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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Wirkliches, sondern als Erscheinung seiner Ideen. Der Idealismus der Gegen¬
wart ist es, welchen er mit seiner mächtigen, unendlich reichen Künstlerkraft ver¬
tritt, während die lebenden Maler geistlicher und heiliger Bilder im Idealismus
der Vergangenheit, vor einem todten Ideale schwärmen.

Wie Rafael ans der Grenze stand, von wo ab das katholische Princip
von seinem höchsten Glänze herabsteigen sollte, wie er, vor dieser Katastrophe
und während schon in Deutschland die Reformation den Kampf gegen die allein¬
seligmachende Kirche begann, noch das Ideal des Katholicismus in die reinste
und schönste Kunstform hauchte, so steht Kaulbach ans der Grenze, wo die
Wirklichkeit des politischen und gesellschaftlichen Lebens Front macht gegen die
Theorieen und Systeme der deutschen Philosophen. Der Wissenschaft muß die
Philosophie, der Kunst muß das Ideal erhalten bleiben, aber beide müssen schöpfen
vom Quell des Lebens und sich verjüngen an einer sinnlich kräftigen Wirklichkeit
des Daseins in Natur und Geschichte; beide müsse n n i es tmehrsein wolle n,
als sie in Wahrheit sein können: menschlich wahres, sittlich ge¬
sundes, gegenständlich treues Verstehen der Dinge in ihrer charak-
tervolleu Wirklichkeit. Kaulbach ist die herrlichste nud vollendetste Blüthe
einer zum Abschluß reifen Kunstperiode, welche in Düsseldorf und Mün¬
chen ihre Wurzeln hat. Zugleich aber steht er mit seiner meisterhaften Technik,
mit allem rein Malerischen an seinen Werken als ein Heros da für alle Zeiten,
ein Meister der Malerkunst von seltener Hoheit und Größe. Denn wie Rafael
ist er viel'zu sehr Maler, um uicht die Wahrbeit des sinnlichen Lebens, des wirk¬
lichen Daseins trotz aller Abstraction und Symbolik voll und kräftig in seine
A. G. Werke mit hereinzuziehen.




Julia.
Trauerspiel vou Hebbel.

Herr Hebbel hat die Ausgabe seiner Julia dazu benutzt, meinen Kritiken
durch eine Antikritik zu antworten. In der Regel pflege ich ans solche Angriffe
nichts zu erwidern, weil ein solcher Streit, der sich um die Beurtheilung eines
Kunstwerkes dreht, zuletzt immer von dem eigentlichen Gegenstande abschweift. Die
Replik beschuldigt den Kritiker, von dein beurtheilten Kunstwerke, das er doch
unmöglich ganz abdrucken kaun, dem Publicum nicht ein getreues Bild gegeben
ZU haben, wenigstens nicht in den Dimensionen, wie es der Dichter beanspruchen
dürfe; die Duplik wird mit der Replik dasselbe thun, und so wird es bis ins


Wirkliches, sondern als Erscheinung seiner Ideen. Der Idealismus der Gegen¬
wart ist es, welchen er mit seiner mächtigen, unendlich reichen Künstlerkraft ver¬
tritt, während die lebenden Maler geistlicher und heiliger Bilder im Idealismus
der Vergangenheit, vor einem todten Ideale schwärmen.

Wie Rafael ans der Grenze stand, von wo ab das katholische Princip
von seinem höchsten Glänze herabsteigen sollte, wie er, vor dieser Katastrophe
und während schon in Deutschland die Reformation den Kampf gegen die allein¬
seligmachende Kirche begann, noch das Ideal des Katholicismus in die reinste
und schönste Kunstform hauchte, so steht Kaulbach ans der Grenze, wo die
Wirklichkeit des politischen und gesellschaftlichen Lebens Front macht gegen die
Theorieen und Systeme der deutschen Philosophen. Der Wissenschaft muß die
Philosophie, der Kunst muß das Ideal erhalten bleiben, aber beide müssen schöpfen
vom Quell des Lebens und sich verjüngen an einer sinnlich kräftigen Wirklichkeit
des Daseins in Natur und Geschichte; beide müsse n n i es tmehrsein wolle n,
als sie in Wahrheit sein können: menschlich wahres, sittlich ge¬
sundes, gegenständlich treues Verstehen der Dinge in ihrer charak-
tervolleu Wirklichkeit. Kaulbach ist die herrlichste nud vollendetste Blüthe
einer zum Abschluß reifen Kunstperiode, welche in Düsseldorf und Mün¬
chen ihre Wurzeln hat. Zugleich aber steht er mit seiner meisterhaften Technik,
mit allem rein Malerischen an seinen Werken als ein Heros da für alle Zeiten,
ein Meister der Malerkunst von seltener Hoheit und Größe. Denn wie Rafael
ist er viel'zu sehr Maler, um uicht die Wahrbeit des sinnlichen Lebens, des wirk¬
lichen Daseins trotz aller Abstraction und Symbolik voll und kräftig in seine
A. G. Werke mit hereinzuziehen.




