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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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entschiedene Begabung, episches Detail lebhast zu empfinden und darzustellen, so
sei sie auch im Interesse der Kunst artig gebeten, etwas für ihr Talent zu thun.
Vou der Technik der lyrischen Poesie kennt sie viel zu wenig, ihr Vortrag ist
zu flüchtig und ungenau; Flickwörter und störende Jncorrcctheiten in der Sprache
verletzen überall. Noch ist sie nichts, als eine Dilettantin, und ihr Recht, poetische
Einfälle den Gebildeten vorzulegen, kann bezweifelt werden; aber sie hat offenbar
das Zeug, etwas Besseres' zu werden. Das kann sie nur auf einem Wege
erreichen. Sie muß all den falschen Flitterstaat ihrer Bilder und Vergleiche
wegwerfen und darnach trachten, eine lebhafte Empfindung, oder einen interessan¬
ten Eindruck mit den einfachsten Worten zuerst in Prosa, daun in Versen aus¬
zudrücken. Das Geschriebene muß sie genau durchdenken, die einzelnen Zeilen
und Wörter sorgfältig prüfen, und keine Ungenauigkeit in der poetischen An¬
schauung, keinen schielenden Ausdruck, keinen Sprach- und Versfehler dulden.




L i t e r a t u r b l a t t.
Politische Broschüre n.
Reden und Proclamationen des Professors und königlich sächsischen Ministers Ludwig
v. d. Pfordten. Gesammelt und zur Würdigung seiner Wirksamkeit als baier.
Minister herausgegeben. Leipzig, O. Wigand. ,

Der Zweck des Büchleins liegt vollständig in dem vorausgeschickten-Motto, welches
dem Renegatenspiegel von A. Grün entnommen ist: "Heilige Redensart, dir dank' ich
Ehren, Macht und Goldgewinn." -- Es zeigt sich aus dieser Sammlung, daß Herr
v. d. Pfordten in seiner sächsischen Laufbahn, wo er es mit den Radicalen zu thun hatte,
andere Redensarten anzuwenden pflegte, als in Vaiern, wo er fast als Geschäfts¬
träger der jesuitischen Partei angesehen werden kann.

An sich würde das noch nicht hinreichen, einen politischen Charakter zu verurtheilen.
In aufgeregten Zeiten, wo man es mit Kammern zu thun hat, in denen ein Schaffrath
und Joseph bei Weitem die Gemäßigtsten sind, und wo es.doch das Wohl des Vater¬
landes fordert, oder zu fordern scheint, daß man nicht unbedingt mit diesen Kammern
bricht, kann es wohl geschehen, daß man Phrasen anwenden muß, die sonst ein gebildeter
und verständiger Mensch nicht in den Mund nimmt; und man ist deshalb noch nicht
inconsequent, wenn man später, in gebildeter Gesellschaft, andere Redensarten gebraucht.
Auch eine wirkliche Inconsequenz, der Uebergang von einer Ueberzeugung zu der andern,
kann unter Umständen einem Staatsmann zur Ehre gereichen, wenn der Uebergang mit
dem nöthigen Ernst geschieht, und wenn der Werth der neuen Ueberzeugung ein höherer
ist, als der der frühern. Das Letztere ist die Hauptsache.

Ich finde Herrn v. d. Pfordten nicht wegen seiner Inconsequenz zu tadeln, sondern
wegen seiner Consequenz im Schlechten. Er ist in Sachsen Particularist gewesen, wie
in Baiern. -- An sich ist der Particularismus nichts Verwerfliches. Es kommt darauf


entschiedene Begabung, episches Detail lebhast zu empfinden und darzustellen, so
sei sie auch im Interesse der Kunst artig gebeten, etwas für ihr Talent zu thun.
Vou der Technik der lyrischen Poesie kennt sie viel zu wenig, ihr Vortrag ist
zu flüchtig und ungenau; Flickwörter und störende Jncorrcctheiten in der Sprache
verletzen überall. Noch ist sie nichts, als eine Dilettantin, und ihr Recht, poetische
Einfälle den Gebildeten vorzulegen, kann bezweifelt werden; aber sie hat offenbar
das Zeug, etwas Besseres' zu werden. Das kann sie nur auf einem Wege
erreichen. Sie muß all den falschen Flitterstaat ihrer Bilder und Vergleiche
wegwerfen und darnach trachten, eine lebhafte Empfindung, oder einen interessan¬
ten Eindruck mit den einfachsten Worten zuerst in Prosa, daun in Versen aus¬
zudrücken. Das Geschriebene muß sie genau durchdenken, die einzelnen Zeilen
und Wörter sorgfältig prüfen, und keine Ungenauigkeit in der poetischen An¬
schauung, keinen schielenden Ausdruck, keinen Sprach- und Versfehler dulden.




L i t e r a t u r b l a t t.
Politische Broschüre n.
Reden und Proclamationen des Professors und königlich sächsischen Ministers Ludwig
v. d. Pfordten. Gesammelt und zur Würdigung seiner Wirksamkeit als baier.
Minister herausgegeben. Leipzig, O. Wigand. ,

Der Zweck des Büchleins liegt vollständig in dem vorausgeschickten-Motto, welches
dem Renegatenspiegel von A. Grün entnommen ist: „Heilige Redensart, dir dank' ich
Ehren, Macht und Goldgewinn." — Es zeigt sich aus dieser Sammlung, daß Herr
v. d. Pfordten in seiner sächsischen Laufbahn, wo er es mit den Radicalen zu thun hatte,
andere Redensarten anzuwenden pflegte, als in Vaiern, wo er fast als Geschäfts¬
träger der jesuitischen Partei angesehen werden kann.

