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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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chalischen Daseins, das im Glücke des Familieufriedens und im Genuß eines
reichlich nährenden Besitzes mit sich abschließt und über die Gegenwart nicht wei¬
ter hinaufstrebt, es sei denn in emsiger Mehrung seiner Güter.

In der Mitte ziehen die Hannen von dannen. Den häßlichen Götzen im
Arm, wie in dumpfem Brüten vor sich hinstarrend, sitzt der hamitische Priester
ans seinem zottigen Büffel. Ein junges Weib in mehr als üppiger Körperfülle
naht sich ihm und küßt in blöder Verzückung das Gewand des Priesters, mit
welchem dieser das Götzenbild umschließt. Die Sinnlichkeit, jene Gefühl und
Geist umnachtende Gewalt der Natur, kann nicht ausdrucksvoller zur Erscheinung
kommen, als es in dieser Gruppe geschieht. Die vertrocknete Alte hinter dem
jungen Weibe lügt unter dem über das Haupt geworfenen Mantel so eulenartig
hervor, daß wir die Stamm-Mutter der Wahrsagerei, des Zigennerthnms in ihr
erkennen. Auch dieser Art von Seelenforschuug oder Ergründung der Zukunft
aus der Oberfläche lebender Körper, aus blindem Zufall oder dem unwillkürlichen
Verhalten gewisser Naturstoffe, auch dieser Hexen- und Zanberwirthschaft, welche
die neuen Egyptierinnen in planloser Wanderschaft durch die Welt getragen, auch
all dem Spuk und Aberglauben, der daraus hervorgegangen, liegt jene blöde
Befangenheit der menschlichen Natur in unheimlicher Sinnlichkeit zum Grunde,
welche den geschichtlichen Charakter des Hamitenstammes ausmacht.

Links endlich erblicken wir die Japhetiten, den Grnndstamm derjenigen Völ¬
ker, welche zu Gründern einer zu dauernder Entwickelung bestimmten Cultur be¬
rufen find. Kraft, Adel und Anmuth vereinigen sich in Gestalt und Ausdruck
dieser nackten Jünglinge, welche muthig und keck Hinansstreben in die Weite der
Welt. Der Eine ans stürmenden Rosse mit Pantherfell und rothem Mantel halb
bedeckt, ein Bündel Speere in der Hand, eine Löwenhaut als Sattel; ein Zwei¬
ter mit Bogen und Köcher, Jenem zur Seite, an der Mähne des Rosses sich
im eiligen Laufe haltend, und andere Genossen um sie her. Sie tragen nirgends
an sich die Spuren einer gewordenen Cultur, die bei den Hannen bereits ver-
dnmvfte, sie kennen nicht jene Befriedigung im Genusse des Daseins, wie das
semitische Patriarchenthum sie verbildlicht. Sie sollen sich ein Culturleben erst
schaffen, sollen die Zukunft erst erobern, ihre kraftvolle Jngend fühlt in allen
Pulsen den Drang nach fernen Zielen.

Ganz links in der Ecke wird der Baumeister von dem Volke gesteinigt, das
in rasender Verblendung ihn, das Werkzeug der Gewalt, als den Urheber der
nun geendeter Leiden betrachtet. Der nächste nnter den Verfolgern gleicht mit
seinem rothen, sich hornartig horstenden Haar, der wild grinsenden Verzerrung
seiner Züge eiuer Teufelsfratze, in welcher wir vielleicht den Satanas vermuthen
dürfen. Denn der Inhalt aller Gruppen des Gemäldes ist Allegorie fines welt¬
geschichtlichen Mythus, der in symbolischer Verkörperung nach allen Seiten sich
entfaltet.


chalischen Daseins, das im Glücke des Familieufriedens und im Genuß eines
reichlich nährenden Besitzes mit sich abschließt und über die Gegenwart nicht wei¬
ter hinaufstrebt, es sei denn in emsiger Mehrung seiner Güter.

In der Mitte ziehen die Hannen von dannen. Den häßlichen Götzen im
Arm, wie in dumpfem Brüten vor sich hinstarrend, sitzt der hamitische Priester
ans seinem zottigen Büffel. Ein junges Weib in mehr als üppiger Körperfülle
naht sich ihm und küßt in blöder Verzückung das Gewand des Priesters, mit
welchem dieser das Götzenbild umschließt. Die Sinnlichkeit, jene Gefühl und
Geist umnachtende Gewalt der Natur, kann nicht ausdrucksvoller zur Erscheinung
kommen, als es in dieser Gruppe geschieht. Die vertrocknete Alte hinter dem
jungen Weibe lügt unter dem über das Haupt geworfenen Mantel so eulenartig
hervor, daß wir die Stamm-Mutter der Wahrsagerei, des Zigennerthnms in ihr
erkennen. Auch dieser Art von Seelenforschuug oder Ergründung der Zukunft
aus der Oberfläche lebender Körper, aus blindem Zufall oder dem unwillkürlichen
Verhalten gewisser Naturstoffe, auch dieser Hexen- und Zanberwirthschaft, welche
die neuen Egyptierinnen in planloser Wanderschaft durch die Welt getragen, auch
all dem Spuk und Aberglauben, der daraus hervorgegangen, liegt jene blöde
Befangenheit der menschlichen Natur in unheimlicher Sinnlichkeit zum Grunde,
welche den geschichtlichen Charakter des Hamitenstammes ausmacht.

Links endlich erblicken wir die Japhetiten, den Grnndstamm derjenigen Völ¬
ker, welche zu Gründern einer zu dauernder Entwickelung bestimmten Cultur be¬
rufen find. Kraft, Adel und Anmuth vereinigen sich in Gestalt und Ausdruck
dieser nackten Jünglinge, welche muthig und keck Hinansstreben in die Weite der
Welt. Der Eine ans stürmenden Rosse mit Pantherfell und rothem Mantel halb
bedeckt, ein Bündel Speere in der Hand, eine Löwenhaut als Sattel; ein Zwei¬
ter mit Bogen und Köcher, Jenem zur Seite, an der Mähne des Rosses sich
im eiligen Laufe haltend, und andere Genossen um sie her. Sie tragen nirgends
an sich die Spuren einer gewordenen Cultur, die bei den Hannen bereits ver-
dnmvfte, sie kennen nicht jene Befriedigung im Genusse des Daseins, wie das
semitische Patriarchenthum sie verbildlicht. Sie sollen sich ein Culturleben erst
schaffen, sollen die Zukunft erst erobern, ihre kraftvolle Jngend fühlt in allen
Pulsen den Drang nach fernen Zielen.

Ganz links in der Ecke wird der Baumeister von dem Volke gesteinigt, das
in rasender Verblendung ihn, das Werkzeug der Gewalt, als den Urheber der
nun geendeter Leiden betrachtet. Der nächste nnter den Verfolgern gleicht mit
seinem rothen, sich hornartig horstenden Haar, der wild grinsenden Verzerrung
seiner Züge eiuer Teufelsfratze, in welcher wir vielleicht den Satanas vermuthen
dürfen. Denn der Inhalt aller Gruppen des Gemäldes ist Allegorie fines welt¬
geschichtlichen Mythus, der in symbolischer Verkörperung nach allen Seiten sich
entfaltet.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/502>, abgerufen am 24.07.2024.