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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Kirche als eine Einheit darzustellen sei, und ob man sie in ihrer Trennung vom
Staat sich denken könne. Eine Frage, die bei der katholischen Kirche nicht
aufgeworfen werden kann, denn diese hat eine sichtbare Einheit, den Papst, und
besteht in katholischen wie in protestantischen Ländern nicht allein außerhalb des
Staats, sondern oft genug gegen denselben fort, und wo einmal der Staat mächtig
genug wird, ihr ein Recht nach dem andern zu entziehen, ist er doch nie im
Stande, den Träger dieser Rechte anzutasten.

Im Uebrigen hat aber der König von Preußen selbst sich mehrfach dahin
ausgesprochen, daß er den gegenwärtigen Zustand der Kirche, ihre Verfassung mit
einbegriffen, für einen Zustand der Knechtschaft halte, und daß .er sich nach dem
Augenblick sehne, wo er die von der Reformation den Fürsten übertragene Kirchen¬
gewalt würdigern Händen zurückgeben könne. Es sind auch im Anfang seiner
Regierung Versuche gemacht worden, theils die evangelische Landeskirche Preußens
in eiuer Generalsynode, theils die allgemeine protestantische Kirche Deutschlands
in einem Concil angesehener Hoftheologen durch kirchliche Mittel zu reorganisiren.
Diese Versuche sind aber als vollständig gescheitert anzusehen. Wir haben vor¬
läufig, abgesehen von den Dissidentengemeinden, eine evangelisch - preußische, eine
evangelisch - sächsische Landeskirche n. s. w.. aber wir haben weder eine deutsche
nationale evangelische Kirche, noch eine allgemeine protestantische Kirche, und so
fest die Verfassung der Kirche in einzelnen Ländern stehen mag, so reicht sie doch
nicht aus, der e^elesia mWans in audern Ländern irgend weiter, als durch
fromme Wünsche, milde Gaben und dergleichen zu Hülfe zu kommen. Das hat
der König von Preußen sehr richtig gefühlt, als er es ablehnte, Protector des
Gustav-Adolf-Vereins für Deutschland zu werden, und sich mit seiner Protection
auf seinen eignen Staat beschränkte. Wir dürfen diesen Umstand nicht ans den
Augen lassen, um uus keine Illusion darüber zu machen, als wären wir im
Stande, mit einer ähnlichen Einheit und Energie wie die Papisten als Kirche
für unsern Glauben einzutreten. Der Protestantismus bildet keine Kirche in dem
Sinn der römisch-katholischen, und fügen wir hinzu, es ist auch keine Aussicht
vorhanden, ihn zu einer solchen zu gestalten.

Im Gegentheil können wir den Ausspruch Savigny's, der im Felde der
Jurisprudenz wohl nicht so unbedingt anerkannt werden dürfte, daß unsere Zeit
unfähig sei zur Rechtsbildung, mit größerer Wahrheit ans das kirchliche Gebiet
übertragen. Unsere Zeit hat die Productivität in religiösen Din¬
gen verloren; so wie die wuuderthueude Kraft der Heiligen erschöpft ist, so
ist es mit der schöpferischen Fähigkeit der Kirche. Wir sind nicht mehr im Stande,
neue Symbole, nicht mehr im Stande, neue kirchliche Formen zu gestalten; die
zahlreichen Versuche der Art sind nicht an äußeren Widerstande, sondern an ihrer
innern Unfruchtbarkeit gescheitert. Nicht einmal zu leidlichen Martyrien hat man
es mehr bringen können, nicht einmal zu einer tüchtigen Inquisition, nicht einmal


Kirche als eine Einheit darzustellen sei, und ob man sie in ihrer Trennung vom
Staat sich denken könne. Eine Frage, die bei der katholischen Kirche nicht
aufgeworfen werden kann, denn diese hat eine sichtbare Einheit, den Papst, und
besteht in katholischen wie in protestantischen Ländern nicht allein außerhalb des
Staats, sondern oft genug gegen denselben fort, und wo einmal der Staat mächtig
genug wird, ihr ein Recht nach dem andern zu entziehen, ist er doch nie im
Stande, den Träger dieser Rechte anzutasten.

Im Uebrigen hat aber der König von Preußen selbst sich mehrfach dahin
ausgesprochen, daß er den gegenwärtigen Zustand der Kirche, ihre Verfassung mit
einbegriffen, für einen Zustand der Knechtschaft halte, und daß .er sich nach dem
Augenblick sehne, wo er die von der Reformation den Fürsten übertragene Kirchen¬
gewalt würdigern Händen zurückgeben könne. Es sind auch im Anfang seiner
Regierung Versuche gemacht worden, theils die evangelische Landeskirche Preußens
in eiuer Generalsynode, theils die allgemeine protestantische Kirche Deutschlands
in einem Concil angesehener Hoftheologen durch kirchliche Mittel zu reorganisiren.
Diese Versuche sind aber als vollständig gescheitert anzusehen. Wir haben vor¬
läufig, abgesehen von den Dissidentengemeinden, eine evangelisch - preußische, eine
evangelisch - sächsische Landeskirche n. s. w.. aber wir haben weder eine deutsche
nationale evangelische Kirche, noch eine allgemeine protestantische Kirche, und so
fest die Verfassung der Kirche in einzelnen Ländern stehen mag, so reicht sie doch
nicht aus, der e^elesia mWans in audern Ländern irgend weiter, als durch
fromme Wünsche, milde Gaben und dergleichen zu Hülfe zu kommen. Das hat
der König von Preußen sehr richtig gefühlt, als er es ablehnte, Protector des
Gustav-Adolf-Vereins für Deutschland zu werden, und sich mit seiner Protection
auf seinen eignen Staat beschränkte. Wir dürfen diesen Umstand nicht ans den
Augen lassen, um uus keine Illusion darüber zu machen, als wären wir im
Stande, mit einer ähnlichen Einheit und Energie wie die Papisten als Kirche
für unsern Glauben einzutreten. Der Protestantismus bildet keine Kirche in dem
Sinn der römisch-katholischen, und fügen wir hinzu, es ist auch keine Aussicht
vorhanden, ihn zu einer solchen zu gestalten.

