Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

in je eine obere und eine untere Abtheilung getrennt werden, in den oberen alle¬
gorische Gestalten, in den untern die geschichtlichen Figuren des Moses, Solon,
Karls des Großen und des Hohenstaufen Friedrich Barbarossa tragen. Die Ge¬
mälde oberhalb der vier Thüren haben zum Gegenstand: die Sage, die Geschichte,
die Künste, die Wissenschaften; der große Fries endlich betrachtet im Humor des
Arabcskenspiels die Weltgeschichte aus der Vogelperspective, in welcher das Men¬
schenleben mit seinen Trieben und Leidenschaften, seinen Zwecken und Idealen zu
einer parodireudeu Kinderwelt zusammenschrumpft.

Die Aufgabe, welche Kanlba es erhielt, besteht darin, dnrch eine Gesammtheit
malerischer Kunstwerke den Gang der Weltgeschichte zu verbildlichen. Das Epische
dieser Aufgabe entwickelt sich in der Reihenfolge der sechs Hauptbilder, von denen das
erste in der Sprachverwirrung und dem Auseiuauderstänben der Stämme
den sagenhaften Anfang der Geschichte gibt. Ans den Wolken tritt Jehovah,
der sein Strafgericht über deu König Nimrod hereinbrechen läßt, durch die
Zerstörung des Thurms zu Babel die drei geschichtlichen Na^en des Menschen¬
geschlechts, die Nachkommen Sein's, Ham's und Japhet's, aus dem Frohndienste
befreit und nach verschiedenen Richtungen der Erde ans einander treibt. Das
Bild strahlt uns bereits in voller Farbenpracht entgegen;

Hinter dem erstell Master mit der Gestalt des Moses wird als zweites
Hauptbild der singende Homer das Griechenthum vertreten. Der Carton zu
diesem Bilde ist fertig, befindet sich aber noch in München; der Vollständigkeit
wegen entnehme ich die Hauptpunkte seines Inhalts einem Berichte aus München,
den vor längerer Zeit das "deutsche Kunstblatt/' brachte. Das Wort Herodot's,
Homer und Hesiod hätten den Griechen ihre Götter gegeben, läßt Kaulbach
in Bezug auf den ersteren Dichter zur malerischen Darstellung gelangen. Der
blinde Säuger naht in leichtem Kahn, dessen Steuer Sibylla regiert, dem Strande
Griechenlands. Die Mutter des von ihm besungenen Achilleus, Thetis, taucht
aus dem Meere empor, um dem Liede zu lauschen, das zwar ihren Schmerz neu
erweckt, aber auch ihre Erinnerung vou Neuem auf das innigste rührt, ihren
Mutterstolz erhebt. Am Strande erblickt man die griechischen Weisen und Dichter,
welche ebenfalls dein Gesänge aufmerksam folgen; Maler und Bildhauer treten
heran, um Idee und Maaß für die Gestaltung ihrer Bildwerke zu empfangen.
Von den Fluren und aus deu Wäldern nahet das hellenische Volk, um die rau¬
here Sitte der Hirten und Jäger mit milderer Cultur zu vertauschen. Ueber den
Häuptern des Menschengeschlechtes schwingt sich die Brücke des strahlenden Him¬
melsbogens, auf der die olympischen Götter zu deu Sterblichen heruntersteigen.
Die Poesie ist es, welche mit den Göttern zugleich die ganze Bildung eines
Volkes erschafft und die Welten des Himmels und der Erde harmonisch in ein¬
ander flicht.

Welch' ein Contrast zwischen jener strafenden Erscheinung des alttestamenta-


in je eine obere und eine untere Abtheilung getrennt werden, in den oberen alle¬
gorische Gestalten, in den untern die geschichtlichen Figuren des Moses, Solon,
Karls des Großen und des Hohenstaufen Friedrich Barbarossa tragen. Die Ge¬
mälde oberhalb der vier Thüren haben zum Gegenstand: die Sage, die Geschichte,
die Künste, die Wissenschaften; der große Fries endlich betrachtet im Humor des
Arabcskenspiels die Weltgeschichte aus der Vogelperspective, in welcher das Men¬
schenleben mit seinen Trieben und Leidenschaften, seinen Zwecken und Idealen zu
einer parodireudeu Kinderwelt zusammenschrumpft.

