Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

im Stande ist, sie gegen die Angriffe ihrer Gegner, denen sie auf anderem Felde
nicht gewachsen sind, zu schützen; sie werden sich selbst durch die Betrachtung,
welche auch d'Aubignv hervorhebt, daß bei den neuen constitutionellen Formen
des Staats, in welchen die gesetzgebende Gewalt zum Theil an Versammlungen
übertragen ist, die keinen ausschließlich kirchliche", uicht einmal einen ausschließlich
christlichen Charakter mehr haben, die Kirche sich nicht verpflichtet fühlen könne,
Gesetze als bindend anzuerkennen, die über sie und ohne sie gegeben werden --
sie werden sich durch diese Betrachtung nicht irren lassen, sie werden im Gegen¬
theil bald einsehen, daß auch mit unkirchlichen Parlamenten sich immer noch eher
handeln läßt, als mit der unkirchlichen Masse.

Andererseits werden die Liberalen, welche bisher dnrch die ganz richtige
Betrachtung, daß man auch in religiösen Dingen das Recht der Existenz aner¬
kennen müsse, daß man nicht den eignen religiösen Standpunkt, sondern den des
Volks in Betracht zu ziehen habe, wenn von einer kirchlichen Reformation die
Rede sei, sich zu Concessionen verleiten ließen, welche ihr Gewissen ihrem politi¬
schen Schicklichkeitsgefühl machte, sich allmälig von der Nothwendigkeit überzeugen,
in ihrer Stellung zur Religion zweierlei scharf von einander zu trennen. Sie
werden ihre theoretische Ueberzeugung über das Christenthum weder in ihrem
Privatleben, uoch in ihrer schriftstellerischen Thätigkeit durch Gründe politischer
Opportunist bestimmen und beschränken lassen; sie werden, wenn sie überhaupt
die Wahrheit wollen, die Wahrheit ganz sagen; sie werden aber in der religiösen
Praxis sich durchaus uicht vou ihrer theoretischen Ueberzeugung, sondern lediglich
durch politische Gründe bestimmen lassen; sie werden auf die Kirche nicht anders
wirken wollen, als dnrch die Vermittelung des Staats, und sie werden dem Staat
nicht die Befugniß beilegen, ein neues Princip in die Welt einzuführen, sondern
nnr die Befugniß, dem wirklich Vorhandenen den angemessenen Ausdruck zu
leihen.

Auf diese Weise wird es geschehen, daß mit Ausnahme der Ultramontanen
alle Parteien, wenn sie sich nicht von der Leidenschaft, sondern von der ruhigen
Erwägung ihrer Lage bestimmen lassen, sich in der Ueberzeugung vereinigen, daß
nicht die Trennung der Kirche vom Staate sie fördern kann, soudern, nur die
Integrität beider Gebiete. Dies ist der Puukt, auf dem es sich entscheiden
muß, wer deu Sieg davou trägt, eine ehrwürdige Reminiscenz, oder der neue
Geist.




im Stande ist, sie gegen die Angriffe ihrer Gegner, denen sie auf anderem Felde
nicht gewachsen sind, zu schützen; sie werden sich selbst durch die Betrachtung,
welche auch d'Aubignv hervorhebt, daß bei den neuen constitutionellen Formen
des Staats, in welchen die gesetzgebende Gewalt zum Theil an Versammlungen
übertragen ist, die keinen ausschließlich kirchliche«, uicht einmal einen ausschließlich
christlichen Charakter mehr haben, die Kirche sich nicht verpflichtet fühlen könne,
Gesetze als bindend anzuerkennen, die über sie und ohne sie gegeben werden —
sie werden sich durch diese Betrachtung nicht irren lassen, sie werden im Gegen¬
theil bald einsehen, daß auch mit unkirchlichen Parlamenten sich immer noch eher
handeln läßt, als mit der unkirchlichen Masse.