Im Gegentheil können wir den Ausspruch Savigny's, der im Felde der
Jurisprudenz wohl nicht so unbedingt anerkannt werden dürfte, daß unsere Zeit
unfähig sei zur Rechtsbildung, mit größerer Wahrheit ans das kirchliche Gebiet
übertragen. Unsere Zeit hat die Productivität in religiösen Din¬
gen verloren; so wie die wuuderthueude Kraft der Heiligen erschöpft ist, so
ist es mit der schöpferischen Fähigkeit der Kirche. Wir sind nicht mehr im Stande,
neue Symbole, nicht mehr im Stande, neue kirchliche Formen zu gestalten; die
zahlreichen Versuche der Art sind nicht an äußeren Widerstande, sondern an ihrer
innern Unfruchtbarkeit gescheitert. Nicht einmal zu leidlichen Martyrien hat man
es mehr bringen können, nicht einmal zu einer tüchtigen Inquisition, nicht einmal


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[0466] Kirche als eine Einheit darzustellen sei, und ob man sie in ihrer Trennung vom Staat sich denken könne. Eine Frage, die bei der katholischen Kirche nicht aufgeworfen werden kann, denn diese hat eine sichtbare Einheit, den Papst, und besteht in katholischen wie in protestantischen Ländern nicht allein außerhalb des Staats, sondern oft genug gegen denselben fort, und wo einmal der Staat mächtig genug wird, ihr ein Recht nach dem andern zu entziehen, ist er doch nie im Stande, den Träger dieser Rechte anzutasten. Im Uebrigen hat aber der König von Preußen selbst sich mehrfach dahin ausgesprochen, daß er den gegenwärtigen Zustand der Kirche, ihre Verfassung mit einbegriffen, für einen Zustand der Knechtschaft halte, und daß .er sich nach dem Augenblick sehne, wo er die von der Reformation den Fürsten übertragene Kirchen¬ gewalt würdigern Händen zurückgeben könne. Es sind auch im Anfang seiner Regierung Versuche gemacht worden, theils die evangelische Landeskirche Preußens in eiuer Generalsynode, theils die allgemeine protestantische Kirche Deutschlands in einem Concil angesehener Hoftheologen durch kirchliche Mittel zu reorganisiren. Diese Versuche sind aber als vollständig gescheitert anzusehen. Wir haben vor¬ läufig, abgesehen von den Dissidentengemeinden, eine evangelisch - preußische, eine evangelisch - sächsische Landeskirche n. s. w.. aber wir haben weder eine deutsche nationale evangelische Kirche, noch eine allgemeine protestantische Kirche, und so fest die Verfassung der Kirche in einzelnen Ländern stehen mag, so reicht sie doch nicht aus, der e^elesia mWans in audern Ländern irgend weiter, als durch fromme Wünsche, milde Gaben und dergleichen zu Hülfe zu kommen. Das hat der König von Preußen sehr richtig gefühlt, als er es ablehnte, Protector des Gustav-Adolf-Vereins für Deutschland zu werden, und sich mit seiner Protection auf seinen eignen Staat beschränkte. Wir dürfen diesen Umstand nicht ans den Augen lassen, um uus keine Illusion darüber zu machen, als wären wir im Stande, mit einer ähnlichen Einheit und Energie wie die Papisten als Kirche für unsern Glauben einzutreten. Der Protestantismus bildet keine Kirche in dem Sinn der römisch-katholischen, und fügen wir hinzu, es ist auch keine Aussicht vorhanden, ihn zu einer solchen zu gestalten. Im Gegentheil können wir den Ausspruch Savigny's, der im Felde der Jurisprudenz wohl nicht so unbedingt anerkannt werden dürfte, daß unsere Zeit unfähig sei zur Rechtsbildung, mit größerer Wahrheit ans das kirchliche Gebiet übertragen. Unsere Zeit hat die Productivität in religiösen Din¬ gen verloren; so wie die wuuderthueude Kraft der Heiligen erschöpft ist, so ist es mit der schöpferischen Fähigkeit der Kirche. Wir sind nicht mehr im Stande, neue Symbole, nicht mehr im Stande, neue kirchliche Formen zu gestalten; die zahlreichen Versuche der Art sind nicht an äußeren Widerstande, sondern an ihrer innern Unfruchtbarkeit gescheitert. Nicht einmal zu leidlichen Martyrien hat man es mehr bringen können, nicht einmal zu einer tüchtigen Inquisition, nicht einmal

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/466>, abgerufen am 04.07.2024.