Die Aufgabe, welche Kanlba es erhielt, besteht darin, dnrch eine Gesammtheit
malerischer Kunstwerke den Gang der Weltgeschichte zu verbildlichen. Das Epische
dieser Aufgabe entwickelt sich in der Reihenfolge der sechs Hauptbilder, von denen das
erste in der Sprachverwirrung und dem Auseiuauderstänben der Stämme
den sagenhaften Anfang der Geschichte gibt. Ans den Wolken tritt Jehovah,
der sein Strafgericht über deu König Nimrod hereinbrechen läßt, durch die
Zerstörung des Thurms zu Babel die drei geschichtlichen Na^en des Menschen¬
geschlechts, die Nachkommen Sein's, Ham's und Japhet's, aus dem Frohndienste
befreit und nach verschiedenen Richtungen der Erde ans einander treibt. Das
Bild strahlt uns bereits in voller Farbenpracht entgegen;

Hinter dem erstell Master mit der Gestalt des Moses wird als zweites
Hauptbild der singende Homer das Griechenthum vertreten. Der Carton zu
diesem Bilde ist fertig, befindet sich aber noch in München; der Vollständigkeit
wegen entnehme ich die Hauptpunkte seines Inhalts einem Berichte aus München,
den vor längerer Zeit das „deutsche Kunstblatt/' brachte. Das Wort Herodot's,
Homer und Hesiod hätten den Griechen ihre Götter gegeben, läßt Kaulbach
in Bezug auf den ersteren Dichter zur malerischen Darstellung gelangen. Der
blinde Säuger naht in leichtem Kahn, dessen Steuer Sibylla regiert, dem Strande
Griechenlands. Die Mutter des von ihm besungenen Achilleus, Thetis, taucht
aus dem Meere empor, um dem Liede zu lauschen, das zwar ihren Schmerz neu
erweckt, aber auch ihre Erinnerung vou Neuem auf das innigste rührt, ihren
Mutterstolz erhebt. Am Strande erblickt man die griechischen Weisen und Dichter,
welche ebenfalls dein Gesänge aufmerksam folgen; Maler und Bildhauer treten
heran, um Idee und Maaß für die Gestaltung ihrer Bildwerke zu empfangen.
Von den Fluren und aus deu Wäldern nahet das hellenische Volk, um die rau¬
here Sitte der Hirten und Jäger mit milderer Cultur zu vertauschen. Ueber den
Häuptern des Menschengeschlechtes schwingt sich die Brücke des strahlenden Him¬
melsbogens, auf der die olympischen Götter zu deu Sterblichen heruntersteigen.
Die Poesie ist es, welche mit den Göttern zugleich die ganze Bildung eines
Volkes erschafft und die Welten des Himmels und der Erde harmonisch in ein¬
ander flicht.

