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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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rischen Gottes im ersten Bilde und dieser heiteren Harmonie von Göttern und
Menschen auf griechischem Boden! Hier fühlen sich die Menschen in Einheit und
Uebereinstimmung mit den Himmlischen, denen sie das menschliche Wesen mit all'
seiner Liebenswürdigkeit, wenn auch mit all' seinen Schwächen, in der Form er¬
höhter Macht und Unsterblichkeit beließen; daher der Friede zwischen dem Olymp
und der Erde. Dort hat sich der Mensch in finsterer Strenge eines Theils der
eigenen Würde entäußert und in selbstischer Furcht einem zornigen Herrn unter¬
worfen; daher der Zwiespalt, daher die Gottlosigkeit ganzer Geschlechter. Schon
hier läßt sich des Künstlers Grundanschauung von dem darzustellenden Gegen¬
stande klar erfassen. Er gibt die Weltgeschichte in sechs Perioden und jedesmal
die Menschheit, genauer: das Volk, welches ihm die Periode bezeichnet, im Zu¬
sammenhange mit der Gottesanschauung, welche ans dessen Charakter und Geschichte
erwuchs. Die Göttergestalten, die er malt, sie mögen dem alten oder neuen
Testamente, sie mögen dem classischen oder barbarischen Heidenthume angehören,
sind nirgends im Sinne eines Overbeck oder Wilhelm vou Schadow kirch¬
lich und geistlich empfunden. Sie siud gedacht aus den geschichtlichen Be¬
dingungen bestimmter Volksexistenzen und Zeitbegriffe, sie stellen keine theologische,
sondern eine philosophische Auffassung des Religiösen dar. Aber indem
Kaulbach die Weltgeschichte uicht in solcher Weise darstellt, daß er die Höhe¬
punkte ihres lebendigen Entwickelungsganges in voller Realität und Wahrheit er¬
greift und zum Bilde gestaltet, indem er der geschichtlichen Wirklichkeit wieder eine
übersinnliche Welt hinzufügt, eine gedachte Uebersinnlichkeit statt einer geglaubten,
die Metaphysik des Gedankens statt der Mystik des Gemüths, befreit er sich denkend
aus der Abstraction des kirchlichen Idealismus, um einer anderen Abstraction in
die Arme zu sinken. Es ist nicht Geschichte, was er malt, es ist Philoso¬
phie der Geschichte.

Setzen wir unsre Betrachtung fort, so gelangen wir hinter dem zweiten Pi-
laster, welcher die Gestalt Solon's tragen soll, zu dem dritten Hauptbilde, der
Zerstörung Jerusalems. Das Original zu diesem Bilde befindet sich, in
Oel gemalt, in der neuen Pinakothek zu München. Hier bezeichnet es im Zu¬
sammenhange des Cyklus die römische Welt in ihrer allbeherrschender völterver-
uichteudeu Macht. Ueber der Zerstörung schweben die Propheten, welche den
Untergang Israels verkündeten, begleitet von den strafenden Engeln des Gerichts.
Links im Hintergründe dringt der siegende Imperator, hoch zu Roß, mit seineu
Kriegern herein. Die Mittelgrnppe bildet der Hohepriester mit den Seinigen,
dnrch Selbstmord sich dem Rachegotte opfernd, während rechts im Vorgrunde der
von Furien gepeitschte Ahasver in die ruhelose Pilgerschaft seines endlosen Lebens
getrieben wird. Erschütternde Wahrheit herrscht in den Gestalten und Gruppen
des Mordes und der Verzweiflung, die Furchtbarkeit der Zerstörung wird erhöht
dnrch die grausige Beleuchtung des Brandes, welcher die Stadt verzehrt. Im


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rischen Gottes im ersten Bilde und dieser heiteren Harmonie von Göttern und
Menschen auf griechischem Boden! Hier fühlen sich die Menschen in Einheit und
Uebereinstimmung mit den Himmlischen, denen sie das menschliche Wesen mit all'
seiner Liebenswürdigkeit, wenn auch mit all' seinen Schwächen, in der Form er¬
höhter Macht und Unsterblichkeit beließen; daher der Friede zwischen dem Olymp
und der Erde. Dort hat sich der Mensch in finsterer Strenge eines Theils der
eigenen Würde entäußert und in selbstischer Furcht einem zornigen Herrn unter¬
worfen; daher der Zwiespalt, daher die Gottlosigkeit ganzer Geschlechter. Schon
hier läßt sich des Künstlers Grundanschauung von dem darzustellenden Gegen¬
stande klar erfassen. Er gibt die Weltgeschichte in sechs Perioden und jedesmal
die Menschheit, genauer: das Volk, welches ihm die Periode bezeichnet, im Zu¬
sammenhange mit der Gottesanschauung, welche ans dessen Charakter und Geschichte
erwuchs. Die Göttergestalten, die er malt, sie mögen dem alten oder neuen
Testamente, sie mögen dem classischen oder barbarischen Heidenthume angehören,
sind nirgends im Sinne eines Overbeck oder Wilhelm vou Schadow kirch¬
lich und geistlich empfunden. Sie siud gedacht aus den geschichtlichen Be¬
dingungen bestimmter Volksexistenzen und Zeitbegriffe, sie stellen keine theologische,
sondern eine philosophische Auffassung des Religiösen dar. Aber indem
Kaulbach die Weltgeschichte uicht in solcher Weise darstellt, daß er die Höhe¬
punkte ihres lebendigen Entwickelungsganges in voller Realität und Wahrheit er¬
greift und zum Bilde gestaltet, indem er der geschichtlichen Wirklichkeit wieder eine
übersinnliche Welt hinzufügt, eine gedachte Uebersinnlichkeit statt einer geglaubten,
die Metaphysik des Gedankens statt der Mystik des Gemüths, befreit er sich denkend
aus der Abstraction des kirchlichen Idealismus, um einer anderen Abstraction in
die Arme zu sinken. Es ist nicht Geschichte, was er malt, es ist Philoso¬
phie der Geschichte.

