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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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(ebenso hat er sich nämlich meine erste Recension dadurch erklärt, ich sei von
Gutzkow bestochen worden), gesunde und wohlthuende Gestalten schaffen kann!
Wenn man ihm den Vorwurf der Unsittlichkeit gemacht hat, was von mir übrigens
nicht geschehen ist, so hat man damit nichts Anderes gemeint, als jene Krank¬
haftigkeit des sittlichen Empfindens, die von einem alle Grenzen des Menschlichen
überschreitenden Dünkel nicht zu'trennen ist. Wenn er am Schlich seiner Anti¬
kritik sagt, nachdem er vorher versichert, er halte sich nicht für den größten
Dichter: "Wenn ich anch nichts über meine Zukunft weiß, dies weiß ich, daß
meine Zeit eiuer spätern gegenüber ihre eigene Moralität gar nicht ärger ver¬
dächtigen kann, als dnrch die Zweifel, die sie in die meinige setzt," und wenn
diese Erklärung in der folgenden ihre nähere Erläuterung findet: "Ich weiß
es recht gut, daß mir nichts widerstrebt, als das allgemeine Mißbehagen, das
gewöhnlich zu entstehen pflegt, wenn Jemand die wankende Gesellschaft in ihrem
süßen Traume ewiger Dauer zu stören und sie auf die ihr drohende Gefahr auf¬
merksam zu machen wagt" -- so ist das eine arge Umkehr der Begriffe. Die
objective Welt ist trotz ihres unendlichen Reichthums uur ein Spiegel, in welchem
die hineinschauende Seele ihr eigenes Bild erblickt; das heitere und klare Ange
eines Göthe sieht überall das Schöne und Vollkommene, einem kranken Gemüth
grinsen vou allen Seiten scheußliche Teufelsfratzen entgegen.

Ich habe schon im vorigen Heft Gelegenheit gehabt, mich über das höchst
Bedenkliche der Stellung auszusprechen, welche die romantische Schule dem
Dichter der Gesellschaft gegenüber gegeben hat. Wir leben nicht mehr in der
Zeit der Brahminen, und wir können froh darüber sein. Der Dichter wie der
Geistliche, denen wir mit Freude, Bewunderung und Verehrung lauschen, wenn
sie uus unsere eigeuen Empfindungen veredeln und aus dem Reichthum ihrer
Seele uus eine Fülle heiterer und großer Gestalten schenken, dürfen in dem
wirklichen Leben nichts Anderes sein wollen, als Gentlemen. Der Wahnsinn
des Eigendünkels, der den Dichter über das sittliche Niveau seiner Zeit zu er¬
heben scheint, drückt ihn unter dasselbe herab, "und wer seinen Kopf wie eine
Monstranz trägt, trägt ihn nicht auf eine anständige Art. Wenn Herr Hebbel
nach seinem eigenen Ausdruck glaubt, der Dichter, der mit Recensenten verkehre,
sei "wie ein König in der Kneipe der Kärrner", und dieses Verhältniß da¬
durch ius richtige Geleis zu bringen hofft, daß er sich selber wie ein Kärrner
benimmt, so setzt er sich selber herab und nicht seine Gegner. Eine exceptionelle
Stellung in der Gesellschaft ist uicht heilsam für einen reizbaren Poeten, sie ver¬
dirbt nicht nur sein sittliches Urtheil, sondern anch seinen Geschmack. Wenn er
seine Gegner durch Ausdrücke wie "Frechheit", "Abfertigung ", "Species," "sich
unterstehen" und dergleichen zu widerlegen glaubt, so ist das mauvuw g-vA im
höchsten Grade, und schmeckt zu sehr nach den Gewohnheiten der Gesindestube,
wu auch uur in den niederen Kreisen des Publicums die bezweckte Wirkung zu


Grenzboten. I. 1851. 63

(ebenso hat er sich nämlich meine erste Recension dadurch erklärt, ich sei von
Gutzkow bestochen worden), gesunde und wohlthuende Gestalten schaffen kann!
Wenn man ihm den Vorwurf der Unsittlichkeit gemacht hat, was von mir übrigens
nicht geschehen ist, so hat man damit nichts Anderes gemeint, als jene Krank¬
haftigkeit des sittlichen Empfindens, die von einem alle Grenzen des Menschlichen
überschreitenden Dünkel nicht zu'trennen ist. Wenn er am Schlich seiner Anti¬
kritik sagt, nachdem er vorher versichert, er halte sich nicht für den größten
Dichter: „Wenn ich anch nichts über meine Zukunft weiß, dies weiß ich, daß
meine Zeit eiuer spätern gegenüber ihre eigene Moralität gar nicht ärger ver¬
dächtigen kann, als dnrch die Zweifel, die sie in die meinige setzt," und wenn
diese Erklärung in der folgenden ihre nähere Erläuterung findet: „Ich weiß
es recht gut, daß mir nichts widerstrebt, als das allgemeine Mißbehagen, das
gewöhnlich zu entstehen pflegt, wenn Jemand die wankende Gesellschaft in ihrem
süßen Traume ewiger Dauer zu stören und sie auf die ihr drohende Gefahr auf¬
merksam zu machen wagt" — so ist das eine arge Umkehr der Begriffe. Die
objective Welt ist trotz ihres unendlichen Reichthums uur ein Spiegel, in welchem
die hineinschauende Seele ihr eigenes Bild erblickt; das heitere und klare Ange
eines Göthe sieht überall das Schöne und Vollkommene, einem kranken Gemüth
grinsen vou allen Seiten scheußliche Teufelsfratzen entgegen.

Ich habe schon im vorigen Heft Gelegenheit gehabt, mich über das höchst
Bedenkliche der Stellung auszusprechen, welche die romantische Schule dem
Dichter der Gesellschaft gegenüber gegeben hat. Wir leben nicht mehr in der
Zeit der Brahminen, und wir können froh darüber sein. Der Dichter wie der
Geistliche, denen wir mit Freude, Bewunderung und Verehrung lauschen, wenn
sie uus unsere eigeuen Empfindungen veredeln und aus dem Reichthum ihrer
Seele uus eine Fülle heiterer und großer Gestalten schenken, dürfen in dem
wirklichen Leben nichts Anderes sein wollen, als Gentlemen. Der Wahnsinn
des Eigendünkels, der den Dichter über das sittliche Niveau seiner Zeit zu er¬
heben scheint, drückt ihn unter dasselbe herab, "und wer seinen Kopf wie eine
Monstranz trägt, trägt ihn nicht auf eine anständige Art. Wenn Herr Hebbel
nach seinem eigenen Ausdruck glaubt, der Dichter, der mit Recensenten verkehre,
sei „wie ein König in der Kneipe der Kärrner", und dieses Verhältniß da¬
durch ius richtige Geleis zu bringen hofft, daß er sich selber wie ein Kärrner
benimmt, so setzt er sich selber herab und nicht seine Gegner. Eine exceptionelle
Stellung in der Gesellschaft ist uicht heilsam für einen reizbaren Poeten, sie ver¬
dirbt nicht nur sein sittliches Urtheil, sondern anch seinen Geschmack. Wenn er
seine Gegner durch Ausdrücke wie „Frechheit", „Abfertigung ", „Species," „sich
unterstehen" und dergleichen zu widerlegen glaubt, so ist das mauvuw g-vA im
höchsten Grade, und schmeckt zu sehr nach den Gewohnheiten der Gesindestube,
wu auch uur in den niederen Kreisen des Publicums die bezweckte Wirkung zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/509>, abgerufen am 24.07.2024.