Welch' ein Contrast zwischen jener strafenden Erscheinung des alttestamenta-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0494" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92232"/>
          <p xml:id="ID_1534" prev="#ID_1533"> in je eine obere und eine untere Abtheilung getrennt werden, in den oberen alle¬<lb/>
gorische Gestalten, in den untern die geschichtlichen Figuren des Moses, Solon,<lb/>
Karls des Großen und des Hohenstaufen Friedrich Barbarossa tragen. Die Ge¬<lb/>
mälde oberhalb der vier Thüren haben zum Gegenstand: die Sage, die Geschichte,<lb/>
die Künste, die Wissenschaften; der große Fries endlich betrachtet im Humor des<lb/>
Arabcskenspiels die Weltgeschichte aus der Vogelperspective, in welcher das Men¬<lb/>
schenleben mit seinen Trieben und Leidenschaften, seinen Zwecken und Idealen zu<lb/>
einer parodireudeu Kinderwelt zusammenschrumpft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1535"> Die Aufgabe, welche Kanlba es erhielt, besteht darin, dnrch eine Gesammtheit<lb/>
malerischer Kunstwerke den Gang der Weltgeschichte zu verbildlichen. Das Epische<lb/>
dieser Aufgabe entwickelt sich in der Reihenfolge der sechs Hauptbilder, von denen das<lb/>
erste in der Sprachverwirrung und dem Auseiuauderstänben der Stämme<lb/>
den sagenhaften Anfang der Geschichte gibt. Ans den Wolken tritt Jehovah,<lb/>
der sein Strafgericht über deu König Nimrod hereinbrechen läßt, durch die<lb/>
Zerstörung des Thurms zu Babel die drei geschichtlichen Na^en des Menschen¬<lb/>
geschlechts, die Nachkommen Sein's, Ham's und Japhet's, aus dem Frohndienste<lb/>
befreit und nach verschiedenen Richtungen der Erde ans einander treibt. Das<lb/>
Bild strahlt uns bereits in voller Farbenpracht entgegen;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1536"> Hinter dem erstell Master mit der Gestalt des Moses wird als zweites<lb/>
Hauptbild der singende Homer das Griechenthum vertreten. Der Carton zu<lb/>
diesem Bilde ist fertig, befindet sich aber noch in München; der Vollständigkeit<lb/>
wegen entnehme ich die Hauptpunkte seines Inhalts einem Berichte aus München,<lb/>
den vor längerer Zeit das &#x201E;deutsche Kunstblatt/' brachte. Das Wort Herodot's,<lb/>
Homer und Hesiod hätten den Griechen ihre Götter gegeben, läßt Kaulbach<lb/>
in Bezug auf den ersteren Dichter zur malerischen Darstellung gelangen. Der<lb/>
blinde Säuger naht in leichtem Kahn, dessen Steuer Sibylla regiert, dem Strande<lb/>
Griechenlands. Die Mutter des von ihm besungenen Achilleus, Thetis, taucht<lb/>
aus dem Meere empor, um dem Liede zu lauschen, das zwar ihren Schmerz neu<lb/>
erweckt, aber auch ihre Erinnerung vou Neuem auf das innigste rührt, ihren<lb/>
Mutterstolz erhebt. Am Strande erblickt man die griechischen Weisen und Dichter,<lb/>
welche ebenfalls dein Gesänge aufmerksam folgen; Maler und Bildhauer treten<lb/>
heran, um Idee und Maaß für die Gestaltung ihrer Bildwerke zu empfangen.<lb/>
Von den Fluren und aus deu Wäldern nahet das hellenische Volk, um die rau¬<lb/>
here Sitte der Hirten und Jäger mit milderer Cultur zu vertauschen. Ueber den<lb/>
Häuptern des Menschengeschlechtes schwingt sich die Brücke des strahlenden Him¬<lb/>
melsbogens, auf der die olympischen Götter zu deu Sterblichen heruntersteigen.<lb/>
Die Poesie ist es, welche mit den Göttern zugleich die ganze Bildung eines<lb/>
Volkes erschafft und die Welten des Himmels und der Erde harmonisch in ein¬<lb/>
ander flicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1537" next="#ID_1538"> Welch' ein Contrast zwischen jener strafenden Erscheinung des alttestamenta-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0494] in je eine obere und eine untere Abtheilung getrennt werden, in den oberen alle¬ gorische Gestalten, in den untern die geschichtlichen Figuren des Moses, Solon, Karls des Großen und des Hohenstaufen Friedrich Barbarossa tragen. Die Ge¬ mälde oberhalb der vier Thüren haben zum Gegenstand: die Sage, die Geschichte, die Künste, die Wissenschaften; der große Fries endlich betrachtet im Humor des Arabcskenspiels die Weltgeschichte aus der Vogelperspective, in welcher das Men¬ schenleben mit seinen Trieben und Leidenschaften, seinen Zwecken und Idealen zu einer parodireudeu Kinderwelt zusammenschrumpft. Die Aufgabe, welche Kanlba es erhielt, besteht darin, dnrch eine Gesammtheit malerischer Kunstwerke den Gang der Weltgeschichte zu verbildlichen. Das Epische dieser Aufgabe entwickelt sich in der Reihenfolge der sechs Hauptbilder, von denen das erste in der Sprachverwirrung und dem Auseiuauderstänben der Stämme den sagenhaften Anfang der Geschichte gibt. Ans den Wolken tritt Jehovah, der sein Strafgericht über deu König Nimrod hereinbrechen läßt, durch die Zerstörung des Thurms zu Babel die drei geschichtlichen Na^en des Menschen¬ geschlechts, die Nachkommen Sein's, Ham's und Japhet's, aus dem Frohndienste befreit und nach verschiedenen Richtungen der Erde ans einander treibt. Das Bild strahlt uns bereits in voller Farbenpracht entgegen; Hinter dem erstell Master mit der Gestalt des Moses wird als zweites Hauptbild der singende Homer das Griechenthum vertreten. Der Carton zu diesem Bilde ist fertig, befindet sich aber noch in München; der Vollständigkeit wegen entnehme ich die Hauptpunkte seines Inhalts einem Berichte aus München, den vor längerer Zeit das „deutsche Kunstblatt/' brachte. Das Wort Herodot's, Homer und Hesiod hätten den Griechen ihre Götter gegeben, läßt Kaulbach in Bezug auf den ersteren Dichter zur malerischen Darstellung gelangen. Der blinde Säuger naht in leichtem Kahn, dessen Steuer Sibylla regiert, dem Strande Griechenlands. Die Mutter des von ihm besungenen Achilleus, Thetis, taucht aus dem Meere empor, um dem Liede zu lauschen, das zwar ihren Schmerz neu erweckt, aber auch ihre Erinnerung vou Neuem auf das innigste rührt, ihren Mutterstolz erhebt. Am Strande erblickt man die griechischen Weisen und Dichter, welche ebenfalls dein Gesänge aufmerksam folgen; Maler und Bildhauer treten heran, um Idee und Maaß für die Gestaltung ihrer Bildwerke zu empfangen. Von den Fluren und aus deu Wäldern nahet das hellenische Volk, um die rau¬ here Sitte der Hirten und Jäger mit milderer Cultur zu vertauschen. Ueber den Häuptern des Menschengeschlechtes schwingt sich die Brücke des strahlenden Him¬ melsbogens, auf der die olympischen Götter zu deu Sterblichen heruntersteigen. Die Poesie ist es, welche mit den Göttern zugleich die ganze Bildung eines Volkes erschafft und die Welten des Himmels und der Erde harmonisch in ein¬ ander flicht. Welch' ein Contrast zwischen jener strafenden Erscheinung des alttestamenta-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/494
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/494>, abgerufen am 28.06.2024.