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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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noch ein Maler, wie ihn von gleichem Schöpfergenius, gleicher Gestaltungskraft,
gleicher Technik wenige Zeiten gekannt.

Wir treten noch einmal vor das erste vollendete Gemälde Kaulbach's im
neuen Museum, vor die Zerstörung des Thurms zu Babel oder die
Sprachverwirrung. Es ist eine That des Herrn, welche der Maler dar¬
stellen will; er bedarf deshalb der Erscheinung des von den Juden angebeteten
Gottes, denn es ist ein israelitischer Mythus, deu unsere Seele durch den Sinn
des Auges vor diesem Bilde in sich aufnehmen soll. Wir sehen Jehovah aus
deu Wolken treten, von zwei Engeln begleitet, von denen jeder ein Bündel
zuckender Blitze in der Hand trägt. Die Wolke mit der göttlichen Erscheinung
senkt sich nieder' und hat bereits die zum Himmel emporstrebende Spitze des
Thurmes in sich aufgenommen, um sie zu zersplittern.

Der Thurm bildet die Mitte des Hintergrundes. Auf einem der Stockwerke,
in denen der mächtige Ban wie in großen Stufen sich erhebt, sitzt auf könig¬
lichem Sessel der .König Nimrod. Zu seinen Füßen liegen die vom Blitze des
Herrn erschlagenen Sohne, die umgestürzten und zertrümmerten Götzen. Er selbst
bläht sich auf im schnaubenden Zorn, die Arme im Herrschertrotze ans die Schen¬
kel gestützt, befehlend, ohne Gehorsam zu finden, in thatloser Wuth ansehend,
wie seiue Höflinge ihn verlassen. Mit einfachen Mitteln, durch wenige, nicht
zahlreiche Gruppen und durch die eigene Stellung ist der tyrannische Despot je¬
den: Auge verständlich dargestellt. Rechts von ihm ruft Einer aus dem stöhnen¬
den Volke mit aller Anstrengung der Lunge, indem er, damit es weithin schalte,
des Tones Ausgang mit den Händen umschließt, seinen Genossen zu, der Herr
sei erschienen, sein Volk solle ablassen von dem Unterfangen der Sünde. Im
Vorgrunde springen uus, wie Strahlungen eines Punktes, die Hauptstämme des
Menschengeschlechts in drei Gruppen entgegen, dnrch das Gebot des Herrn nach
verschiedenen Richtungen anseinander getrieben.

Rechts die Semiten in patriarchalischer Erhabenheit, eine Familie, von fried¬
lichen Hausthieren umgeben. Zwei weiße Stiere ziehen den Karren, auf welchem
der Erzvater steht, eine kräftig edle Gestalt, die Arme schützend über Alle brei¬
tend, die seinem Stamme angehören. Ein hohes, blühendes Weib geht neben
dem Karren einher, das jüngste Kind in einem Korbe auf dem Hanpte tragend,
während zwei audere Kiuder auf dem breiten Nacken der Stiere mit Trauben und
Weinlaub sorglos spielen. Sehen flüchten auf der entgegengesetzten Seite der
Gruppe zwei erwachsenere Knaben vor dem hämisch drohenden Blicke eines hcnni-
tischen Kriegers zum Vater, unter dessen Schutz die ganze Familie sich in pa¬
triarchalischer Sicherheit empfindet. Idyllisch parodirend läßt der Künstler anch
er der starkwolligen Schaafheerde das Familiengefühl zum Ausdruck kommen: ein
erschrockenes Lämmchen versteckt sich uuter dem Leib der Mutter. Die ganze
Gruppe athmet in charaktervoller Schönheit jene Selbstgenügsamkeit des patriar--


Grenzboten. I. 1851. 62

noch ein Maler, wie ihn von gleichem Schöpfergenius, gleicher Gestaltungskraft,
gleicher Technik wenige Zeiten gekannt.

Wir treten noch einmal vor das erste vollendete Gemälde Kaulbach's im
neuen Museum, vor die Zerstörung des Thurms zu Babel oder die
Sprachverwirrung. Es ist eine That des Herrn, welche der Maler dar¬
stellen will; er bedarf deshalb der Erscheinung des von den Juden angebeteten
Gottes, denn es ist ein israelitischer Mythus, deu unsere Seele durch den Sinn
des Auges vor diesem Bilde in sich aufnehmen soll. Wir sehen Jehovah aus
deu Wolken treten, von zwei Engeln begleitet, von denen jeder ein Bündel
zuckender Blitze in der Hand trägt. Die Wolke mit der göttlichen Erscheinung
senkt sich nieder' und hat bereits die zum Himmel emporstrebende Spitze des
Thurmes in sich aufgenommen, um sie zu zersplittern.

Der Thurm bildet die Mitte des Hintergrundes. Auf einem der Stockwerke,
in denen der mächtige Ban wie in großen Stufen sich erhebt, sitzt auf könig¬
lichem Sessel der .König Nimrod. Zu seinen Füßen liegen die vom Blitze des
Herrn erschlagenen Sohne, die umgestürzten und zertrümmerten Götzen. Er selbst
bläht sich auf im schnaubenden Zorn, die Arme im Herrschertrotze ans die Schen¬
kel gestützt, befehlend, ohne Gehorsam zu finden, in thatloser Wuth ansehend,
wie seiue Höflinge ihn verlassen. Mit einfachen Mitteln, durch wenige, nicht
zahlreiche Gruppen und durch die eigene Stellung ist der tyrannische Despot je¬
den: Auge verständlich dargestellt. Rechts von ihm ruft Einer aus dem stöhnen¬
den Volke mit aller Anstrengung der Lunge, indem er, damit es weithin schalte,
des Tones Ausgang mit den Händen umschließt, seinen Genossen zu, der Herr
sei erschienen, sein Volk solle ablassen von dem Unterfangen der Sünde. Im
Vorgrunde springen uus, wie Strahlungen eines Punktes, die Hauptstämme des
Menschengeschlechts in drei Gruppen entgegen, dnrch das Gebot des Herrn nach
verschiedenen Richtungen anseinander getrieben.

