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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Wir haben nun noch die kleineren Bilder und den Fries zu betrachten. Von
den vier geschichtlichen Helden sind zwei: Moses und Solon, vou den vier Eck-
ftücken oberhalb der Thüren ebenfalls zwei: Die Sage und die Geschichte, im
Carton vollendet.

Der israelitische wie der griechische Gesetzgeber sind in sitzender Stellung und
in ihrer geschichtlichen Thätigkeit dargestellt; Moses mit emporschauendem Haupte,
von langem Bart umwallt, sauft umstrahlt vom Wiederscheine Gottes, dessen Of¬
fenbarungen er zu vernehmen scheint. Zu seinen Füßen das goldene Kalb, das
auf sein Gebot zertrümmert wird. Solon, ein Greis mit kahlem Scheitel, den
ein griechisches Band umgibt, hat den Griffel nachdenklich der Lippe genähert,
in tiefem Sinnen über die Gesetzestafeln des Drako gebeugt, deren durch Strang
und Beil bezeichnete blutige Grausamkeit er zur Menschlichkeit umgestalten will.
Ein lebensfroher Knabe, mit Blumen und Bändern zierlich geschmückt, naht sich
dem sinnenden Greise erwartungsvoll in der Hoffnung, daß die menschliche Natur
in ihm einen Erlöser aus unnatürlicher Knechtung finden werde.

Die Sage, eine finstere Frauengestalt, das Haupt von Epheu umkränzt,
sitzt auf einem Felsstück, starr und steinern in Haltung und Blick, mit erhobenem
Arm die Wunder einer altersgrauen Vorzeit verkündend, welche von herbeiflie-
genden Naben zu ihrem Ohr getragen werden. Vor ihr ein geöffnetes Hünen¬
grab, ein Riesenschädel, Trümmer von Waffen und ein goldener Königsreif. Die
Geschichte, ein schönes, klar schauendes Weib'voll Hoheit und milden Ernstes,
trägt in das große Buch der Weltkunde, das ein geflügelter Genius hält, die
Ereignisse der Zeiten ein. Der geflügelte Genius ist die jüngste Zeit, welche
im Fluge vorwärts bringen möchte, aber die Last geschichtlicher Ueberlieferungen
trägt; am Boden liegen der Zukunft unbeschriebene Blätter, zu denen die Ge¬
genwart hiuuuterblickt. Still, in voller Sammlung geschieht das Werk. Keine
Zerstreuung des Tages darf die Arbeit stören, von edel geformtem Kandelaber
spendet eine Lampe das nöthige Licht.

Zu dem großen Friese sind die Cartons etwa zur Hälfte fertig. In einer
wechselnd belebten Reihe von Knaben- und Mädchengestalten, getragen und um¬
schlungen von reichen und mannichfaltigen ArabeSkeuraukeu, spiegelt der Künstler
um <Sinne humoristischer Allegorie den Ernst der Weltgeschichte.

Ein kleiner Prometheus eröffnet die kindlichen Spiele, indem er Menschen
formt, natürlich Kinder im kleineren Maßstabe. Eine niedliche Minerva unter¬
stützt ihn, währeud neben Beiden ein Storch über Eiern brütet, aus denen ein
Männlein und ein Weiblein herausschauen. In zahlreicher Folge sehen wir dann
die Völker und Zeiten sich drängen. Zunächst der Wölfin, welche Romulus und
Remus säugt, messen sich zwei Knäblein im Bruderkampfe. Der wilde Jäger
Nimrod reitet aus einem seiner Spielgenossen daher und jagt den schnellen Hirsch,
den wildeu Eber, deu reißenden Panther. Der Lotosblume entsteigen Isis und


Wir haben nun noch die kleineren Bilder und den Fries zu betrachten. Von
den vier geschichtlichen Helden sind zwei: Moses und Solon, vou den vier Eck-
ftücken oberhalb der Thüren ebenfalls zwei: Die Sage und die Geschichte, im
Carton vollendet.

Der israelitische wie der griechische Gesetzgeber sind in sitzender Stellung und
in ihrer geschichtlichen Thätigkeit dargestellt; Moses mit emporschauendem Haupte,
von langem Bart umwallt, sauft umstrahlt vom Wiederscheine Gottes, dessen Of¬
fenbarungen er zu vernehmen scheint. Zu seinen Füßen das goldene Kalb, das
auf sein Gebot zertrümmert wird. Solon, ein Greis mit kahlem Scheitel, den
ein griechisches Band umgibt, hat den Griffel nachdenklich der Lippe genähert,
in tiefem Sinnen über die Gesetzestafeln des Drako gebeugt, deren durch Strang
und Beil bezeichnete blutige Grausamkeit er zur Menschlichkeit umgestalten will.
Ein lebensfroher Knabe, mit Blumen und Bändern zierlich geschmückt, naht sich
dem sinnenden Greise erwartungsvoll in der Hoffnung, daß die menschliche Natur
in ihm einen Erlöser aus unnatürlicher Knechtung finden werde.

