwarzgelber Hund, Du mußt erschossen werden." Ich glaubte jetzt, das Urtel sei von Debreczin angekommen; die Kräfte verließen mich, ich bekam einen heftigen Brustkrampf, und mußte mich auf das Bett setzen. Einen Soldaten rührte mein schmerzliches Stöhnen zu Mitleid, und er holte einen Arzt. Dieser erschien bald, aber als er sich mir nähern wollte, befahl ihn: der Profos, fortzugehen. Der Zorn gab mir meine ganze Kraft wieder; ich stürzte ans den Profos los und packte ihn bei der Kehle. Der Profos stürzte zur Käsematte hinaus, und die Wache hielt mich mit der Mute auf. Nach einer halben Stunde kam der Oberarzt in meine Käsematte; er untersuchte meine Brust, und gegen Abend brachte mir ein Soldat eine Flasche. Ich trank sie aus; eine heftige Wärme durchdrang sofort meinen ganzen Körper, und ich hielt mich für vergiftet. Der Commandant der Festung, dachte ich, wagt nicht, mich erschießen zu lassen, ans Furcht vor den Folgen, wenn ihn vielleicht das Kriegsglück zwingt zu eapituliren; aber jetzt kaun man sagen, ich sei an der Cholera gestorben. Die Nacht wurde mir sehr laug; der Arzt kam erst gegen 8 Uhr. Ich war fest ent¬ schlossen, über meinen Zustand klar zu werden. „Doctor," sagte ich, „ich bin vergiftet; verhehlen Sie mir nicht die Wahrheit." — „Nein, nein," erwiederte er mit bewegter Stimme, „zu so etwas werde ich nie meine Einwilligung geben. Ich habe Frau und Kiuder und fürchte die Strafe Gottes." Ich war schwach, aber ruhig; ich betete zu Gott, mir meine Energie zu lassen; ich fühlte, wie in mir die Jugend mit der Krankheit kämpfte, und bald fand sich meine ganze Kraft wieder; ich setzte mich in diese Fensternische, wo ich, wenn ich den Kopf dnrch das Gitter steckte, ans die Brücke sehen konnte. Früh drangen die ersten Sonnenstrahlen schief in meine Käsematte; es war für mich ein wahrer Genuß, mich an ihnen zu wärmen, und sie zu verfolgen bis zu dem Augenblick, wo es mit dem älter werdenden Tag wieder finster in meiller Zelle wurde. Vor meinem Fenster auf der Contreescarpe lind in einem Theile deö trockenen Grabens hatten arme Familien, deren Wohnungen in der Vorstadt ab¬ gebrannt waren, ihr Lager angeschlagen; die Unglücklichen waren ohne Obdach und fast ohne Lebensmittel; die Cholera richtete große Verwüstungen unter ihnen al,, und fast jeden Tag sah ich Einen in einer Decke forttragen; ich besinne mich besonders noch eines Kindes von etwa 12 Jahren, das ich mehrere Tage lang hatte schreien hören; die Krankheit zog alle seine Glieder krampfhaft zusammen, ich sah, wie es sich zusammenbog und den Kopf zwischen die Knie verbarg, dann 64*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/519>, abgerufen am 04.07.2024.