Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.machen" Wenn er sich aber dabei in seiner gewohnten Bescheidenheit, die ihn Zum Schluß. Herr Hebbel leidet an dem Schicksal, dem unsere Dichter machen» Wenn er sich aber dabei in seiner gewohnten Bescheidenheit, die ihn Zum Schluß. Herr Hebbel leidet an dem Schicksal, dem unsere Dichter <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0510" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92248"/> <p xml:id="ID_1585" prev="#ID_1584"> machen» Wenn er sich aber dabei in seiner gewohnten Bescheidenheit, die ihn<lb/> unter andern auch dahin bringt, sein „Trauerspiel in Sicilien" neben den<lb/> „Othello" zu stellen , ans das Beispiel der Xenien beruft, so übersteht er dabei<lb/> zweierlei. Einmal werden wir anch die Xenien nicht unbedingt billigen können.<lb/> Einen poetischen Werth haben sie nicht, und ihre Grobheit verzeihen wir ihnen<lb/> nur darum, weil ihre Verfasser die würdigere Partei waren; wer aber der<lb/> Würdigere ist, das zu entscheiden, kommt dem Betheiligten nicht zu. Außerdem<lb/> ist die Zeit eine ganz andere. Damals war im Spießbürgerthum der sogenannte<lb/> gesunde Menschenverstand das Herrschende, und die Intensivität der Empfindung<lb/> das neue siegreiche Princip, dem man es nachsehen kounte, wenn es seinen:<lb/> Triumph ewige starke Drucker aufsetzte; heutzutage ist aber das specifische Spie߬<lb/> bürgerthum gefühlvoll und romantisch geworden, und der Verstand ist es, der,<lb/> in seiue Rechte wieder eingesetzt, die aus ihren Fugen gerückte Weltanschauung<lb/> wieder in Ordnung bringen soll. Heutzutage lassen wir uns durch die roman¬<lb/> tischen Unverschämtheiten nicht mehr abschrecken, Ordnung und Verstand vom<lb/> Genius so gut zu verlangen, als von dem gemeinen Sterblichen, und wenn mir<lb/> Herr Hebbel vorwirft, des habe mich an seinem „Trauerspiel in Sicilien" ebenso<lb/> versündigt, wie Voltaire an Hamlet, und ich würde mich „unterstehen," gegen<lb/> Shakespeare's Gleichnisse, Späße, barocke Witze u. se w. ebenso unehrerbietig<lb/> zu sein, als gegen seine eigenen, so acceptire ich diese Voraussetzung gern.<lb/> Shakespeare hat in seinen Ausdrücken Vieles, was man auch in Hebbel wieder¬<lb/> finden kann und was bei dem Einen so geschmacklos ist als bei dem Andern;<lb/> und so lange man nicht besser nachgewiesen hat, als bisher, wie in einzelnen<lb/> Scenen des Hamlet das Gesetz des Zusammenhangs, der Spannung und<lb/> Steigerung, so wie das Gesetz der Charakterbildung richtig beobachtet ist, so<lb/> lauge wird man uus uicht zumuthen, diesem Drama trotz des Großen, was es<lb/> enthält, die Mustergültigkeit eiues Kunstwerks zuzusprechen. Daß man bei<lb/> Shakespeare nicht mehr das Gewicht ans diese Nebensachen legt, das die englischen<lb/> Kritiker seiner Zeit nicht umgehen zu können glaubten, liegt theils in der Un¬<lb/> sicherheit unsers Geschmacks, theils in dem Umstand, daß es bei Shakespeare<lb/> allerdings Nebensachen sind. Wo dergleichen aber Hauptsache wird, darf mau<lb/> nicht so nachsichtig sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1586" next="#ID_1587"> Zum Schluß. Herr Hebbel leidet an dem Schicksal, dem unsere Dichter<lb/> vou Talent ohne Ausnahme ausgesetzt sind. Es drängen sich um sie eine Menge<lb/> unreifer Dilettanten, die sie mit Lobhudeleien so überschütten, daß ein sehr ener¬<lb/> gischer Verstand und ein sicherer souveräner Charakter dazu gehört, die Wirklich¬<lb/> keit nicht aus deu Augen zu verlieren. Herr Hebbel täuscht sich über die Aner¬<lb/> kennung, die er im Publicum findet, auf eine sehr verhängnißvolle Weise. Ich<lb/> will uicht darauf Gewicht legen, daß bei seinen neuesten Werken auch seine wärm¬<lb/> sten Verehrer dasselbe Verdammungsurtheil ausgesprochen haben, welches ich bei</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0510]
machen» Wenn er sich aber dabei in seiner gewohnten Bescheidenheit, die ihn
unter andern auch dahin bringt, sein „Trauerspiel in Sicilien" neben den
„Othello" zu stellen , ans das Beispiel der Xenien beruft, so übersteht er dabei
zweierlei. Einmal werden wir anch die Xenien nicht unbedingt billigen können.
