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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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trat in's Zimmer, grüßte ihn stolz und sagte meinen Namen. Perzel empfing
mich mit affectirter Höflichkeit und sagte: "Ich werde Sie nicht über die Opera¬
tionen Ihrer Armee fragen; denn ich weiß im voraus, daß Sie nicht antworten;
wir wissen übrigens recht gut, wo der Ban ist, und erwarten ihn voller Unge¬
duld. Ich könnte Sie erschießen lassen; aber wir sind nicht solche Barbaren,
wie man bei Ihnen zu glauben scheint. Sie bleiben hier als Gefangener, setzte
er hinzu. Er ließ eiuen Offtcier rufen und man führte mich in eine Käsematte.
Es war ein langes Gewölbe, acht Schritt tief und zwanzig Schritt lang; drei
Stufen führten hinunter, und ein einziges vier Fuß breites und drei Fuß hohes
Fenster in gleicher Höhe mit dem Boden, das als Schießscharte diente und mit
einem starken Gitter verschlossen war, gestattete dem Licht einen Zugang. Man
sah durch dasselbe ans den Graben und die Coutre-Escarpe hinaus. Zu Mittag
kam der Profos in Begleitung eines Soldaten, der mir das Essen brachte; der
Profos trug immer noch die kaiserliche Uniform und schien etwa fünfzig Jahre alt
zu sein. Sein Haar war schou weiß, und aus seinen grauen Angen schössen feu-
rige Blicke. Er schien ernst und traurig zu sein. Als der Soldat hinausgegan-
gen war, setzte er sich auf mein Bett und unterhielt sich mit mir, er habe dreißig
Jahre in einem Grenadierbataillon gedient, sprach von dem Kaiser mit Ehrfurcht
und schien mein Vertrauen gewinnen zu wollen; aber ich beobachtete ihn und war
auf der Hut. Er wünschte mir eine gute Nacht und verließ mich. Den ganzen
Nachmittag beschäftigte ich mich mit Fluchtplänen. Ich untersuchte die eisernen
Stäbe vor dem Fenster, und fand unter einem Haufen alten Hausraths, der in
einer Ecke lag, einen großen eisernen Haspen, den ich versteckte. Er war stark
genug, um ein Schloß damit zu sprengen, aber ich erkannte sogleich, daß ich
den Gedanken aufgeben mußte, durch die Thür Humus zu gelangen, die uach dem
innern Theile der Festung führte. Ich hätte dann noch zwei Linien Befestigungs¬
werke und die ungarischen Vorposten Passiren müssen, und das war unmöglich.
Ich versuchte, die eisernen Fensterstäbe zu biegen, aber sie waren zu stark; später
gelang es mir , zwei aufzuheben, so daß ich den Kopf hinausstecken konnte. Ich
sah jetzt wohl ein, aus dem Innern der Käsematte konnte ich nicht entfliehen:
dnrch die Thür oder das Fenster war es nicht möglich, und die Mauern waren
sechs Fuß dick.

Am folgenden Tage, am 22. Mai, kam der Profos, wie am Tage vorher,
zu Mittag zu mir, und sagte mir, er habe Befehl, mich eine Stande an die
frische Luft zu bringen; ich stellte mich gleichgültig, aber ich konnte nur schwer
meine Freude verbergen; ich konnte jetzt ans neue Fluchtpläne sinnen. Der Pro¬
fos führte mich ans einen mit Bäumen bepflanzten Platz, von dem eine stark ge¬
neigte Rasenfläche uach den Wällen herablief; unter den Wällen floß die Donau.
Hier bot sich eine Möglichkeit der Flucht, wenn ich mich in das Wasser stürzte
und hinüber schwamm; aber ich beschloß, erst noch einige Tage zu warten, um


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trat in's Zimmer, grüßte ihn stolz und sagte meinen Namen. Perzel empfing
mich mit affectirter Höflichkeit und sagte: „Ich werde Sie nicht über die Opera¬
tionen Ihrer Armee fragen; denn ich weiß im voraus, daß Sie nicht antworten;
wir wissen übrigens recht gut, wo der Ban ist, und erwarten ihn voller Unge¬
duld. Ich könnte Sie erschießen lassen; aber wir sind nicht solche Barbaren,
wie man bei Ihnen zu glauben scheint. Sie bleiben hier als Gefangener, setzte
er hinzu. Er ließ eiuen Offtcier rufen und man führte mich in eine Käsematte.
Es war ein langes Gewölbe, acht Schritt tief und zwanzig Schritt lang; drei
Stufen führten hinunter, und ein einziges vier Fuß breites und drei Fuß hohes
Fenster in gleicher Höhe mit dem Boden, das als Schießscharte diente und mit
einem starken Gitter verschlossen war, gestattete dem Licht einen Zugang. Man
sah durch dasselbe ans den Graben und die Coutre-Escarpe hinaus. Zu Mittag
kam der Profos in Begleitung eines Soldaten, der mir das Essen brachte; der
Profos trug immer noch die kaiserliche Uniform und schien etwa fünfzig Jahre alt
zu sein. Sein Haar war schou weiß, und aus seinen grauen Angen schössen feu-
rige Blicke. Er schien ernst und traurig zu sein. Als der Soldat hinausgegan-
gen war, setzte er sich auf mein Bett und unterhielt sich mit mir, er habe dreißig
Jahre in einem Grenadierbataillon gedient, sprach von dem Kaiser mit Ehrfurcht
und schien mein Vertrauen gewinnen zu wollen; aber ich beobachtete ihn und war
auf der Hut. Er wünschte mir eine gute Nacht und verließ mich. Den ganzen
Nachmittag beschäftigte ich mich mit Fluchtplänen. Ich untersuchte die eisernen
Stäbe vor dem Fenster, und fand unter einem Haufen alten Hausraths, der in
einer Ecke lag, einen großen eisernen Haspen, den ich versteckte. Er war stark
genug, um ein Schloß damit zu sprengen, aber ich erkannte sogleich, daß ich
den Gedanken aufgeben mußte, durch die Thür Humus zu gelangen, die uach dem
innern Theile der Festung führte. Ich hätte dann noch zwei Linien Befestigungs¬
werke und die ungarischen Vorposten Passiren müssen, und das war unmöglich.
Ich versuchte, die eisernen Fensterstäbe zu biegen, aber sie waren zu stark; später
gelang es mir , zwei aufzuheben, so daß ich den Kopf hinausstecken konnte. Ich
sah jetzt wohl ein, aus dem Innern der Käsematte konnte ich nicht entfliehen:
dnrch die Thür oder das Fenster war es nicht möglich, und die Mauern waren
sechs Fuß dick.

Am folgenden Tage, am 22. Mai, kam der Profos, wie am Tage vorher,
zu Mittag zu mir, und sagte mir, er habe Befehl, mich eine Stande an die
frische Luft zu bringen; ich stellte mich gleichgültig, aber ich konnte nur schwer
meine Freude verbergen; ich konnte jetzt ans neue Fluchtpläne sinnen. Der Pro¬
fos führte mich ans einen mit Bäumen bepflanzten Platz, von dem eine stark ge¬
neigte Rasenfläche uach den Wällen herablief; unter den Wällen floß die Donau.
Hier bot sich eine Möglichkeit der Flucht, wenn ich mich in das Wasser stürzte
und hinüber schwamm; aber ich beschloß, erst noch einige Tage zu warten, um


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/471>, abgerufen am 04.07.2024.