Die Sage, eine finstere Frauengestalt, das Haupt von Epheu umkränzt,
sitzt auf einem Felsstück, starr und steinern in Haltung und Blick, mit erhobenem
Arm die Wunder einer altersgrauen Vorzeit verkündend, welche von herbeiflie-
genden Naben zu ihrem Ohr getragen werden. Vor ihr ein geöffnetes Hünen¬
grab, ein Riesenschädel, Trümmer von Waffen und ein goldener Königsreif. Die
Geschichte, ein schönes, klar schauendes Weib'voll Hoheit und milden Ernstes,
trägt in das große Buch der Weltkunde, das ein geflügelter Genius hält, die
Ereignisse der Zeiten ein. Der geflügelte Genius ist die jüngste Zeit, welche
im Fluge vorwärts bringen möchte, aber die Last geschichtlicher Ueberlieferungen
trägt; am Boden liegen der Zukunft unbeschriebene Blätter, zu denen die Ge¬
genwart hiuuuterblickt. Still, in voller Sammlung geschieht das Werk. Keine
Zerstreuung des Tages darf die Arbeit stören, von edel geformtem Kandelaber
spendet eine Lampe das nöthige Licht.

Zu dem großen Friese sind die Cartons etwa zur Hälfte fertig. In einer
wechselnd belebten Reihe von Knaben- und Mädchengestalten, getragen und um¬
schlungen von reichen und mannichfaltigen ArabeSkeuraukeu, spiegelt der Künstler
um <Sinne humoristischer Allegorie den Ernst der Weltgeschichte.

Ein kleiner Prometheus eröffnet die kindlichen Spiele, indem er Menschen
formt, natürlich Kinder im kleineren Maßstabe. Eine niedliche Minerva unter¬
stützt ihn, währeud neben Beiden ein Storch über Eiern brütet, aus denen ein
Männlein und ein Weiblein herausschauen. In zahlreicher Folge sehen wir dann
die Völker und Zeiten sich drängen. Zunächst der Wölfin, welche Romulus und
Remus säugt, messen sich zwei Knäblein im Bruderkampfe. Der wilde Jäger
Nimrod reitet aus einem seiner Spielgenossen daher und jagt den schnellen Hirsch,
den wildeu Eber, deu reißenden Panther. Der Lotosblume entsteigen Isis und


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[0499] Wir haben nun noch die kleineren Bilder und den Fries zu betrachten. Von den vier geschichtlichen Helden sind zwei: Moses und Solon, vou den vier Eck- ftücken oberhalb der Thüren ebenfalls zwei: Die Sage und die Geschichte, im Carton vollendet. Der israelitische wie der griechische Gesetzgeber sind in sitzender Stellung und in ihrer geschichtlichen Thätigkeit dargestellt; Moses mit emporschauendem Haupte, von langem Bart umwallt, sauft umstrahlt vom Wiederscheine Gottes, dessen Of¬ fenbarungen er zu vernehmen scheint. Zu seinen Füßen das goldene Kalb, das auf sein Gebot zertrümmert wird. Solon, ein Greis mit kahlem Scheitel, den ein griechisches Band umgibt, hat den Griffel nachdenklich der Lippe genähert, in tiefem Sinnen über die Gesetzestafeln des Drako gebeugt, deren durch Strang und Beil bezeichnete blutige Grausamkeit er zur Menschlichkeit umgestalten will. Ein lebensfroher Knabe, mit Blumen und Bändern zierlich geschmückt, naht sich dem sinnenden Greise erwartungsvoll in der Hoffnung, daß die menschliche Natur in ihm einen Erlöser aus unnatürlicher Knechtung finden werde. Die Sage, eine finstere Frauengestalt, das Haupt von Epheu umkränzt, sitzt auf einem Felsstück, starr und steinern in Haltung und Blick, mit erhobenem Arm die Wunder einer altersgrauen Vorzeit verkündend, welche von herbeiflie- genden Naben zu ihrem Ohr getragen werden. Vor ihr ein geöffnetes Hünen¬ grab, ein Riesenschädel, Trümmer von Waffen und ein goldener Königsreif. Die Geschichte, ein schönes, klar schauendes Weib'voll Hoheit und milden Ernstes, trägt in das große Buch der Weltkunde, das ein geflügelter Genius hält, die Ereignisse der Zeiten ein. Der geflügelte Genius ist die jüngste Zeit, welche im Fluge vorwärts bringen möchte, aber die Last geschichtlicher Ueberlieferungen trägt; am Boden liegen der Zukunft unbeschriebene Blätter, zu denen die Ge¬ genwart hiuuuterblickt. Still, in voller Sammlung geschieht das Werk. Keine Zerstreuung des Tages darf die Arbeit stören, von edel geformtem Kandelaber spendet eine Lampe das nöthige Licht. Zu dem großen Friese sind die Cartons etwa zur Hälfte fertig. In einer wechselnd belebten Reihe von Knaben- und Mädchengestalten, getragen und um¬ schlungen von reichen und mannichfaltigen ArabeSkeuraukeu, spiegelt der Künstler um <Sinne humoristischer Allegorie den Ernst der Weltgeschichte. Ein kleiner Prometheus eröffnet die kindlichen Spiele, indem er Menschen formt, natürlich Kinder im kleineren Maßstabe. Eine niedliche Minerva unter¬ stützt ihn, währeud neben Beiden ein Storch über Eiern brütet, aus denen ein Männlein und ein Weiblein herausschauen. In zahlreicher Folge sehen wir dann die Völker und Zeiten sich drängen. Zunächst der Wölfin, welche Romulus und Remus säugt, messen sich zwei Knäblein im Bruderkampfe. Der wilde Jäger Nimrod reitet aus einem seiner Spielgenossen daher und jagt den schnellen Hirsch, den wildeu Eber, deu reißenden Panther. Der Lotosblume entsteigen Isis und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/499>, abgerufen am 24.07.2024.