An sich würde das noch nicht hinreichen, einen politischen Charakter zu verurtheilen.
In aufgeregten Zeiten, wo man es mit Kammern zu thun hat, in denen ein Schaffrath
und Joseph bei Weitem die Gemäßigtsten sind, und wo es.doch das Wohl des Vater¬
landes fordert, oder zu fordern scheint, daß man nicht unbedingt mit diesen Kammern
bricht, kann es wohl geschehen, daß man Phrasen anwenden muß, die sonst ein gebildeter
und verständiger Mensch nicht in den Mund nimmt; und man ist deshalb noch nicht
inconsequent, wenn man später, in gebildeter Gesellschaft, andere Redensarten gebraucht.
Auch eine wirkliche Inconsequenz, der Uebergang von einer Ueberzeugung zu der andern,
kann unter Umständen einem Staatsmann zur Ehre gereichen, wenn der Uebergang mit
dem nöthigen Ernst geschieht, und wenn der Werth der neuen Ueberzeugung ein höherer
ist, als der der frühern. Das Letztere ist die Hauptsache.

Ich finde Herrn v. d. Pfordten nicht wegen seiner Inconsequenz zu tadeln, sondern
wegen seiner Consequenz im Schlechten. Er ist in Sachsen Particularist gewesen, wie
in Baiern. — An sich ist der Particularismus nichts Verwerfliches. Es kommt darauf


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[0048] entschiedene Begabung, episches Detail lebhast zu empfinden und darzustellen, so sei sie auch im Interesse der Kunst artig gebeten, etwas für ihr Talent zu thun. Vou der Technik der lyrischen Poesie kennt sie viel zu wenig, ihr Vortrag ist zu flüchtig und ungenau; Flickwörter und störende Jncorrcctheiten in der Sprache verletzen überall. Noch ist sie nichts, als eine Dilettantin, und ihr Recht, poetische Einfälle den Gebildeten vorzulegen, kann bezweifelt werden; aber sie hat offenbar das Zeug, etwas Besseres' zu werden. Das kann sie nur auf einem Wege erreichen. Sie muß all den falschen Flitterstaat ihrer Bilder und Vergleiche wegwerfen und darnach trachten, eine lebhafte Empfindung, oder einen interessan¬ ten Eindruck mit den einfachsten Worten zuerst in Prosa, daun in Versen aus¬ zudrücken. Das Geschriebene muß sie genau durchdenken, die einzelnen Zeilen und Wörter sorgfältig prüfen, und keine Ungenauigkeit in der poetischen An¬ schauung, keinen schielenden Ausdruck, keinen Sprach- und Versfehler dulden. L i t e r a t u r b l a t t. Politische Broschüre n. Reden und Proclamationen des Professors und königlich sächsischen Ministers Ludwig v. d. Pfordten. Gesammelt und zur Würdigung seiner Wirksamkeit als baier. Minister herausgegeben. Leipzig, O. Wigand. , Der Zweck des Büchleins liegt vollständig in dem vorausgeschickten-Motto, welches dem Renegatenspiegel von A. Grün entnommen ist: „Heilige Redensart, dir dank' ich Ehren, Macht und Goldgewinn." — Es zeigt sich aus dieser Sammlung, daß Herr v. d. Pfordten in seiner sächsischen Laufbahn, wo er es mit den Radicalen zu thun hatte, andere Redensarten anzuwenden pflegte, als in Vaiern, wo er fast als Geschäfts¬ träger der jesuitischen Partei angesehen werden kann. An sich würde das noch nicht hinreichen, einen politischen Charakter zu verurtheilen. In aufgeregten Zeiten, wo man es mit Kammern zu thun hat, in denen ein Schaffrath und Joseph bei Weitem die Gemäßigtsten sind, und wo es.doch das Wohl des Vater¬ landes fordert, oder zu fordern scheint, daß man nicht unbedingt mit diesen Kammern bricht, kann es wohl geschehen, daß man Phrasen anwenden muß, die sonst ein gebildeter und verständiger Mensch nicht in den Mund nimmt; und man ist deshalb noch nicht inconsequent, wenn man später, in gebildeter Gesellschaft, andere Redensarten gebraucht. Auch eine wirkliche Inconsequenz, der Uebergang von einer Ueberzeugung zu der andern, kann unter Umständen einem Staatsmann zur Ehre gereichen, wenn der Uebergang mit dem nöthigen Ernst geschieht, und wenn der Werth der neuen Ueberzeugung ein höherer ist, als der der frühern. Das Letztere ist die Hauptsache. Ich finde Herrn v. d. Pfordten nicht wegen seiner Inconsequenz zu tadeln, sondern wegen seiner Consequenz im Schlechten. Er ist in Sachsen Particularist gewesen, wie in Baiern. — An sich ist der Particularismus nichts Verwerfliches. Es kommt darauf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/48>, abgerufen am 04.07.2024.