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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Hören schließen darf, ebenso correct und wohllautend, als seine frühere rhythmische,
und es sind wenigstens einzelne Scenen mit tiefer und warmer Empfindung ge¬
dacht. Wenn aber der Dichter etwas Bleibendes in der Poesie leisten will, so
wird er sich von diesen Problemen, die lediglich ans einer culturhistorischen Abnor¬
mität beruhen, abwenden und die berechtigten Leidenschaften und Conflicte der
sittlichen Welt, die von jedem richtig fühlenden Menschen ohne alle culturhistori¬
schen Vorstudien begriffen und mitempfunden werden, zum Gegenstand seines Nach¬
I. S. denkens und seiner Dichtung machen müssen.




Gin tatarischer Dichter als Kritiker europäischer
Poesie.

Tausend und Ein Tag im Orient. Von Fr. Bodenstedt. Fortsetzung
und Schluß. Berlin, Decker'sche Ober-Hofbuchdr. 1850.

Der zweite Theil eines Werkes, welches bereits früher in diesem Blatte be¬
sprochen worden ist. Das transkaukasische russische Gebiet und Excurse zu den
Tscherkessen geben das Material für den reichen Inhalt. Auch Mirza-Schaffy,
der Sprachlehrer des Reiseuden, welchen die Leser ans dem ersten Theile des
Buches schätzen gelernt haben, hat Gelegenheit, seine orientalische Weisheit in
Prosa und Versen vor uns Abendländern leuchten zu lassen. Den Schluß des
Werkes bildet: Astold's Grab, ein romantisches Singspiel in vier Aufzügen, aus
dem Russischen des Sagoskin mit der bekannten Geschicklichkeit und Gewissenhaf¬
tigkeit des Verfassers übersetzt. Auch in diesem Bande sind die Uebertragungen
knrdischer, tatarischer und persischer Gedichte ein anmuthiger Schmuck. Mit dem
ersten Theile bildet dieser zweite einen sehr werthvollen Beitrag zu unserer Kennt¬
niß des russischen Morgenlandes. Der Versasser hatte Gelegenheit, nicht nur
die exclusiver Kreise der vornehmen russicheu Gesellschaft in Tiflis kennen zu ler¬
nen, sondern auch Einsicht in die militärischen und diplomatischen Operationen
der Russen zu erhalten. Mit dem besonnenen Urtheil und der Discretion, welche
ihn auszeichnen, hat er dies in seinem Werke benutzt. Wir können den Wunsch
nicht verbergen, daß es unserm Freunde möglich sein möge, in einer spätern Aus¬
gabe dieses Buches beide Theile in einander zu arbeiten, das Znsammengehörige
zu verbinden und den reichen Stoff übersichtlich in größeren Abtheilungen zusam¬
menzustellen.

Beim Erscheinen des ersten Theils haben wir aus dem Leben der orientali¬
schen Dichter einen charakteristischen Abschnitt mitgetheilt; wir hoffen unsern Le-


Grenzboten. I. 1851. 57

Hören schließen darf, ebenso correct und wohllautend, als seine frühere rhythmische,
und es sind wenigstens einzelne Scenen mit tiefer und warmer Empfindung ge¬
dacht. Wenn aber der Dichter etwas Bleibendes in der Poesie leisten will, so
wird er sich von diesen Problemen, die lediglich ans einer culturhistorischen Abnor¬
mität beruhen, abwenden und die berechtigten Leidenschaften und Conflicte der
sittlichen Welt, die von jedem richtig fühlenden Menschen ohne alle culturhistori¬
schen Vorstudien begriffen und mitempfunden werden, zum Gegenstand seines Nach¬
I. S. denkens und seiner Dichtung machen müssen.




Gin tatarischer Dichter als Kritiker europäischer
Poesie.

Tausend und Ein Tag im Orient. Von Fr. Bodenstedt. Fortsetzung
und Schluß. Berlin, Decker'sche Ober-Hofbuchdr. 1850.

Der zweite Theil eines Werkes, welches bereits früher in diesem Blatte be¬
sprochen worden ist. Das transkaukasische russische Gebiet und Excurse zu den
Tscherkessen geben das Material für den reichen Inhalt. Auch Mirza-Schaffy,
der Sprachlehrer des Reiseuden, welchen die Leser ans dem ersten Theile des
Buches schätzen gelernt haben, hat Gelegenheit, seine orientalische Weisheit in
Prosa und Versen vor uns Abendländern leuchten zu lassen. Den Schluß des
Werkes bildet: Astold's Grab, ein romantisches Singspiel in vier Aufzügen, aus
dem Russischen des Sagoskin mit der bekannten Geschicklichkeit und Gewissenhaf¬
tigkeit des Verfassers übersetzt. Auch in diesem Bande sind die Uebertragungen
knrdischer, tatarischer und persischer Gedichte ein anmuthiger Schmuck. Mit dem
ersten Theile bildet dieser zweite einen sehr werthvollen Beitrag zu unserer Kennt¬
niß des russischen Morgenlandes. Der Versasser hatte Gelegenheit, nicht nur
die exclusiver Kreise der vornehmen russicheu Gesellschaft in Tiflis kennen zu ler¬
nen, sondern auch Einsicht in die militärischen und diplomatischen Operationen
der Russen zu erhalten. Mit dem besonnenen Urtheil und der Discretion, welche
ihn auszeichnen, hat er dies in seinem Werke benutzt. Wir können den Wunsch
nicht verbergen, daß es unserm Freunde möglich sein möge, in einer spätern Aus¬
gabe dieses Buches beide Theile in einander zu arbeiten, das Znsammengehörige
zu verbinden und den reichen Stoff übersichtlich in größeren Abtheilungen zusam¬
menzustellen.

Beim Erscheinen des ersten Theils haben wir aus dem Leben der orientali¬
schen Dichter einen charakteristischen Abschnitt mitgetheilt; wir hoffen unsern Le-


Grenzboten. I. 1851. 57
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[0461] Hören schließen darf, ebenso correct und wohllautend, als seine frühere rhythmische, und es sind wenigstens einzelne Scenen mit tiefer und warmer Empfindung ge¬ dacht. Wenn aber der Dichter etwas Bleibendes in der Poesie leisten will, so wird er sich von diesen Problemen, die lediglich ans einer culturhistorischen Abnor¬ mität beruhen, abwenden und die berechtigten Leidenschaften und Conflicte der sittlichen Welt, die von jedem richtig fühlenden Menschen ohne alle culturhistori¬ schen Vorstudien begriffen und mitempfunden werden, zum Gegenstand seines Nach¬ I. S. denkens und seiner Dichtung machen müssen. Gin tatarischer Dichter als Kritiker europäischer Poesie. Tausend und Ein Tag im Orient. Von Fr. Bodenstedt. Fortsetzung und Schluß. Berlin, Decker'sche Ober-Hofbuchdr. 1850. Der zweite Theil eines Werkes, welches bereits früher in diesem Blatte be¬ sprochen worden ist. Das transkaukasische russische Gebiet und Excurse zu den Tscherkessen geben das Material für den reichen Inhalt. Auch Mirza-Schaffy, der Sprachlehrer des Reiseuden, welchen die Leser ans dem ersten Theile des Buches schätzen gelernt haben, hat Gelegenheit, seine orientalische Weisheit in Prosa und Versen vor uns Abendländern leuchten zu lassen. Den Schluß des Werkes bildet: Astold's Grab, ein romantisches Singspiel in vier Aufzügen, aus dem Russischen des Sagoskin mit der bekannten Geschicklichkeit und Gewissenhaf¬ tigkeit des Verfassers übersetzt. Auch in diesem Bande sind die Uebertragungen knrdischer, tatarischer und persischer Gedichte ein anmuthiger Schmuck. Mit dem ersten Theile bildet dieser zweite einen sehr werthvollen Beitrag zu unserer Kennt¬ niß des russischen Morgenlandes. Der Versasser hatte Gelegenheit, nicht nur die exclusiver Kreise der vornehmen russicheu Gesellschaft in Tiflis kennen zu ler¬ nen, sondern auch Einsicht in die militärischen und diplomatischen Operationen der Russen zu erhalten. Mit dem besonnenen Urtheil und der Discretion, welche ihn auszeichnen, hat er dies in seinem Werke benutzt. Wir können den Wunsch nicht verbergen, daß es unserm Freunde möglich sein möge, in einer spätern Aus¬ gabe dieses Buches beide Theile in einander zu arbeiten, das Znsammengehörige zu verbinden und den reichen Stoff übersichtlich in größeren Abtheilungen zusam¬ menzustellen. Beim Erscheinen des ersten Theils haben wir aus dem Leben der orientali¬ schen Dichter einen charakteristischen Abschnitt mitgetheilt; wir hoffen unsern Le- Grenzboten. I. 1851. 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/461>, abgerufen am 28.06.2024.