Andererseits werden die Liberalen, welche bisher dnrch die ganz richtige
Betrachtung, daß man auch in religiösen Dingen das Recht der Existenz aner¬
kennen müsse, daß man nicht den eignen religiösen Standpunkt, sondern den des
Volks in Betracht zu ziehen habe, wenn von einer kirchlichen Reformation die
Rede sei, sich zu Concessionen verleiten ließen, welche ihr Gewissen ihrem politi¬
schen Schicklichkeitsgefühl machte, sich allmälig von der Nothwendigkeit überzeugen,
in ihrer Stellung zur Religion zweierlei scharf von einander zu trennen. Sie
werden ihre theoretische Ueberzeugung über das Christenthum weder in ihrem
Privatleben, uoch in ihrer schriftstellerischen Thätigkeit durch Gründe politischer
Opportunist bestimmen und beschränken lassen; sie werden, wenn sie überhaupt
die Wahrheit wollen, die Wahrheit ganz sagen; sie werden aber in der religiösen
Praxis sich durchaus uicht vou ihrer theoretischen Ueberzeugung, sondern lediglich
durch politische Gründe bestimmen lassen; sie werden auf die Kirche nicht anders
wirken wollen, als dnrch die Vermittelung des Staats, und sie werden dem Staat
nicht die Befugniß beilegen, ein neues Princip in die Welt einzuführen, sondern
nnr die Befugniß, dem wirklich Vorhandenen den angemessenen Ausdruck zu
leihen.

