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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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seinen frühern Werken fürchtend voraussagte, aber er möge sich umsehen in den
Kreisen des eigentlichen Volks, welches hier competent ist, die Jugend mit In¬
begriffen, und er wird finden, daß in den meisten Fällen der einzige Eindruck,
den seine Werke machen, Unwille oder Geringschätzung ist. Eigentlich nehmen nur,
mit Ausnahme halbreifer Weiber und ähnlicher Sphären der Gesellschaft, diejenigen
Kreise fortdauernden Antheil an ihm, die sich specifisch mit der Literatur beschäftige",
und denen es in deu meisten Fällen ähnlich ergeht, wie ich eS von mir geschil¬
dert habe. Wenn Herr Hebbel meint, daß seiue Werke trotz der Abneigung, die
er mir Schuld gibt, uoch immer einen bedeutenden Eindruck auf mich macheu, so
hat er darin ganz Recht, aber es ist dieser unangenehme Eindruck, deu wir im¬
mer haben, wenn wir es mit ansehen, wie eine der Anlage uach tüchtige Natur
durch eigene Schuld schmählich zu Grunde geht.




Das vorliegende Trauerspiel ist, wie die Vorrede berichtet, im Jahr 1847
geschrieben. Die Versuche, eS auf die Bühne zu bringen, siud bis jetzt geschei¬
tert. Bei eiuer Hofbuhue würden in der That die Bedeuten zu groß sein; die
größern Stadttheater sollten aber deu Versuch einmal wagen. Das Stück ist
bühnengerecht, erfordert uur eine genüge Anzahl von Personen, gibt einigen Dar¬
stellern Gelegenheit zu charakteristischem Spiel, und diejenigen Stellen, welche
beim Publicum am meisten Anstoß erregen würden, können ohne Nachtheil
für deu Zusamenhang gestrichen werden -- was allerdings für das Stück keine
Empfehlung ist. Es ist freilich auch dann uicht anzunehmen, daß es einen gün¬
stigen Erfolg haben wird. Es fehlt dem Stück die eigentliche Spannung; es ist
blos Exposition ohne Krisis. Dabei ist die Sprache so gekniffen, daß mau selbst
beim Lesen ihr uicht ohne Schwierigkeit folgen kauu"), und die Charaktere wie
die Motive ihres Handelns so raffinirt augelegt, daß mau erst eines gewissen
Kraftanfwauds bedarf, um sich überhaupt in sie hineinzufinden.

Der Lauf der Handlung, abgesehen von den Episoden, ans die wir nachher
kommen werden, ist folgender. Julia, die Tochter eines italienischen Aristokraten,
Tvbaldi, unterliegt der Verführung eines gewissen Antonio. - Sie verabredet sich
mit ihm zu entfliehen, aber er bleibt vou dem Stelldichein ans. Da sie sich in
dem Zustand befindet, in welchem uns auch die Maria Magdalena entgegentritt, so eut-



