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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Königskrone des gelobten Landes dem Erlöser entgegenhält. Denn dieser ist es,
der über dem zweiten Hügel, von Wolken getragen, erscheint, im Grabtuche und
mit den liebreich ausgebreiteten, segnenden Armen die Gestalt des Kreuzes bildend,
wie er unten auf Golgatha am Holze gelitten. Ihm zur Seite steht die Mutter
Gottes, die Jungfrau Maria, jene Fürbitte einlegend, um welche die Gebete der
ganzen katholischen Christenheit sich erhoben. Im Kreise um diese Gruppe des
Erlösers und der fürbitteuden Himmelskönigin die Märtyrer der heiligen aposto¬
lischen Kirche. Die menschliche Sünde, welche bereits in der Gruppe der Büßer
angedeutet war, siudet in dem Zuge der Kreuzfahrer noch eine zweite Darstellung
in den Habsüchtigen, die nach den goldenen Beutestücken und deu aus Schilden
getragenen Kronen greifen. An Peter von Amiens sich anschließend, folgt die
Gruppe der begeisterten Sänger des Glaubens und christlichen Heldenruhms,
darauf in zahlreichen prächtigen und kraftvollen Gestalten die Blüthe des abend¬
ländischen Ritterthums. Endlich dessen süßester Klang: die Minne. Ein Ritter
geleitet die Dame, die Gebieterin seines Herzens zur heiligen Stadt. Sie ruht
auf eiuer aus Zweigen des Lorbeerbaumes geflochtenen Sänfte, von Mohren ge¬
tragen, auf ihrer Hand den Falken, und blickt in frommem Entzücken auf zu der
herrlichen Himmelserscheinung. Das Bild strahlt wie aus einem Brennspiegel
die ganze Fülle der katholisch christlichen Romantik als ein gemaltes Epos zurück.

Ob im sechsten Hauptbilde die Reformation ihre Stelle finden werde, soll,
wie gesagt, in neuester Zeit zweifelhaft geworden sein, obwohl ich keine andere
Begebenheit kenne, welche im Sinne der ganzen Anlage besser-den Cyklus be¬
schließenkönnte. Erst durch diesen Schluß würde dem protestantischen Cha¬
rakter dieser umfassenden Welt malerischen Lebens das bekräftigende Siegel auf¬
gedrückt werden. Haben wir auch in dem ersten und dritten Bilde die ganze
Furchtbarkeit des strafenden Gottes, in dem zweiten die ganze liebliche Mensch¬
lichkeit des griechischen Götterglaubens, im vierten die nächtige Dämonenwelt des
nordischen Heidenthums, im fünften endlich die volle Gluth des in brünstiger
Himmelsliebe entbrennenden Katholicismus, hat der Künstler es verstanden, die
schaffende Phantasie im Bunde mit dem urtheilenden Gedanken in die Tiefe der
weltgeschichtlichen Religionen zu versenken, so hat er doch, indem er sie als Wur-
zel und Ursache der Völkergeschichte darstellte, das Historisch-Menschliche an ihnen
bewahrt. Die protestantisch-philosophische Auffassung Kaulbach's zeigt sich eben
gerade darin, daß er den Göttergestalten das Colorit derjenigen Zeiten und Völ¬
ker, von denen sie geglaubt wurden, in der Erscheinung mitzutheilen wußte. Nur
auf dem ersten Bilde ist ihm, wie sich bei späterer Betrachtung ergeben wird,
eine freiere Vorstellung von der Gottheit in die Darstellung des Jehovcch ge¬
flossen. Ein unendlicher Reichthum poetischer Gedanken gruppirt sich in großartig
malerischer Composition um die philosophisch religionsgeschichtlichen Grundideen jedes
Gemäldes, die in allen Theilen des wunderbar durchdachten Ganzen wiederklingt.


Königskrone des gelobten Landes dem Erlöser entgegenhält. Denn dieser ist es,
der über dem zweiten Hügel, von Wolken getragen, erscheint, im Grabtuche und
mit den liebreich ausgebreiteten, segnenden Armen die Gestalt des Kreuzes bildend,
wie er unten auf Golgatha am Holze gelitten. Ihm zur Seite steht die Mutter
Gottes, die Jungfrau Maria, jene Fürbitte einlegend, um welche die Gebete der
ganzen katholischen Christenheit sich erhoben. Im Kreise um diese Gruppe des
Erlösers und der fürbitteuden Himmelskönigin die Märtyrer der heiligen aposto¬
lischen Kirche. Die menschliche Sünde, welche bereits in der Gruppe der Büßer
angedeutet war, siudet in dem Zuge der Kreuzfahrer noch eine zweite Darstellung
in den Habsüchtigen, die nach den goldenen Beutestücken und deu aus Schilden
getragenen Kronen greifen. An Peter von Amiens sich anschließend, folgt die
Gruppe der begeisterten Sänger des Glaubens und christlichen Heldenruhms,
darauf in zahlreichen prächtigen und kraftvollen Gestalten die Blüthe des abend¬
ländischen Ritterthums. Endlich dessen süßester Klang: die Minne. Ein Ritter
geleitet die Dame, die Gebieterin seines Herzens zur heiligen Stadt. Sie ruht
auf eiuer aus Zweigen des Lorbeerbaumes geflochtenen Sänfte, von Mohren ge¬
tragen, auf ihrer Hand den Falken, und blickt in frommem Entzücken auf zu der
herrlichen Himmelserscheinung. Das Bild strahlt wie aus einem Brennspiegel
die ganze Fülle der katholisch christlichen Romantik als ein gemaltes Epos zurück.