Auf diese Weise wird es geschehen, daß mit Ausnahme der Ultramontanen
alle Parteien, wenn sie sich nicht von der Leidenschaft, sondern von der ruhigen
Erwägung ihrer Lage bestimmen lassen, sich in der Ueberzeugung vereinigen, daß
nicht die Trennung der Kirche vom Staate sie fördern kann, soudern, nur die
Integrität beider Gebiete. Dies ist der Puukt, auf dem es sich entscheiden
muß, wer deu Sieg davou trägt, eine ehrwürdige Reminiscenz, oder der neue
Geist.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0468" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92206"/>
          <p xml:id="ID_1442" prev="#ID_1441"> im Stande ist, sie gegen die Angriffe ihrer Gegner, denen sie auf anderem Felde<lb/>
nicht gewachsen sind, zu schützen; sie werden sich selbst durch die Betrachtung,<lb/>
welche auch d'Aubignv hervorhebt, daß bei den neuen constitutionellen Formen<lb/>
des Staats, in welchen die gesetzgebende Gewalt zum Theil an Versammlungen<lb/>
übertragen ist, die keinen ausschließlich kirchliche«, uicht einmal einen ausschließlich<lb/>
christlichen Charakter mehr haben, die Kirche sich nicht verpflichtet fühlen könne,<lb/>
Gesetze als bindend anzuerkennen, die über sie und ohne sie gegeben werden &#x2014;<lb/>
sie werden sich durch diese Betrachtung nicht irren lassen, sie werden im Gegen¬<lb/>
theil bald einsehen, daß auch mit unkirchlichen Parlamenten sich immer noch eher<lb/>
handeln läßt, als mit der unkirchlichen Masse.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1443"> Andererseits werden die Liberalen, welche bisher dnrch die ganz richtige<lb/>
Betrachtung, daß man auch in religiösen Dingen das Recht der Existenz aner¬<lb/>
kennen müsse, daß man nicht den eignen religiösen Standpunkt, sondern den des<lb/>
Volks in Betracht zu ziehen habe, wenn von einer kirchlichen Reformation die<lb/>
Rede sei, sich zu Concessionen verleiten ließen, welche ihr Gewissen ihrem politi¬<lb/>
schen Schicklichkeitsgefühl machte, sich allmälig von der Nothwendigkeit überzeugen,<lb/>
in ihrer Stellung zur Religion zweierlei scharf von einander zu trennen. Sie<lb/>
werden ihre theoretische Ueberzeugung über das Christenthum weder in ihrem<lb/>
Privatleben, uoch in ihrer schriftstellerischen Thätigkeit durch Gründe politischer<lb/>
Opportunist bestimmen und beschränken lassen; sie werden, wenn sie überhaupt<lb/>
die Wahrheit wollen, die Wahrheit ganz sagen; sie werden aber in der religiösen<lb/>
Praxis sich durchaus uicht vou ihrer theoretischen Ueberzeugung, sondern lediglich<lb/>
durch politische Gründe bestimmen lassen; sie werden auf die Kirche nicht anders<lb/>
wirken wollen, als dnrch die Vermittelung des Staats, und sie werden dem Staat<lb/>
nicht die Befugniß beilegen, ein neues Princip in die Welt einzuführen, sondern<lb/>
nnr die Befugniß, dem wirklich Vorhandenen den angemessenen Ausdruck zu<lb/>
leihen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1444"> Auf diese Weise wird es geschehen, daß mit Ausnahme der Ultramontanen<lb/>
alle Parteien, wenn sie sich nicht von der Leidenschaft, sondern von der ruhigen<lb/>
Erwägung ihrer Lage bestimmen lassen, sich in der Ueberzeugung vereinigen, daß<lb/>
nicht die Trennung der Kirche vom Staate sie fördern kann, soudern, nur die<lb/>
Integrität beider Gebiete. Dies ist der Puukt, auf dem es sich entscheiden<lb/>
muß, wer deu Sieg davou trägt, eine ehrwürdige Reminiscenz, oder der neue<lb/>
Geist.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0468] im Stande ist, sie gegen die Angriffe ihrer Gegner, denen sie auf anderem Felde nicht gewachsen sind, zu schützen; sie werden sich selbst durch die Betrachtung, welche auch d'Aubignv hervorhebt, daß bei den neuen constitutionellen Formen des Staats, in welchen die gesetzgebende Gewalt zum Theil an Versammlungen übertragen ist, die keinen ausschließlich kirchliche«, uicht einmal einen ausschließlich christlichen Charakter mehr haben, die Kirche sich nicht verpflichtet fühlen könne, Gesetze als bindend anzuerkennen, die über sie und ohne sie gegeben werden — sie werden sich durch diese Betrachtung nicht irren lassen, sie werden im Gegen¬ theil bald einsehen, daß auch mit unkirchlichen Parlamenten sich immer noch eher handeln läßt, als mit der unkirchlichen Masse. Andererseits werden die Liberalen, welche bisher dnrch die ganz richtige Betrachtung, daß man auch in religiösen Dingen das Recht der Existenz aner¬ kennen müsse, daß man nicht den eignen religiösen Standpunkt, sondern den des Volks in Betracht zu ziehen habe, wenn von einer kirchlichen Reformation die Rede sei, sich zu Concessionen verleiten ließen, welche ihr Gewissen ihrem politi¬ schen Schicklichkeitsgefühl machte, sich allmälig von der Nothwendigkeit überzeugen, in ihrer Stellung zur Religion zweierlei scharf von einander zu trennen. Sie werden ihre theoretische Ueberzeugung über das Christenthum weder in ihrem Privatleben, uoch in ihrer schriftstellerischen Thätigkeit durch Gründe politischer Opportunist bestimmen und beschränken lassen; sie werden, wenn sie überhaupt die Wahrheit wollen, die Wahrheit ganz sagen; sie werden aber in der religiösen Praxis sich durchaus uicht vou ihrer theoretischen Ueberzeugung, sondern lediglich durch politische Gründe bestimmen lassen; sie werden auf die Kirche nicht anders wirken wollen, als dnrch die Vermittelung des Staats, und sie werden dem Staat nicht die Befugniß beilegen, ein neues Princip in die Welt einzuführen, sondern nnr die Befugniß, dem wirklich Vorhandenen den angemessenen Ausdruck zu leihen. Auf diese Weise wird es geschehen, daß mit Ausnahme der Ultramontanen alle Parteien, wenn sie sich nicht von der Leidenschaft, sondern von der ruhigen Erwägung ihrer Lage bestimmen lassen, sich in der Ueberzeugung vereinigen, daß nicht die Trennung der Kirche vom Staate sie fördern kann, soudern, nur die Integrität beider Gebiete. Dies ist der Puukt, auf dem es sich entscheiden muß, wer deu Sieg davou trägt, eine ehrwürdige Reminiscenz, oder der neue Geist.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/468
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/468>, abgerufen am 04.07.2024.