*) Ich überhebe mich diesmal der Citate, weil man eigentlich das ganze Stück anführen
wußte, will aber auf einige Stellen aufmerksam machen, z. B. p. 8, wo Tobaldi in der
ernstesten Stimmung vom Tode sagt: "er macht Mist aus dem Menschen, oder Blnmcn-
futter", >pas, wie die meisten dieser Einfälle, ganz Jean Paul ist. Oder i>. 10, II,
13, 23, 35, 56, 08, 9t> u. s. w. -- Von den gräulichen Bildern ist schon einiges angeführt;
ich erwähne nur noch aus der Vorrede das Behagen, mit welchem H. sich ausmalt, wie ein
Tartar mir die Zunge ausreißt und ans den Rücken nagelt. -- Uebrigens kehren die Einfälle
zuweilen wieder (z. B. vergl. i>. 3? mit der betreffenden Scene im Diamanten), wie eS bei
so barockem Wesen nicht anders möglich ist.
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seinen frühern Werken fürchtend voraussagte, aber er möge sich umsehen in den
Kreisen des eigentlichen Volks, welches hier competent ist, die Jugend mit In¬
begriffen, und er wird finden, daß in den meisten Fällen der einzige Eindruck,
den seine Werke machen, Unwille oder Geringschätzung ist. Eigentlich nehmen nur,
mit Ausnahme halbreifer Weiber und ähnlicher Sphären der Gesellschaft, diejenigen
Kreise fortdauernden Antheil an ihm, die sich specifisch mit der Literatur beschäftige«,
und denen es in deu meisten Fällen ähnlich ergeht, wie ich eS von mir geschil¬
dert habe. Wenn Herr Hebbel meint, daß seiue Werke trotz der Abneigung, die
er mir Schuld gibt, uoch immer einen bedeutenden Eindruck auf mich macheu, so
hat er darin ganz Recht, aber es ist dieser unangenehme Eindruck, deu wir im¬
mer haben, wenn wir es mit ansehen, wie eine der Anlage uach tüchtige Natur
durch eigene Schuld schmählich zu Grunde geht.




Das vorliegende Trauerspiel ist, wie die Vorrede berichtet, im Jahr 1847
geschrieben. Die Versuche, eS auf die Bühne zu bringen, siud bis jetzt geschei¬
tert. Bei eiuer Hofbuhue würden in der That die Bedeuten zu groß sein; die
größern Stadttheater sollten aber deu Versuch einmal wagen. Das Stück ist
bühnengerecht, erfordert uur eine genüge Anzahl von Personen, gibt einigen Dar¬
stellern Gelegenheit zu charakteristischem Spiel, und diejenigen Stellen, welche
beim Publicum am meisten Anstoß erregen würden, können ohne Nachtheil
für deu Zusamenhang gestrichen werden — was allerdings für das Stück keine
Empfehlung ist. Es ist freilich auch dann uicht anzunehmen, daß es einen gün¬
stigen Erfolg haben wird. Es fehlt dem Stück die eigentliche Spannung; es ist
blos Exposition ohne Krisis. Dabei ist die Sprache so gekniffen, daß mau selbst
beim Lesen ihr uicht ohne Schwierigkeit folgen kauu"), und die Charaktere wie
die Motive ihres Handelns so raffinirt augelegt, daß mau erst eines gewissen
Kraftanfwauds bedarf, um sich überhaupt in sie hineinzufinden.

Der Lauf der Handlung, abgesehen von den Episoden, ans die wir nachher
kommen werden, ist folgender. Julia, die Tochter eines italienischen Aristokraten,
Tvbaldi, unterliegt der Verführung eines gewissen Antonio. - Sie verabredet sich
mit ihm zu entfliehen, aber er bleibt vou dem Stelldichein ans. Da sie sich in
dem Zustand befindet, in welchem uns auch die Maria Magdalena entgegentritt, so eut-



