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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Schwieriger war es, ihn mit den Schönheiten der Schillerschen Gedichte
bekannt zu machen. Er kam aber doch zu der Erkenntniß, daß jedes dieser
Gedichte einen guten Kern in sich schließt, wenn es uns in sprachlicher Be¬
ziehung anch oft schwer war, den Kern ans der goldnen Umhüllung heraus¬
zuschälen. Wo solche Schwierigkeiten auftauchten, mußte ein uns befreundeter
Armenier, H. Bndakow, der Lehrer der persischen Sprache am Gymnasium zu
Tiflis war, aushelfen. Bndakow war sowohl der deutscheu wie auch der eng¬
lischen und französischen Sprache mächtig und es machte ihm selbst viel Vergnü¬
gen, Lieder aus diesen Sprachen in morgenländisches Gewand kleiden zu helfen.

Es wurde uus bei diesen Uebungen recht klar, wie viel selbst für die geist¬
reichsten Menschen beim Genusse fremder Poesien verloren geht, wenn die Kennt¬
niß des Bodens fehlt, darauf sie gewachsen sind und die Kenntniß der feineren
Beziehungen, ohne welche oft die duftigsten Gedichte ganz unverständlich bleiben.

So versuchten wir eines Tages das Gedicht von Heine zu übersetzen, wo
er von den Sternen sagt:

Sie sprechen eine Sprache,
Die ist so reich, so schön,
Doch keiner der Philologen
Kann diese Sprache versteh'"!
Ich aber hab' sie erlernet,
Und ich vergesse sie nicht --
Mir diente als Grammatik
Der Herzallerliebsten Gesicht!

Bndakow verstand vollkommen den Witz dieses Gedichtes, aber unsere ver¬
einten Kräfte reichten nicht aus, Mirza^Schassy einen Begriff davon zu geben,
eben weil weder die tatarische noch die persische Sprache einen entsprechenden Aus¬
druck für das hat, was wir unter "Philologen" verstehen. Wir konnten das
Wort nur durch Dilbilir (Sprachenknndiger) übersetzen; ein solcher Dilbilir
war aber Mirza-Schassy selbst, und wie konnte der Weise von Gjändsha zugeben,
daß Andere die Sprache der Sterne besser verstehen sollten, als er und seines
Gleichen?

Einige Lieder von Thomas Moore und Lord Byron machten ihm große
Frende und waren ihm verständlich, ohne daß es eines Commentars dazu be¬
dürfte. Einen gewaltigen Eindruck auf ihn machte das wunderbar schöne Gedicht
von Rep. C. Wolfe:


"Me. a ciruM vo^L dearä, nor 9. tuneral noto <zi.o."
57*

Schwieriger war es, ihn mit den Schönheiten der Schillerschen Gedichte
bekannt zu machen. Er kam aber doch zu der Erkenntniß, daß jedes dieser
Gedichte einen guten Kern in sich schließt, wenn es uns in sprachlicher Be¬
ziehung anch oft schwer war, den Kern ans der goldnen Umhüllung heraus¬
zuschälen. Wo solche Schwierigkeiten auftauchten, mußte ein uns befreundeter
Armenier, H. Bndakow, der Lehrer der persischen Sprache am Gymnasium zu
Tiflis war, aushelfen. Bndakow war sowohl der deutscheu wie auch der eng¬
lischen und französischen Sprache mächtig und es machte ihm selbst viel Vergnü¬
gen, Lieder aus diesen Sprachen in morgenländisches Gewand kleiden zu helfen.

Es wurde uus bei diesen Uebungen recht klar, wie viel selbst für die geist¬
reichsten Menschen beim Genusse fremder Poesien verloren geht, wenn die Kennt¬
niß des Bodens fehlt, darauf sie gewachsen sind und die Kenntniß der feineren
Beziehungen, ohne welche oft die duftigsten Gedichte ganz unverständlich bleiben.

So versuchten wir eines Tages das Gedicht von Heine zu übersetzen, wo
er von den Sternen sagt:

Sie sprechen eine Sprache,
Die ist so reich, so schön,
Doch keiner der Philologen
Kann diese Sprache versteh'»!
Ich aber hab' sie erlernet,
Und ich vergesse sie nicht —
Mir diente als Grammatik
Der Herzallerliebsten Gesicht!

Bndakow verstand vollkommen den Witz dieses Gedichtes, aber unsere ver¬
einten Kräfte reichten nicht aus, Mirza^Schassy einen Begriff davon zu geben,
eben weil weder die tatarische noch die persische Sprache einen entsprechenden Aus¬
druck für das hat, was wir unter „Philologen" verstehen. Wir konnten das
Wort nur durch Dilbilir (Sprachenknndiger) übersetzen; ein solcher Dilbilir
war aber Mirza-Schassy selbst, und wie konnte der Weise von Gjändsha zugeben,
daß Andere die Sprache der Sterne besser verstehen sollten, als er und seines
Gleichen?

Einige Lieder von Thomas Moore und Lord Byron machten ihm große
Frende und waren ihm verständlich, ohne daß es eines Commentars dazu be¬
dürfte. Einen gewaltigen Eindruck auf ihn machte das wunderbar schöne Gedicht
von Rep. C. Wolfe:


„Me. a ciruM vo^L dearä, nor 9. tuneral noto <zi.o."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/463>, abgerufen am 28.06.2024.