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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Kaulbach geschaffen. Aber in die Idee seines weltgeschichtlichen Gemälde-Cyklus
will sie mir nicht passen. Wir tonnen bei dieser Darstellung an die Völkerwande¬
rung und ihre historische Bedeutung denken, können uns den Kampf des barbari¬
schen Heidenthums mit dem ans heidnischer Cultur erwachsenen, hinsterbenden
Glänze Roms vorstellen, die Allegorie des gegenseitigen Sichaufreibens heidnischer
Machte in dem Bilde erblicken, dann aber fehlt uns immer der Gegensatz desje¬
nigen Elements, das nur als Erbe der Zukunft ans der dem Untergange anheim¬
fallenden Vergangenheit sich erhebt. Wir haben in der Hunnenschlacht weder ein
wirkliches geschichtliches Ereigniß, noch selbst die allegorische Verbildlichung einer
weltgeschichtlichen Katastrophe, uur deu ganz willkürlichen Inhalt einer phantasti¬
schen Ueberlieferung.

Während jenem Chaos der große Raum eines Hauptbildes zugemessen wurde,
erhielt die erste bildende Kraft des christlichen Princips nur den daneben stehenden
Pilaster, welcher die Gestalt Karl deö Großen aufnehmen soll. Gerade in der
philosophischen Auffassung, in welcher diese ganze Gestalten- und Farbenwelt gedacht
ist, scheint mir diese Vertheilnng des Stoffes am wenigsten gerechtfertigt zu sein.

Im fünften Hauptbilde tritt uns die Zeit der Kreuzzüge entgegen. Der
Carton ist vollendet und befindet sich, gleich den übrigen, noch zu erwähnenden
Cartons, in einem Saale des neuen Museums zur Ausicht des besuchenden Pu-
blicums aufgestellt. In der Mitte deö Hintergrundes erhebt sich mit seinen Zin¬
nen, Kuppeln und Thürmen das Ziel der neu erwachten Sehnsucht deö Abendlandes:
Zion. Ju mäandrischen Windungen bewegt sich der jlange Zug der Wallfahrer
durch das Bild, in der Nähe der Stadt von den Hügeln das heilige Ziel be¬
grüßend. Ans dem Gipfel eines der Hügel hält eine Gruppe von Kreuzosrittern,
Bischöfen und Geistlichen, dem ersehnten Anblick entgegenjubelnd. Ueber einem
zweiten Hügel sieht man die Wanderung noch im vollen Zuge, an der Spitze
den Führer Gottfried voll Bouillon und hinter ihm das Heer der Kreuzfahrer
mit wehenden Fahnen, mit heidnischen Trophäen und glänzender Beute. Wir
unterscheiden in dem Heere die Helden jenes romantischen Kampfes um Jeru¬
salem, uuter ihnen Bohemund und Tankred. Vor Kurzem noch hat hier die
Schlacht gewüthet, erschlagene Sarazenen liegen am Boden, der Allblick des heili¬
gen Zion ist der Preis christlicher Tapferkeit. In der Mitte des Vorgrundes,
ebenfalls in einer der Windungen des Zuges, sehen wir Peter von Amiens im
zerrissenen häreuden Gewände, das Antlitz gen Zion gewendet und auf die Kniee
gesunken zu brünstigem Gebet. Hinter seinem Rücken, also noch weiter im Bor¬
gende, die Gruppe der Büßenden, welche theils schon flehend am Boden liegen,
theils mit deu Zeichen der Zerknirschung sich niederwerfen, theils in ascetischer
Selbstpeinigung begriffen sind. Für sie hebt Peter von Amiens in andachtsvoller
Beschwörung die Arme empor zu der himmlischen Erscheinung, zu welcher auch
Gottfried, dessen Haupt eine Dornenkrone schmückt, hinausblickt, indem er die


Kaulbach geschaffen. Aber in die Idee seines weltgeschichtlichen Gemälde-Cyklus
will sie mir nicht passen. Wir tonnen bei dieser Darstellung an die Völkerwande¬
rung und ihre historische Bedeutung denken, können uns den Kampf des barbari¬
schen Heidenthums mit dem ans heidnischer Cultur erwachsenen, hinsterbenden
Glänze Roms vorstellen, die Allegorie des gegenseitigen Sichaufreibens heidnischer
Machte in dem Bilde erblicken, dann aber fehlt uns immer der Gegensatz desje¬
nigen Elements, das nur als Erbe der Zukunft ans der dem Untergange anheim¬
fallenden Vergangenheit sich erhebt. Wir haben in der Hunnenschlacht weder ein
wirkliches geschichtliches Ereigniß, noch selbst die allegorische Verbildlichung einer
weltgeschichtlichen Katastrophe, uur deu ganz willkürlichen Inhalt einer phantasti¬
schen Ueberlieferung.

Während jenem Chaos der große Raum eines Hauptbildes zugemessen wurde,
erhielt die erste bildende Kraft des christlichen Princips nur den daneben stehenden
Pilaster, welcher die Gestalt Karl deö Großen aufnehmen soll. Gerade in der
philosophischen Auffassung, in welcher diese ganze Gestalten- und Farbenwelt gedacht
ist, scheint mir diese Vertheilnng des Stoffes am wenigsten gerechtfertigt zu sein.