*) Ich überhebe mich diesmal der Citate, weil man eigentlich das ganze Stück anführen
wußte, will aber auf einige Stellen aufmerksam machen, z. B. p. 8, wo Tobaldi in der
ernstesten Stimmung vom Tode sagt: „er macht Mist aus dem Menschen, oder Blnmcn-
futter", >pas, wie die meisten dieser Einfälle, ganz Jean Paul ist. Oder i>. 10, II,
13, 23, 35, 56, 08, 9t> u. s. w. — Von den gräulichen Bildern ist schon einiges angeführt;
ich erwähne nur noch aus der Vorrede das Behagen, mit welchem H. sich ausmalt, wie ein
Tartar mir die Zunge ausreißt und ans den Rücken nagelt. — Uebrigens kehren die Einfälle
zuweilen wieder (z. B. vergl. i>. 3? mit der betreffenden Scene im Diamanten), wie eS bei
so barockem Wesen nicht anders möglich ist.
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[0511] seinen frühern Werken fürchtend voraussagte, aber er möge sich umsehen in den Kreisen des eigentlichen Volks, welches hier competent ist, die Jugend mit In¬ begriffen, und er wird finden, daß in den meisten Fällen der einzige Eindruck, den seine Werke machen, Unwille oder Geringschätzung ist. Eigentlich nehmen nur, mit Ausnahme halbreifer Weiber und ähnlicher Sphären der Gesellschaft, diejenigen Kreise fortdauernden Antheil an ihm, die sich specifisch mit der Literatur beschäftige«, und denen es in deu meisten Fällen ähnlich ergeht, wie ich eS von mir geschil¬ dert habe. Wenn Herr Hebbel meint, daß seiue Werke trotz der Abneigung, die er mir Schuld gibt, uoch immer einen bedeutenden Eindruck auf mich macheu, so hat er darin ganz Recht, aber es ist dieser unangenehme Eindruck, deu wir im¬ mer haben, wenn wir es mit ansehen, wie eine der Anlage uach tüchtige Natur durch eigene Schuld schmählich zu Grunde geht. Das vorliegende Trauerspiel ist, wie die Vorrede berichtet, im Jahr 1847 geschrieben. Die Versuche, eS auf die Bühne zu bringen, siud bis jetzt geschei¬ tert. Bei eiuer Hofbuhue würden in der That die Bedeuten zu groß sein; die größern Stadttheater sollten aber deu Versuch einmal wagen. Das Stück ist bühnengerecht, erfordert uur eine genüge Anzahl von Personen, gibt einigen Dar¬ stellern Gelegenheit zu charakteristischem Spiel, und diejenigen Stellen, welche beim Publicum am meisten Anstoß erregen würden, können ohne Nachtheil für deu Zusamenhang gestrichen werden — was allerdings für das Stück keine Empfehlung ist. Es ist freilich auch dann uicht anzunehmen, daß es einen gün¬ stigen Erfolg haben wird. Es fehlt dem Stück die eigentliche Spannung; es ist blos Exposition ohne Krisis. Dabei ist die Sprache so gekniffen, daß mau selbst beim Lesen ihr uicht ohne Schwierigkeit folgen kauu"), und die Charaktere wie die Motive ihres Handelns so raffinirt augelegt, daß mau erst eines gewissen Kraftanfwauds bedarf, um sich überhaupt in sie hineinzufinden. Der Lauf der Handlung, abgesehen von den Episoden, ans die wir nachher kommen werden, ist folgender. Julia, die Tochter eines italienischen Aristokraten, Tvbaldi, unterliegt der Verführung eines gewissen Antonio. - Sie verabredet sich mit ihm zu entfliehen, aber er bleibt vou dem Stelldichein ans. Da sie sich in dem Zustand befindet, in welchem uns auch die Maria Magdalena entgegentritt, so eut- *) Ich überhebe mich diesmal der Citate, weil man eigentlich das ganze Stück anführen wußte, will aber auf einige Stellen aufmerksam machen, z. B. p. 8, wo Tobaldi in der ernstesten Stimmung vom Tode sagt: „er macht Mist aus dem Menschen, oder Blnmcn- futter", >pas, wie die meisten dieser Einfälle, ganz Jean Paul ist. Oder i>. 10, II, 13, 23, 35, 56, 08, 9t> u. s. w. — Von den gräulichen Bildern ist schon einiges angeführt; ich erwähne nur noch aus der Vorrede das Behagen, mit welchem H. sich ausmalt, wie ein Tartar mir die Zunge ausreißt und ans den Rücken nagelt. — Uebrigens kehren die Einfälle zuweilen wieder (z. B. vergl. i>. 3? mit der betreffenden Scene im Diamanten), wie eS bei so barockem Wesen nicht anders möglich ist. 63*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/511>, abgerufen am 27.06.2024.