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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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zum Religionskriege. Das schrecklichste Loos, welches ketzerische Pfarrer trifft, ist,
daß sie abgesetzt und allenfalls von den bürgerlichen Gerichten in Geldstrafe ge¬
nommen werden, und wenn von Zeit zu Zeit sich über die Jesuiten oder etwas
Aehnliches eine Schlägerei erhebt, so sind es zuletzt immer politische Motive, um
die es sich handelt.

Die religiöse Literatur beschränkt sich trotz aller Versuche auf Exegese oder
auf Polemik. Eine neue, Epoche machende Form der religiösen Anschauung zu
finden, wie es in den ersten Jahrhunderten des Christenthums und wie es wieder
in deu Zeiten der Reformation der Fall war, will nicht mehr gelingen. Zwar
ist im Anfang dieses Jahrhunderts, als man sich vor den Folgen der einseitigen
Aufklärung erschreckt zurückwandte, Vieles geschehen, um die alte Religion dem
modernen gebildeten Bewußtsein anzubequemen. Man hat theils ans ästhetischen
Gesichtspunkten, wie Chateaubriand, Schleiermacher, Novalis, Schelling, den Na¬
tionalismus bekämpft, und die ehrwürdigen Vorstellungen und Bilder der histo¬
rischen Kirche wieder zu Ehren zu bringen gesucht; man hat später nach Art der
Scholastik mit metaphysischen Kategorien dem Lehrgebäude der Dogmatik solidere
Stützen geben wollen, aber alle diese Versuche sind in ihr Gegentheil umgeschla¬
gen: die Gründe, welche die Aesthetik, die Moral, die Metaphysik zu Gunsten
der Rechtgläubigkeit aufbot, haben nnr dazu beigetragen, dem Gebiet der Aesthe¬
tik, der Moral und der Metaphysik weitere Grenzen zu stecken, die dem Gebiet
des kirchlichen Denkens und Empfindens entzogen wurden. Die Theologie hat
sich dann anch bald mit ihren lästigen Verbündeten überworfen und ihre alther¬
gebrachten Waffen wieder in die Hand genommen'. Ebenso ist es mit dem Be¬
streben gegangen, die Veränderungen des religiösen Bewußtseins in neuen Ge¬
meinden, neuen Symbolen, neuen Kirchen zu fixiren. Die Deutschkatholiken, so
wie die protestantischen Freunde sind nicht allein an der Schalden der meisten
ihrer Bekenner zu Grnnde gegangen, sondern anch an der Unwahrheit ihrer Idee.
Sie gaben vor, mit einer neuen, ursprünglichen religiösen Gluth in die Welt zu
treten, und sie waren doch nur Symptome von der allgemeinen religiösen Mat¬
tigkeit und Erschlaffung. Die Apostel des neuen Christenthums in Frankreich
gingen mit weit mehr Geist und Poesie zu Werke, als ihre deutschen Glaubens¬
genossen, aber sie haben uicht mehr erreicht, als diese, und auch die anerkannten
Kirchen mit ihren Gustav-Adolf-Vereinen, ihren Generalsynoden und ihren Con¬
cilien sind nicht im Stande gewesen, auch nur über das einfachste Symbol irgend
welche Art der Einigung zu erreichen.

Wenn die Vorfechter der protestantischen Kirche dieses überlegen, so werden
sie sehr bald zu der Ueberzeugung kommen, daß ihre Stellung eine wesentlich
conservative sein müsse, wenn sie überhaupt etwas erreichen wollen; sie werden
nicht mehr darau deuten, die Kirche vom Staat trennen zu wollen, sondern im
Gegentheil sich so fest als möglich an den Staat anklammern, weil dieser allein


zum Religionskriege. Das schrecklichste Loos, welches ketzerische Pfarrer trifft, ist,
daß sie abgesetzt und allenfalls von den bürgerlichen Gerichten in Geldstrafe ge¬
nommen werden, und wenn von Zeit zu Zeit sich über die Jesuiten oder etwas
Aehnliches eine Schlägerei erhebt, so sind es zuletzt immer politische Motive, um
die es sich handelt.