Julia.
Trauerspiel vou Hebbel.

Herr Hebbel hat die Ausgabe seiner Julia dazu benutzt, meinen Kritiken
durch eine Antikritik zu antworten. In der Regel pflege ich ans solche Angriffe
nichts zu erwidern, weil ein solcher Streit, der sich um die Beurtheilung eines
Kunstwerkes dreht, zuletzt immer von dem eigentlichen Gegenstande abschweift. Die
Replik beschuldigt den Kritiker, von dein beurtheilten Kunstwerke, das er doch
unmöglich ganz abdrucken kaun, dem Publicum nicht ein getreues Bild gegeben
ZU haben, wenigstens nicht in den Dimensionen, wie es der Dichter beanspruchen
dürfe; die Duplik wird mit der Replik dasselbe thun, und so wird es bis ins


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[0505] Wirkliches, sondern als Erscheinung seiner Ideen. Der Idealismus der Gegen¬ wart ist es, welchen er mit seiner mächtigen, unendlich reichen Künstlerkraft ver¬ tritt, während die lebenden Maler geistlicher und heiliger Bilder im Idealismus der Vergangenheit, vor einem todten Ideale schwärmen. Wie Rafael ans der Grenze stand, von wo ab das katholische Princip von seinem höchsten Glänze herabsteigen sollte, wie er, vor dieser Katastrophe und während schon in Deutschland die Reformation den Kampf gegen die allein¬ seligmachende Kirche begann, noch das Ideal des Katholicismus in die reinste und schönste Kunstform hauchte, so steht Kaulbach ans der Grenze, wo die Wirklichkeit des politischen und gesellschaftlichen Lebens Front macht gegen die Theorieen und Systeme der deutschen Philosophen. Der Wissenschaft muß die Philosophie, der Kunst muß das Ideal erhalten bleiben, aber beide müssen schöpfen vom Quell des Lebens und sich verjüngen an einer sinnlich kräftigen Wirklichkeit des Daseins in Natur und Geschichte; beide müsse n n i es tmehrsein wolle n, als sie in Wahrheit sein können: menschlich wahres, sittlich ge¬ sundes, gegenständlich treues Verstehen der Dinge in ihrer charak- tervolleu Wirklichkeit. Kaulbach ist die herrlichste nud vollendetste Blüthe einer zum Abschluß reifen Kunstperiode, welche in Düsseldorf und Mün¬ chen ihre Wurzeln hat. Zugleich aber steht er mit seiner meisterhaften Technik, mit allem rein Malerischen an seinen Werken als ein Heros da für alle Zeiten, ein Meister der Malerkunst von seltener Hoheit und Größe. Denn wie Rafael ist er viel'zu sehr Maler, um uicht die Wahrbeit des sinnlichen Lebens, des wirk¬ lichen Daseins trotz aller Abstraction und Symbolik voll und kräftig in seine A. G. Werke mit hereinzuziehen. Julia. Trauerspiel vou Hebbel. Herr Hebbel hat die Ausgabe seiner Julia dazu benutzt, meinen Kritiken durch eine Antikritik zu antworten. In der Regel pflege ich ans solche Angriffe nichts zu erwidern, weil ein solcher Streit, der sich um die Beurtheilung eines Kunstwerkes dreht, zuletzt immer von dem eigentlichen Gegenstande abschweift. Die Replik beschuldigt den Kritiker, von dein beurtheilten Kunstwerke, das er doch unmöglich ganz abdrucken kaun, dem Publicum nicht ein getreues Bild gegeben ZU haben, wenigstens nicht in den Dimensionen, wie es der Dichter beanspruchen dürfe; die Duplik wird mit der Replik dasselbe thun, und so wird es bis ins

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/505>, abgerufen am 27.06.2024.