Rechts die Semiten in patriarchalischer Erhabenheit, eine Familie, von fried¬
lichen Hausthieren umgeben. Zwei weiße Stiere ziehen den Karren, auf welchem
der Erzvater steht, eine kräftig edle Gestalt, die Arme schützend über Alle brei¬
tend, die seinem Stamme angehören. Ein hohes, blühendes Weib geht neben
dem Karren einher, das jüngste Kind in einem Korbe auf dem Hanpte tragend,
während zwei audere Kiuder auf dem breiten Nacken der Stiere mit Trauben und
Weinlaub sorglos spielen. Sehen flüchten auf der entgegengesetzten Seite der
Gruppe zwei erwachsenere Knaben vor dem hämisch drohenden Blicke eines hcnni-
tischen Kriegers zum Vater, unter dessen Schutz die ganze Familie sich in pa¬
triarchalischer Sicherheit empfindet. Idyllisch parodirend läßt der Künstler anch
er der starkwolligen Schaafheerde das Familiengefühl zum Ausdruck kommen: ein
erschrockenes Lämmchen versteckt sich uuter dem Leib der Mutter. Die ganze
Gruppe athmet in charaktervoller Schönheit jene Selbstgenügsamkeit des patriar--


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[0501] noch ein Maler, wie ihn von gleichem Schöpfergenius, gleicher Gestaltungskraft, gleicher Technik wenige Zeiten gekannt. Wir treten noch einmal vor das erste vollendete Gemälde Kaulbach's im neuen Museum, vor die Zerstörung des Thurms zu Babel oder die Sprachverwirrung. Es ist eine That des Herrn, welche der Maler dar¬ stellen will; er bedarf deshalb der Erscheinung des von den Juden angebeteten Gottes, denn es ist ein israelitischer Mythus, deu unsere Seele durch den Sinn des Auges vor diesem Bilde in sich aufnehmen soll. Wir sehen Jehovah aus deu Wolken treten, von zwei Engeln begleitet, von denen jeder ein Bündel zuckender Blitze in der Hand trägt. Die Wolke mit der göttlichen Erscheinung senkt sich nieder' und hat bereits die zum Himmel emporstrebende Spitze des Thurmes in sich aufgenommen, um sie zu zersplittern. Der Thurm bildet die Mitte des Hintergrundes. Auf einem der Stockwerke, in denen der mächtige Ban wie in großen Stufen sich erhebt, sitzt auf könig¬ lichem Sessel der .König Nimrod. Zu seinen Füßen liegen die vom Blitze des Herrn erschlagenen Sohne, die umgestürzten und zertrümmerten Götzen. Er selbst bläht sich auf im schnaubenden Zorn, die Arme im Herrschertrotze ans die Schen¬ kel gestützt, befehlend, ohne Gehorsam zu finden, in thatloser Wuth ansehend, wie seiue Höflinge ihn verlassen. Mit einfachen Mitteln, durch wenige, nicht zahlreiche Gruppen und durch die eigene Stellung ist der tyrannische Despot je¬ den: Auge verständlich dargestellt. Rechts von ihm ruft Einer aus dem stöhnen¬ den Volke mit aller Anstrengung der Lunge, indem er, damit es weithin schalte, des Tones Ausgang mit den Händen umschließt, seinen Genossen zu, der Herr sei erschienen, sein Volk solle ablassen von dem Unterfangen der Sünde. Im Vorgrunde springen uus, wie Strahlungen eines Punktes, die Hauptstämme des Menschengeschlechts in drei Gruppen entgegen, dnrch das Gebot des Herrn nach verschiedenen Richtungen anseinander getrieben. Rechts die Semiten in patriarchalischer Erhabenheit, eine Familie, von fried¬ lichen Hausthieren umgeben. Zwei weiße Stiere ziehen den Karren, auf welchem der Erzvater steht, eine kräftig edle Gestalt, die Arme schützend über Alle brei¬ tend, die seinem Stamme angehören. Ein hohes, blühendes Weib geht neben dem Karren einher, das jüngste Kind in einem Korbe auf dem Hanpte tragend, während zwei audere Kiuder auf dem breiten Nacken der Stiere mit Trauben und Weinlaub sorglos spielen. Sehen flüchten auf der entgegengesetzten Seite der Gruppe zwei erwachsenere Knaben vor dem hämisch drohenden Blicke eines hcnni- tischen Kriegers zum Vater, unter dessen Schutz die ganze Familie sich in pa¬ triarchalischer Sicherheit empfindet. Idyllisch parodirend läßt der Künstler anch er der starkwolligen Schaafheerde das Familiengefühl zum Ausdruck kommen: ein erschrockenes Lämmchen versteckt sich uuter dem Leib der Mutter. Die ganze Gruppe athmet in charaktervoller Schönheit jene Selbstgenügsamkeit des patriar-- Grenzboten. I. 1851. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/501>, abgerufen am 24.07.2024.