Die religiöse Literatur beschränkt sich trotz aller Versuche auf Exegese oder
auf Polemik. Eine neue, Epoche machende Form der religiösen Anschauung zu
finden, wie es in den ersten Jahrhunderten des Christenthums und wie es wieder
in deu Zeiten der Reformation der Fall war, will nicht mehr gelingen. Zwar
ist im Anfang dieses Jahrhunderts, als man sich vor den Folgen der einseitigen
Aufklärung erschreckt zurückwandte, Vieles geschehen, um die alte Religion dem
modernen gebildeten Bewußtsein anzubequemen. Man hat theils ans ästhetischen
Gesichtspunkten, wie Chateaubriand, Schleiermacher, Novalis, Schelling, den Na¬
tionalismus bekämpft, und die ehrwürdigen Vorstellungen und Bilder der histo¬
rischen Kirche wieder zu Ehren zu bringen gesucht; man hat später nach Art der
Scholastik mit metaphysischen Kategorien dem Lehrgebäude der Dogmatik solidere
Stützen geben wollen, aber alle diese Versuche sind in ihr Gegentheil umgeschla¬
gen: die Gründe, welche die Aesthetik, die Moral, die Metaphysik zu Gunsten
der Rechtgläubigkeit aufbot, haben nnr dazu beigetragen, dem Gebiet der Aesthe¬
tik, der Moral und der Metaphysik weitere Grenzen zu stecken, die dem Gebiet
des kirchlichen Denkens und Empfindens entzogen wurden. Die Theologie hat
sich dann anch bald mit ihren lästigen Verbündeten überworfen und ihre alther¬
gebrachten Waffen wieder in die Hand genommen'. Ebenso ist es mit dem Be¬
streben gegangen, die Veränderungen des religiösen Bewußtseins in neuen Ge¬
meinden, neuen Symbolen, neuen Kirchen zu fixiren. Die Deutschkatholiken, so
wie die protestantischen Freunde sind nicht allein an der Schalden der meisten
ihrer Bekenner zu Grnnde gegangen, sondern anch an der Unwahrheit ihrer Idee.
Sie gaben vor, mit einer neuen, ursprünglichen religiösen Gluth in die Welt zu
treten, und sie waren doch nur Symptome von der allgemeinen religiösen Mat¬
tigkeit und Erschlaffung. Die Apostel des neuen Christenthums in Frankreich
gingen mit weit mehr Geist und Poesie zu Werke, als ihre deutschen Glaubens¬
genossen, aber sie haben uicht mehr erreicht, als diese, und auch die anerkannten
Kirchen mit ihren Gustav-Adolf-Vereinen, ihren Generalsynoden und ihren Con¬
cilien sind nicht im Stande gewesen, auch nur über das einfachste Symbol irgend
welche Art der Einigung zu erreichen.

Wenn die Vorfechter der protestantischen Kirche dieses überlegen, so werden
sie sehr bald zu der Ueberzeugung kommen, daß ihre Stellung eine wesentlich
conservative sein müsse, wenn sie überhaupt etwas erreichen wollen; sie werden
nicht mehr darau deuten, die Kirche vom Staat trennen zu wollen, sondern im
Gegentheil sich so fest als möglich an den Staat anklammern, weil dieser allein


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[0467] zum Religionskriege. Das schrecklichste Loos, welches ketzerische Pfarrer trifft, ist, daß sie abgesetzt und allenfalls von den bürgerlichen Gerichten in Geldstrafe ge¬ nommen werden, und wenn von Zeit zu Zeit sich über die Jesuiten oder etwas Aehnliches eine Schlägerei erhebt, so sind es zuletzt immer politische Motive, um die es sich handelt. Die religiöse Literatur beschränkt sich trotz aller Versuche auf Exegese oder auf Polemik. Eine neue, Epoche machende Form der religiösen Anschauung zu finden, wie es in den ersten Jahrhunderten des Christenthums und wie es wieder in deu Zeiten der Reformation der Fall war, will nicht mehr gelingen. Zwar ist im Anfang dieses Jahrhunderts, als man sich vor den Folgen der einseitigen Aufklärung erschreckt zurückwandte, Vieles geschehen, um die alte Religion dem modernen gebildeten Bewußtsein anzubequemen. Man hat theils ans ästhetischen Gesichtspunkten, wie Chateaubriand, Schleiermacher, Novalis, Schelling, den Na¬ tionalismus bekämpft, und die ehrwürdigen Vorstellungen und Bilder der histo¬ rischen Kirche wieder zu Ehren zu bringen gesucht; man hat später nach Art der Scholastik mit metaphysischen Kategorien dem Lehrgebäude der Dogmatik solidere Stützen geben wollen, aber alle diese Versuche sind in ihr Gegentheil umgeschla¬ gen: die Gründe, welche die Aesthetik, die Moral, die Metaphysik zu Gunsten der Rechtgläubigkeit aufbot, haben nnr dazu beigetragen, dem Gebiet der Aesthe¬ tik, der Moral und der Metaphysik weitere Grenzen zu stecken, die dem Gebiet des kirchlichen Denkens und Empfindens entzogen wurden. Die Theologie hat sich dann anch bald mit ihren lästigen Verbündeten überworfen und ihre alther¬ gebrachten Waffen wieder in die Hand genommen'. Ebenso ist es mit dem Be¬ streben gegangen, die Veränderungen des religiösen Bewußtseins in neuen Ge¬ meinden, neuen Symbolen, neuen Kirchen zu fixiren. Die Deutschkatholiken, so wie die protestantischen Freunde sind nicht allein an der Schalden der meisten ihrer Bekenner zu Grnnde gegangen, sondern anch an der Unwahrheit ihrer Idee. Sie gaben vor, mit einer neuen, ursprünglichen religiösen Gluth in die Welt zu treten, und sie waren doch nur Symptome von der allgemeinen religiösen Mat¬ tigkeit und Erschlaffung. Die Apostel des neuen Christenthums in Frankreich gingen mit weit mehr Geist und Poesie zu Werke, als ihre deutschen Glaubens¬ genossen, aber sie haben uicht mehr erreicht, als diese, und auch die anerkannten Kirchen mit ihren Gustav-Adolf-Vereinen, ihren Generalsynoden und ihren Con¬ cilien sind nicht im Stande gewesen, auch nur über das einfachste Symbol irgend welche Art der Einigung zu erreichen. Wenn die Vorfechter der protestantischen Kirche dieses überlegen, so werden sie sehr bald zu der Ueberzeugung kommen, daß ihre Stellung eine wesentlich conservative sein müsse, wenn sie überhaupt etwas erreichen wollen; sie werden nicht mehr darau deuten, die Kirche vom Staat trennen zu wollen, sondern im Gegentheil sich so fest als möglich an den Staat anklammern, weil dieser allein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/467>, abgerufen am 28.06.2024.