Setzen wir unsre Betrachtung fort, so gelangen wir hinter dem zweiten Pi-
laster, welcher die Gestalt Solon's tragen soll, zu dem dritten Hauptbilde, der
Zerstörung Jerusalems. Das Original zu diesem Bilde befindet sich, in
Oel gemalt, in der neuen Pinakothek zu München. Hier bezeichnet es im Zu¬
sammenhange des Cyklus die römische Welt in ihrer allbeherrschender völterver-
uichteudeu Macht. Ueber der Zerstörung schweben die Propheten, welche den
Untergang Israels verkündeten, begleitet von den strafenden Engeln des Gerichts.
Links im Hintergründe dringt der siegende Imperator, hoch zu Roß, mit seineu
Kriegern herein. Die Mittelgrnppe bildet der Hohepriester mit den Seinigen,
dnrch Selbstmord sich dem Rachegotte opfernd, während rechts im Vorgrunde der
von Furien gepeitschte Ahasver in die ruhelose Pilgerschaft seines endlosen Lebens
getrieben wird. Erschütternde Wahrheit herrscht in den Gestalten und Gruppen
des Mordes und der Verzweiflung, die Furchtbarkeit der Zerstörung wird erhöht
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[0495] rischen Gottes im ersten Bilde und dieser heiteren Harmonie von Göttern und Menschen auf griechischem Boden! Hier fühlen sich die Menschen in Einheit und Uebereinstimmung mit den Himmlischen, denen sie das menschliche Wesen mit all' seiner Liebenswürdigkeit, wenn auch mit all' seinen Schwächen, in der Form er¬ höhter Macht und Unsterblichkeit beließen; daher der Friede zwischen dem Olymp und der Erde. Dort hat sich der Mensch in finsterer Strenge eines Theils der eigenen Würde entäußert und in selbstischer Furcht einem zornigen Herrn unter¬ worfen; daher der Zwiespalt, daher die Gottlosigkeit ganzer Geschlechter. Schon hier läßt sich des Künstlers Grundanschauung von dem darzustellenden Gegen¬ stande klar erfassen. Er gibt die Weltgeschichte in sechs Perioden und jedesmal die Menschheit, genauer: das Volk, welches ihm die Periode bezeichnet, im Zu¬ sammenhange mit der Gottesanschauung, welche ans dessen Charakter und Geschichte erwuchs. Die Göttergestalten, die er malt, sie mögen dem alten oder neuen Testamente, sie mögen dem classischen oder barbarischen Heidenthume angehören, sind nirgends im Sinne eines Overbeck oder Wilhelm vou Schadow kirch¬ lich und geistlich empfunden. Sie siud gedacht aus den geschichtlichen Be¬ dingungen bestimmter Volksexistenzen und Zeitbegriffe, sie stellen keine theologische, sondern eine philosophische Auffassung des Religiösen dar. Aber indem Kaulbach die Weltgeschichte uicht in solcher Weise darstellt, daß er die Höhe¬ punkte ihres lebendigen Entwickelungsganges in voller Realität und Wahrheit er¬ greift und zum Bilde gestaltet, indem er der geschichtlichen Wirklichkeit wieder eine übersinnliche Welt hinzufügt, eine gedachte Uebersinnlichkeit statt einer geglaubten, die Metaphysik des Gedankens statt der Mystik des Gemüths, befreit er sich denkend aus der Abstraction des kirchlichen Idealismus, um einer anderen Abstraction in die Arme zu sinken. Es ist nicht Geschichte, was er malt, es ist Philoso¬ phie der Geschichte. Setzen wir unsre Betrachtung fort, so gelangen wir hinter dem zweiten Pi- laster, welcher die Gestalt Solon's tragen soll, zu dem dritten Hauptbilde, der Zerstörung Jerusalems. Das Original zu diesem Bilde befindet sich, in Oel gemalt, in der neuen Pinakothek zu München. Hier bezeichnet es im Zu¬ sammenhange des Cyklus die römische Welt in ihrer allbeherrschender völterver- uichteudeu Macht. Ueber der Zerstörung schweben die Propheten, welche den Untergang Israels verkündeten, begleitet von den strafenden Engeln des Gerichts. Links im Hintergründe dringt der siegende Imperator, hoch zu Roß, mit seineu Kriegern herein. Die Mittelgrnppe bildet der Hohepriester mit den Seinigen, dnrch Selbstmord sich dem Rachegotte opfernd, während rechts im Vorgrunde der von Furien gepeitschte Ahasver in die ruhelose Pilgerschaft seines endlosen Lebens getrieben wird. Erschütternde Wahrheit herrscht in den Gestalten und Gruppen des Mordes und der Verzweiflung, die Furchtbarkeit der Zerstörung wird erhöht dnrch die grausige Beleuchtung des Brandes, welcher die Stadt verzehrt. Im 61*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/495>, abgerufen am 28.06.2024.