Ob im sechsten Hauptbilde die Reformation ihre Stelle finden werde, soll,
wie gesagt, in neuester Zeit zweifelhaft geworden sein, obwohl ich keine andere
Begebenheit kenne, welche im Sinne der ganzen Anlage besser-den Cyklus be¬
schließenkönnte. Erst durch diesen Schluß würde dem protestantischen Cha¬
rakter dieser umfassenden Welt malerischen Lebens das bekräftigende Siegel auf¬
gedrückt werden. Haben wir auch in dem ersten und dritten Bilde die ganze
Furchtbarkeit des strafenden Gottes, in dem zweiten die ganze liebliche Mensch¬
lichkeit des griechischen Götterglaubens, im vierten die nächtige Dämonenwelt des
nordischen Heidenthums, im fünften endlich die volle Gluth des in brünstiger
Himmelsliebe entbrennenden Katholicismus, hat der Künstler es verstanden, die
schaffende Phantasie im Bunde mit dem urtheilenden Gedanken in die Tiefe der
weltgeschichtlichen Religionen zu versenken, so hat er doch, indem er sie als Wur-
zel und Ursache der Völkergeschichte darstellte, das Historisch-Menschliche an ihnen
bewahrt. Die protestantisch-philosophische Auffassung Kaulbach's zeigt sich eben
gerade darin, daß er den Göttergestalten das Colorit derjenigen Zeiten und Völ¬
ker, von denen sie geglaubt wurden, in der Erscheinung mitzutheilen wußte. Nur
auf dem ersten Bilde ist ihm, wie sich bei späterer Betrachtung ergeben wird,
eine freiere Vorstellung von der Gottheit in die Darstellung des Jehovcch ge¬
flossen. Ein unendlicher Reichthum poetischer Gedanken gruppirt sich in großartig
malerischer Composition um die philosophisch religionsgeschichtlichen Grundideen jedes
Gemäldes, die in allen Theilen des wunderbar durchdachten Ganzen wiederklingt.


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[0498] Königskrone des gelobten Landes dem Erlöser entgegenhält. Denn dieser ist es, der über dem zweiten Hügel, von Wolken getragen, erscheint, im Grabtuche und mit den liebreich ausgebreiteten, segnenden Armen die Gestalt des Kreuzes bildend, wie er unten auf Golgatha am Holze gelitten. Ihm zur Seite steht die Mutter Gottes, die Jungfrau Maria, jene Fürbitte einlegend, um welche die Gebete der ganzen katholischen Christenheit sich erhoben. Im Kreise um diese Gruppe des Erlösers und der fürbitteuden Himmelskönigin die Märtyrer der heiligen aposto¬ lischen Kirche. Die menschliche Sünde, welche bereits in der Gruppe der Büßer angedeutet war, siudet in dem Zuge der Kreuzfahrer noch eine zweite Darstellung in den Habsüchtigen, die nach den goldenen Beutestücken und deu aus Schilden getragenen Kronen greifen. An Peter von Amiens sich anschließend, folgt die Gruppe der begeisterten Sänger des Glaubens und christlichen Heldenruhms, darauf in zahlreichen prächtigen und kraftvollen Gestalten die Blüthe des abend¬ ländischen Ritterthums. Endlich dessen süßester Klang: die Minne. Ein Ritter geleitet die Dame, die Gebieterin seines Herzens zur heiligen Stadt. Sie ruht auf eiuer aus Zweigen des Lorbeerbaumes geflochtenen Sänfte, von Mohren ge¬ tragen, auf ihrer Hand den Falken, und blickt in frommem Entzücken auf zu der herrlichen Himmelserscheinung. Das Bild strahlt wie aus einem Brennspiegel die ganze Fülle der katholisch christlichen Romantik als ein gemaltes Epos zurück. Ob im sechsten Hauptbilde die Reformation ihre Stelle finden werde, soll, wie gesagt, in neuester Zeit zweifelhaft geworden sein, obwohl ich keine andere Begebenheit kenne, welche im Sinne der ganzen Anlage besser-den Cyklus be¬ schließenkönnte. Erst durch diesen Schluß würde dem protestantischen Cha¬ rakter dieser umfassenden Welt malerischen Lebens das bekräftigende Siegel auf¬ gedrückt werden. Haben wir auch in dem ersten und dritten Bilde die ganze Furchtbarkeit des strafenden Gottes, in dem zweiten die ganze liebliche Mensch¬ lichkeit des griechischen Götterglaubens, im vierten die nächtige Dämonenwelt des nordischen Heidenthums, im fünften endlich die volle Gluth des in brünstiger Himmelsliebe entbrennenden Katholicismus, hat der Künstler es verstanden, die schaffende Phantasie im Bunde mit dem urtheilenden Gedanken in die Tiefe der weltgeschichtlichen Religionen zu versenken, so hat er doch, indem er sie als Wur- zel und Ursache der Völkergeschichte darstellte, das Historisch-Menschliche an ihnen bewahrt. Die protestantisch-philosophische Auffassung Kaulbach's zeigt sich eben gerade darin, daß er den Göttergestalten das Colorit derjenigen Zeiten und Völ¬ ker, von denen sie geglaubt wurden, in der Erscheinung mitzutheilen wußte. Nur auf dem ersten Bilde ist ihm, wie sich bei späterer Betrachtung ergeben wird, eine freiere Vorstellung von der Gottheit in die Darstellung des Jehovcch ge¬ flossen. Ein unendlicher Reichthum poetischer Gedanken gruppirt sich in großartig malerischer Composition um die philosophisch religionsgeschichtlichen Grundideen jedes Gemäldes, die in allen Theilen des wunderbar durchdachten Ganzen wiederklingt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/498>, abgerufen am 24.07.2024.