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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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ziehen, und mir am folgenden Tage beim Spazierengehen die beiden Genie-Unter-
officiere vorzustellen.

Einen Theil der Nacht sann ich über Mittel nach, einen Nachtangriff des
Obersten Mannla zu unterstützen, und ihm Eingang in die Festung zu verschaffen,
indem wir uns eines der Thore bemächtigten. Ein Weg schien mir der beste zu
sein. Von Kußmaneck nämlich wußte ich, daß in den Kasematten neben mir
98 Soldaten aus kroatischen und slawonischen Regimentern saßen, die vor der
Revolution von den kaiserlichen Kriegsgerichten zu 10, 15 und 20 Jahren Fe¬
stung verurtheilt waren. Diese Gefangenen waren lauter Kroaten oder Slavo-
nier, denn die Ungarn hatten ihre Landsleute freigelassen und unter die Honveds
gesteckt. Sie waren verurtheilt wegen Raub, Mord oder Todtschlag. Kußmaneck
konnte ihnen die Ketten abnehmen, und sie konnten uns helfen. Die Aussicht
auf die Freiheit, das Bedürfniß nach Rache und der Nationalhaß mußten aus
diesen Menschen, die das Blut uicht scheuten, eine Schaar machen, die zu Allem
bereit war, und lieber unterging, als nachgab, so wie das Zeichen einmal gege¬
ben war.

Am folgenden Tage um 1 Uhr Mittags führte mich Knßmaneck auf die Wälle;
Braunstein und Kraue (so hießen die beiden Genie-Unteroffiziere) gingen mit gleich¬
gültiger Miene spazieren; ergab ihnen ein.Zeichen -- und sie folgten uus in einen
schmalen Gang zwischen aufgeschichteten Holzstößen. Braunstein war blond, blaß
und sah schwächlich aus, Kraue hatte breite Schulter", großen Kopf, dicke Augen-
brauen, und einen festen und strengen Blick. Wir kamen sofort über unsere
Pläne überein: Knßmaneck sollte während der Nacht alle Gefangenen freilassen,
und sie schon im Voraus in vier Abtheilungen, jede von 24 Mann, theilen.
Die Gewehre des Postens, der an dem Belgrader Thore die Wache hatte, standen
des Nachts vor dem WachhauS, nur von einer Schildwache beschützt, während
die Uebrigen schliefen. Ich übernahm es, die Schildwache zu überfallen, uns
der dreißig Gewehre zu bemächtigen, die schlafenden Soldaten niederzustoßen und
das Thor in Besitz zu nehmen. Mit 24 Andern sollte Kußmaneck die drei Kanonen
nehmen, die während der Nacht geladen vor der Hauptwache standen; sowie er
sie in Besitz genommen hatte, sollte er sich mit seiner Schaar an den Wall
lehnen, die Kanonen umkehren und sie auf die Ungarn richten. Braunstein und
Kraue übernahmen die Führung der beiden andern Abtheilungen: sie wollten mit
ihnen in die Kaserne dringen, und die Gewehre der schlafenden Soldaten weg¬
nehmen. Unterdessen sollte Oberst Mannla, benachrichtigt dnrch eine Flintensalve,
ein paar Züge Reiterei im Galopp nach dem Thore schicken, das ich mit meinen
Leuten besetzt hatte, und sich alsdann an der Spitze seiner Infanterie selbst in
die Festung werfen. Ohne unsere Kräfte und unsere Mittel zu überschätzen, und
selbst wenn ein Theil des Planes fehlschlagen sollte, konnten wir doch eine halbe
Stunde den Kampf nähren und das Belgrader Thor offen halten; unsere Leute


ziehen, und mir am folgenden Tage beim Spazierengehen die beiden Genie-Unter-
officiere vorzustellen.

Einen Theil der Nacht sann ich über Mittel nach, einen Nachtangriff des
Obersten Mannla zu unterstützen, und ihm Eingang in die Festung zu verschaffen,
indem wir uns eines der Thore bemächtigten. Ein Weg schien mir der beste zu
sein. Von Kußmaneck nämlich wußte ich, daß in den Kasematten neben mir
98 Soldaten aus kroatischen und slawonischen Regimentern saßen, die vor der
Revolution von den kaiserlichen Kriegsgerichten zu 10, 15 und 20 Jahren Fe¬
stung verurtheilt waren. Diese Gefangenen waren lauter Kroaten oder Slavo-
nier, denn die Ungarn hatten ihre Landsleute freigelassen und unter die Honveds
gesteckt. Sie waren verurtheilt wegen Raub, Mord oder Todtschlag. Kußmaneck
konnte ihnen die Ketten abnehmen, und sie konnten uns helfen. Die Aussicht
auf die Freiheit, das Bedürfniß nach Rache und der Nationalhaß mußten aus
diesen Menschen, die das Blut uicht scheuten, eine Schaar machen, die zu Allem
bereit war, und lieber unterging, als nachgab, so wie das Zeichen einmal gege¬
ben war.

Am folgenden Tage um 1 Uhr Mittags führte mich Knßmaneck auf die Wälle;
Braunstein und Kraue (so hießen die beiden Genie-Unteroffiziere) gingen mit gleich¬
gültiger Miene spazieren; ergab ihnen ein.Zeichen — und sie folgten uus in einen
schmalen Gang zwischen aufgeschichteten Holzstößen. Braunstein war blond, blaß
und sah schwächlich aus, Kraue hatte breite Schulter», großen Kopf, dicke Augen-
brauen, und einen festen und strengen Blick. Wir kamen sofort über unsere
Pläne überein: Knßmaneck sollte während der Nacht alle Gefangenen freilassen,
und sie schon im Voraus in vier Abtheilungen, jede von 24 Mann, theilen.
Die Gewehre des Postens, der an dem Belgrader Thore die Wache hatte, standen
des Nachts vor dem WachhauS, nur von einer Schildwache beschützt, während
die Uebrigen schliefen. Ich übernahm es, die Schildwache zu überfallen, uns
der dreißig Gewehre zu bemächtigen, die schlafenden Soldaten niederzustoßen und
das Thor in Besitz zu nehmen. Mit 24 Andern sollte Kußmaneck die drei Kanonen
nehmen, die während der Nacht geladen vor der Hauptwache standen; sowie er
sie in Besitz genommen hatte, sollte er sich mit seiner Schaar an den Wall
lehnen, die Kanonen umkehren und sie auf die Ungarn richten. Braunstein und
Kraue übernahmen die Führung der beiden andern Abtheilungen: sie wollten mit
ihnen in die Kaserne dringen, und die Gewehre der schlafenden Soldaten weg¬
nehmen. Unterdessen sollte Oberst Mannla, benachrichtigt dnrch eine Flintensalve,
ein paar Züge Reiterei im Galopp nach dem Thore schicken, das ich mit meinen
Leuten besetzt hatte, und sich alsdann an der Spitze seiner Infanterie selbst in
die Festung werfen. Ohne unsere Kräfte und unsere Mittel zu überschätzen, und
selbst wenn ein Theil des Planes fehlschlagen sollte, konnten wir doch eine halbe
Stunde den Kampf nähren und das Belgrader Thor offen halten; unsere Leute


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/473>, abgerufen am 28.06.2024.