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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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fern auch den zweiten Theil zu empfehlen, wenn wir Mirza-Schaffy, den weisen
Freund unsers Freundes, als Kritiker des Abendlandes vorführen. Bodenstedt erzählt:

"Theils zu eigener Uebung, theils um dem Weisen von Gjändsha mehr Re¬
spect einzuflößen vor den Sängern des Abendlandes, machte ich wiederholt Ver¬
suche, Lieder aus dem Deutschen und Englischen in das Tatarische zu übersetzen.

Diese Versuche waren für mich in mehr als einer Beziehung von Wichtigkeit.
Ich sehe hier ab von den sprachlichen Vortheilen, welche mir daraus erwuchsen,
und hebe blos die ästhetische Seite hervor.

Wir haben schon früher gesehen, daß Mirza-Schaffy auf eine schöne Diction,
ans Wohlklang und Formvollendung nur daun ein besonderes Gewicht legte, wenn
sich ein wirklicher Gehalt damit vereinte. Er ließ es daher auch niemals als ge¬
nügende Entschuldigung gelten, wenn ich bei Gedichten, deren Inhalt ihm nicht
sonderlich gefiel/ oder bei solchen, welche (wie das sehr häufig vorkam) gar kei¬
nen hatten, die Schönheit der Sprache des Originals rühmend hervorhob. Hin¬
gegen gaben seine Bemerkungen über Bild und Gedanken in den von mir über¬
setzten Gedichten mir nicht allein immer Stoff zum Nachdenken, sondern ließen
mich auch oft tiefe Blicke in die Anschauungsweise und Gefühlswelt der Orienta¬
len thun.

Jene überschwengliche Sentimentalität, die in der deutschen Lyrik eine so
große Rolle spielt und nicht wenig zu unserer Entartung und Entnervung beige¬
tragen hat, ist den morgenländischen Dichtern ebenso unbekannt wie. unverständ¬
lich. Diese streben immer einem realen, greifbaren Ziele zu. Aber um dieses
Ziel zu erreichen, setzen sie Himmel und Erde in Bewegung. Kein Bild liegt
dem Dichter zu weit und kein Gedanke zu hoch. Der Halbmond ist ihm ein
goldnes Hufeisen, womit er das Roß seines Lieblingshelden beschlägt. Die Sterne
sind ihm goldene Nägel, womit der Herr den Himmel befestigt, damit er nicht
herabstürzt aus Verlangen nach Scina. Die Cypressen und Cedern werden nnr
in den Hain gepflanzt zur Erinnerung an den Wuchs schlanker Mädchen. Die
Trauerweide läßt klagend ihr grünes Haar herabhängen in's Wasser, weil sie
nicht schlank ist wie Scina. Die Augen der Geliebten sind Sonnen, welche alle
Gläubigen zu Feueranbetern machen. Die Sonne selbst ist nur eine leuchtende
Lyra und ihre Strahlen find goldene Saiten, ans denen der Ost die lieblichsten
Akkorde lockt zum Preise der Erdenschöne und Liebesnacht...

Nehmen wir jetzt eines meiller Hefte aus der Schule der Weisheit zur Hand,
um Mirza-Schaffy's Urtheil über die Poesie des Abendlandes durch einige Bei¬
spiele zu veranschaulichen.

Eine Auswahl kleiner Gedichte, welche ich von Go es e und Heine übersetzt
hatte, sagte ihm ganz besonders zu. Ganz entzückt war er von dem Göthe'schen:
Kennst Du das Laud ?c., und von dem Heine'schen Fischerliede, welches mit den
Versen endet:


fern auch den zweiten Theil zu empfehlen, wenn wir Mirza-Schaffy, den weisen
Freund unsers Freundes, als Kritiker des Abendlandes vorführen. Bodenstedt erzählt:

„Theils zu eigener Uebung, theils um dem Weisen von Gjändsha mehr Re¬
spect einzuflößen vor den Sängern des Abendlandes, machte ich wiederholt Ver¬
suche, Lieder aus dem Deutschen und Englischen in das Tatarische zu übersetzen.

Diese Versuche waren für mich in mehr als einer Beziehung von Wichtigkeit.
Ich sehe hier ab von den sprachlichen Vortheilen, welche mir daraus erwuchsen,
und hebe blos die ästhetische Seite hervor.

Wir haben schon früher gesehen, daß Mirza-Schaffy auf eine schöne Diction,
ans Wohlklang und Formvollendung nur daun ein besonderes Gewicht legte, wenn
sich ein wirklicher Gehalt damit vereinte. Er ließ es daher auch niemals als ge¬
nügende Entschuldigung gelten, wenn ich bei Gedichten, deren Inhalt ihm nicht
sonderlich gefiel/ oder bei solchen, welche (wie das sehr häufig vorkam) gar kei¬
nen hatten, die Schönheit der Sprache des Originals rühmend hervorhob. Hin¬
gegen gaben seine Bemerkungen über Bild und Gedanken in den von mir über¬
setzten Gedichten mir nicht allein immer Stoff zum Nachdenken, sondern ließen
mich auch oft tiefe Blicke in die Anschauungsweise und Gefühlswelt der Orienta¬
len thun.

Jene überschwengliche Sentimentalität, die in der deutschen Lyrik eine so
große Rolle spielt und nicht wenig zu unserer Entartung und Entnervung beige¬
tragen hat, ist den morgenländischen Dichtern ebenso unbekannt wie. unverständ¬
lich. Diese streben immer einem realen, greifbaren Ziele zu. Aber um dieses
Ziel zu erreichen, setzen sie Himmel und Erde in Bewegung. Kein Bild liegt
dem Dichter zu weit und kein Gedanke zu hoch. Der Halbmond ist ihm ein
goldnes Hufeisen, womit er das Roß seines Lieblingshelden beschlägt. Die Sterne
sind ihm goldene Nägel, womit der Herr den Himmel befestigt, damit er nicht
herabstürzt aus Verlangen nach Scina. Die Cypressen und Cedern werden nnr
in den Hain gepflanzt zur Erinnerung an den Wuchs schlanker Mädchen. Die
Trauerweide läßt klagend ihr grünes Haar herabhängen in's Wasser, weil sie
nicht schlank ist wie Scina. Die Augen der Geliebten sind Sonnen, welche alle
Gläubigen zu Feueranbetern machen. Die Sonne selbst ist nur eine leuchtende
Lyra und ihre Strahlen find goldene Saiten, ans denen der Ost die lieblichsten
Akkorde lockt zum Preise der Erdenschöne und Liebesnacht...

Nehmen wir jetzt eines meiller Hefte aus der Schule der Weisheit zur Hand,
um Mirza-Schaffy's Urtheil über die Poesie des Abendlandes durch einige Bei¬
spiele zu veranschaulichen.

Eine Auswahl kleiner Gedichte, welche ich von Go es e und Heine übersetzt
hatte, sagte ihm ganz besonders zu. Ganz entzückt war er von dem Göthe'schen:
Kennst Du das Laud ?c., und von dem Heine'schen Fischerliede, welches mit den
Versen endet:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/462>, abgerufen am 24.07.2024.