Einen poetischen Werth haben sie nicht, und ihre Grobheit verzeihen wir ihnen
nur darum, weil ihre Verfasser die würdigere Partei waren; wer aber der
Würdigere ist, das zu entscheiden, kommt dem Betheiligten nicht zu. Außerdem
ist die Zeit eine ganz andere. Damals war im Spießbürgerthum der sogenannte
gesunde Menschenverstand das Herrschende, und die Intensivität der Empfindung
das neue siegreiche Princip, dem man es nachsehen kounte, wenn es seinen:
Triumph ewige starke Drucker aufsetzte; heutzutage ist aber das specifische Spie߬
bürgerthum gefühlvoll und romantisch geworden, und der Verstand ist es, der,
in seiue Rechte wieder eingesetzt, die aus ihren Fugen gerückte Weltanschauung
wieder in Ordnung bringen soll. Heutzutage lassen wir uns durch die roman¬
tischen Unverschämtheiten nicht mehr abschrecken, Ordnung und Verstand vom
Genius so gut zu verlangen, als von dem gemeinen Sterblichen, und wenn mir
Herr Hebbel vorwirft, des habe mich an seinem „Trauerspiel in Sicilien" ebenso
versündigt, wie Voltaire an Hamlet, und ich würde mich „unterstehen," gegen
Shakespeare's Gleichnisse, Späße, barocke Witze u. se w. ebenso unehrerbietig
zu sein, als gegen seine eigenen, so acceptire ich diese Voraussetzung gern.
Shakespeare hat in seinen Ausdrücken Vieles, was man auch in Hebbel wieder¬
finden kann und was bei dem Einen so geschmacklos ist als bei dem Andern;
und so lange man nicht besser nachgewiesen hat, als bisher, wie in einzelnen
Scenen des Hamlet das Gesetz des Zusammenhangs, der Spannung und
Steigerung, so wie das Gesetz der Charakterbildung richtig beobachtet ist, so
lauge wird man uus uicht zumuthen, diesem Drama trotz des Großen, was es
enthält, die Mustergültigkeit eiues Kunstwerks zuzusprechen. Daß man bei
Shakespeare nicht mehr das Gewicht ans diese Nebensachen legt, das die englischen
Kritiker seiner Zeit nicht umgehen zu können glaubten, liegt theils in der Un¬
sicherheit unsers Geschmacks, theils in dem Umstand, daß es bei Shakespeare
allerdings Nebensachen sind. Wo dergleichen aber Hauptsache wird, darf mau
nicht so nachsichtig sein.
Zum Schluß. Herr Hebbel leidet an dem Schicksal, dem unsere Dichter
vou Talent ohne Ausnahme ausgesetzt sind. Es drängen sich um sie eine Menge
unreifer Dilettanten, die sie mit Lobhudeleien so überschütten, daß ein sehr ener¬
gischer Verstand und ein sicherer souveräner Charakter dazu gehört, die Wirklich¬
keit nicht aus deu Augen zu verlieren. Herr Hebbel täuscht sich über die Aner¬
kennung, die er im Publicum findet, auf eine sehr verhängnißvolle Weise. Ich
will uicht darauf Gewicht legen, daß bei seinen neuesten Werken auch seine wärm¬
sten Verehrer dasselbe Verdammungsurtheil ausgesprochen haben, welches ich bei
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |