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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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knaben, dem die ganze Zukunft der Passionsgeschichte im Spiegel des tiefsinnigen
Auges liegt, ein Kind mit göttlichem Bewußtsein, und malte dann wieder die
sinnlich lebendige Schönheit seiner Fornarina den Gläubigen zur Anbetung als
lichtmuflossene Mutter Gottes.

Im Schooße des Protestantismus erstand eine Philosophie, welche von Jakob
Böhme bis auf Hegel sich damit beschäftigte, das All, den Ursprung und die
Haltung der Welt, das Wesen der Wesen, die Gottheit, die absolute Idee aus
dem menschlichen Begriffe von dem, was da ist, zu ergründen. Diese Philosophie
konnte nicht eher einen Bund schließen mit der Phantasie und uicht eher eine
Kunst erzeugen, als bis sie die Abstractionen wieder zurückgeleitet hatte zur Ein¬
heit mit der Wirklichkeit. Dies haben Schelling und Hegel gethan, freilich
in einer Weise, die selbst bei Hegel immer noch jenem subjectiven Idealismus
angehört, welcher die Idee des philosophirenden Denkens von dem Weltall als
die Form betrachtet, in der dieses Weltall selber ruht. Denn die absolute Idee,
welche die Erscheinungen der Wirklichkeit zugleich aus sich entläßt und zugleich in
sich enthält, ist ebeu auch nur eine Idee des Philosophen Hegel. Aber dieser
hatte doch die ganze gegenständliche Fülle des Seienden und Wirklichen theo¬
retisch in seine Idee der Gottheit als Momente ihres Wesens aufgenommen,
und so war in der Theorie die Einheit des Idealen und Realen vollzogen. In¬
dem sich dieses philosophische System auf die Geschichte übertrug, wurden die
Momente der Gottesidee zu großen Schritten und Stufen der geschichtlichen Ent¬
wickelung, der wechselnden, immer aber sich mehr und mehr mit dem Zuhalte der
Wahrheit erfüllenden Culturperiodeu. Ich weiß uicht, ob Kaulbach sich jemals
mit dieser Philosophie der Geschichte beschäftigt hat, aber er gestaltete sie in
seinen Gemälden und Cartons, welche den Gang der Weltgeschichte malerisch vor
uns darlegen sollen. Er malt uns in seinen Bildern die Gottheit, welche Eins
ist mit der jedesmaligen Idee von der Gottheit, er gibt uns überall mehr oder
weniger die Idee gewisser Geschichtsperiodeu nicht in der Gestalt eines hervor¬
ragenden und dieselbe charakterisirenden wirklichen Ereignisses, sondern als symbo¬
lisch räumliche Einheit möglichst aller besonderen Momente ihrer geschichtlichen
Erscheinung und Wirksamkeit. Bald zeigt sich diese idealische Richtung vorzugs¬
weise in dem Grundgedanken des Bildes, bald mehr in der Gruppirung desselben,
bald endlich erhebt sie sich als idealer Humor über deu ganzen Strom der Welt¬
geschichte und erblickt in seinem Wellenspiel lächelnd ein Steigen und Sinken im
launig kindlichen Wechsel.

Kaulbach steht, auch abgesehen von seinem Andere überragender maleri¬
schen Genius, ungleich höher mit seiner idealischen Richtung als jene geistlichen
Maler der Neuzeit, welche noch hente im alten Kirchenstile malen. Er senkt sich
mit seinem reichen Gedankenleben in das wirkliche, geschichtliche Dasein, schwärmt
nicht im Unsinnlichen undMeb erirdisch en; er ergreift nur das Wirkliche uicht als


knaben, dem die ganze Zukunft der Passionsgeschichte im Spiegel des tiefsinnigen
Auges liegt, ein Kind mit göttlichem Bewußtsein, und malte dann wieder die
sinnlich lebendige Schönheit seiner Fornarina den Gläubigen zur Anbetung als
lichtmuflossene Mutter Gottes.

Im Schooße des Protestantismus erstand eine Philosophie, welche von Jakob
Böhme bis auf Hegel sich damit beschäftigte, das All, den Ursprung und die
Haltung der Welt, das Wesen der Wesen, die Gottheit, die absolute Idee aus
dem menschlichen Begriffe von dem, was da ist, zu ergründen. Diese Philosophie
konnte nicht eher einen Bund schließen mit der Phantasie und uicht eher eine
Kunst erzeugen, als bis sie die Abstractionen wieder zurückgeleitet hatte zur Ein¬
heit mit der Wirklichkeit. Dies haben Schelling und Hegel gethan, freilich
in einer Weise, die selbst bei Hegel immer noch jenem subjectiven Idealismus
angehört, welcher die Idee des philosophirenden Denkens von dem Weltall als
die Form betrachtet, in der dieses Weltall selber ruht. Denn die absolute Idee,
welche die Erscheinungen der Wirklichkeit zugleich aus sich entläßt und zugleich in
sich enthält, ist ebeu auch nur eine Idee des Philosophen Hegel. Aber dieser
hatte doch die ganze gegenständliche Fülle des Seienden und Wirklichen theo¬
retisch in seine Idee der Gottheit als Momente ihres Wesens aufgenommen,
und so war in der Theorie die Einheit des Idealen und Realen vollzogen. In¬
dem sich dieses philosophische System auf die Geschichte übertrug, wurden die
Momente der Gottesidee zu großen Schritten und Stufen der geschichtlichen Ent¬
wickelung, der wechselnden, immer aber sich mehr und mehr mit dem Zuhalte der
Wahrheit erfüllenden Culturperiodeu. Ich weiß uicht, ob Kaulbach sich jemals
mit dieser Philosophie der Geschichte beschäftigt hat, aber er gestaltete sie in
seinen Gemälden und Cartons, welche den Gang der Weltgeschichte malerisch vor
uns darlegen sollen. Er malt uns in seinen Bildern die Gottheit, welche Eins
ist mit der jedesmaligen Idee von der Gottheit, er gibt uns überall mehr oder
weniger die Idee gewisser Geschichtsperiodeu nicht in der Gestalt eines hervor¬
ragenden und dieselbe charakterisirenden wirklichen Ereignisses, sondern als symbo¬
lisch räumliche Einheit möglichst aller besonderen Momente ihrer geschichtlichen
Erscheinung und Wirksamkeit. Bald zeigt sich diese idealische Richtung vorzugs¬
weise in dem Grundgedanken des Bildes, bald mehr in der Gruppirung desselben,
bald endlich erhebt sie sich als idealer Humor über deu ganzen Strom der Welt¬
geschichte und erblickt in seinem Wellenspiel lächelnd ein Steigen und Sinken im
launig kindlichen Wechsel.

Kaulbach steht, auch abgesehen von seinem Andere überragender maleri¬
schen Genius, ungleich höher mit seiner idealischen Richtung als jene geistlichen
Maler der Neuzeit, welche noch hente im alten Kirchenstile malen. Er senkt sich
mit seinem reichen Gedankenleben in das wirkliche, geschichtliche Dasein, schwärmt
nicht im Unsinnlichen undMeb erirdisch en; er ergreift nur das Wirkliche uicht als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/504>, abgerufen am 24.07.2024.