Im fünften Hauptbilde tritt uns die Zeit der Kreuzzüge entgegen. Der
Carton ist vollendet und befindet sich, gleich den übrigen, noch zu erwähnenden
Cartons, in einem Saale des neuen Museums zur Ausicht des besuchenden Pu-
blicums aufgestellt. In der Mitte deö Hintergrundes erhebt sich mit seinen Zin¬
nen, Kuppeln und Thürmen das Ziel der neu erwachten Sehnsucht deö Abendlandes:
Zion. Ju mäandrischen Windungen bewegt sich der jlange Zug der Wallfahrer
durch das Bild, in der Nähe der Stadt von den Hügeln das heilige Ziel be¬
grüßend. Ans dem Gipfel eines der Hügel hält eine Gruppe von Kreuzosrittern,
Bischöfen und Geistlichen, dem ersehnten Anblick entgegenjubelnd. Ueber einem
zweiten Hügel sieht man die Wanderung noch im vollen Zuge, an der Spitze
den Führer Gottfried voll Bouillon und hinter ihm das Heer der Kreuzfahrer
mit wehenden Fahnen, mit heidnischen Trophäen und glänzender Beute. Wir
unterscheiden in dem Heere die Helden jenes romantischen Kampfes um Jeru¬
salem, uuter ihnen Bohemund und Tankred. Vor Kurzem noch hat hier die
Schlacht gewüthet, erschlagene Sarazenen liegen am Boden, der Allblick des heili¬
gen Zion ist der Preis christlicher Tapferkeit. In der Mitte des Vorgrundes,
ebenfalls in einer der Windungen des Zuges, sehen wir Peter von Amiens im
zerrissenen häreuden Gewände, das Antlitz gen Zion gewendet und auf die Kniee
gesunken zu brünstigem Gebet. Hinter seinem Rücken, also noch weiter im Bor¬
gende, die Gruppe der Büßenden, welche theils schon flehend am Boden liegen,
theils mit deu Zeichen der Zerknirschung sich niederwerfen, theils in ascetischer
Selbstpeinigung begriffen sind. Für sie hebt Peter von Amiens in andachtsvoller
Beschwörung die Arme empor zu der himmlischen Erscheinung, zu welcher auch
Gottfried, dessen Haupt eine Dornenkrone schmückt, hinausblickt, indem er die


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[0497] Kaulbach geschaffen. Aber in die Idee seines weltgeschichtlichen Gemälde-Cyklus will sie mir nicht passen. Wir tonnen bei dieser Darstellung an die Völkerwande¬ rung und ihre historische Bedeutung denken, können uns den Kampf des barbari¬ schen Heidenthums mit dem ans heidnischer Cultur erwachsenen, hinsterbenden Glänze Roms vorstellen, die Allegorie des gegenseitigen Sichaufreibens heidnischer Machte in dem Bilde erblicken, dann aber fehlt uns immer der Gegensatz desje¬ nigen Elements, das nur als Erbe der Zukunft ans der dem Untergange anheim¬ fallenden Vergangenheit sich erhebt. Wir haben in der Hunnenschlacht weder ein wirkliches geschichtliches Ereigniß, noch selbst die allegorische Verbildlichung einer weltgeschichtlichen Katastrophe, uur deu ganz willkürlichen Inhalt einer phantasti¬ schen Ueberlieferung. Während jenem Chaos der große Raum eines Hauptbildes zugemessen wurde, erhielt die erste bildende Kraft des christlichen Princips nur den daneben stehenden Pilaster, welcher die Gestalt Karl deö Großen aufnehmen soll. Gerade in der philosophischen Auffassung, in welcher diese ganze Gestalten- und Farbenwelt gedacht ist, scheint mir diese Vertheilnng des Stoffes am wenigsten gerechtfertigt zu sein. Im fünften Hauptbilde tritt uns die Zeit der Kreuzzüge entgegen. Der Carton ist vollendet und befindet sich, gleich den übrigen, noch zu erwähnenden Cartons, in einem Saale des neuen Museums zur Ausicht des besuchenden Pu- blicums aufgestellt. In der Mitte deö Hintergrundes erhebt sich mit seinen Zin¬ nen, Kuppeln und Thürmen das Ziel der neu erwachten Sehnsucht deö Abendlandes: Zion. Ju mäandrischen Windungen bewegt sich der jlange Zug der Wallfahrer durch das Bild, in der Nähe der Stadt von den Hügeln das heilige Ziel be¬ grüßend. Ans dem Gipfel eines der Hügel hält eine Gruppe von Kreuzosrittern, Bischöfen und Geistlichen, dem ersehnten Anblick entgegenjubelnd. Ueber einem zweiten Hügel sieht man die Wanderung noch im vollen Zuge, an der Spitze den Führer Gottfried voll Bouillon und hinter ihm das Heer der Kreuzfahrer mit wehenden Fahnen, mit heidnischen Trophäen und glänzender Beute. Wir unterscheiden in dem Heere die Helden jenes romantischen Kampfes um Jeru¬ salem, uuter ihnen Bohemund und Tankred. Vor Kurzem noch hat hier die Schlacht gewüthet, erschlagene Sarazenen liegen am Boden, der Allblick des heili¬ gen Zion ist der Preis christlicher Tapferkeit. In der Mitte des Vorgrundes, ebenfalls in einer der Windungen des Zuges, sehen wir Peter von Amiens im zerrissenen häreuden Gewände, das Antlitz gen Zion gewendet und auf die Kniee gesunken zu brünstigem Gebet. Hinter seinem Rücken, also noch weiter im Bor¬ gende, die Gruppe der Büßenden, welche theils schon flehend am Boden liegen, theils mit deu Zeichen der Zerknirschung sich niederwerfen, theils in ascetischer Selbstpeinigung begriffen sind. Für sie hebt Peter von Amiens in andachtsvoller Beschwörung die Arme empor zu der himmlischen Erscheinung, zu welcher auch Gottfried, dessen Haupt eine Dornenkrone schmückt, hinausblickt, indem er die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/497>, abgerufen am 28.06.2024.