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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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dem rohesten Cynismus das Privilegium des Genies, sich über alle endlichen
Verhältnisse hinwegzusetzen, als bewiesen an, und wenn dieses Buch trotzdem
nicht den empörenden Eindruck macht, den wir aus Mosenthals "Dichterleben"
mit uus nehmen, so liegt das lediglich in dein Interesse an der meisterhaft durchge¬
führten Detailarbeit. Im Drama ist diese Detailarbeit nicht gut denkbar, und
es ist mir darum zweifelhaft, ob dieser Gegenstaud, der eine gewisse Breite der
Zeit und eine leise, sehr feine Nüaucirung in der Entwickelung der verschiedenen
Uebergänge verlangt, für's Drama überhaupt geeignet sei.

Siebenkäs ist ein Dichter; Eduard ist es zwar nicht in dem engern Sinn,
aber wie wir es heutzutage gewöhnlich verstehen: ein Mann, der eine reiche Em¬
pfänglichkeit für alles Schöne hat, aber nicht die Fähigkeit, seine Kraft auf etwas
Bestimmtes zu werfen. Daß solche Dilettanten von ihrem Standpunkt ans ihr Ver¬
hältniß zur Welt in einem andern Lichte betrachten, als die andern Menschen thun, ist bei
ihrer Neigung, sich mit der Wärme ihres Herzens mehr in einer idealen, erträum¬
ten Welt, als in der wirklichen zu bewegen, sehr wohl begreiflich; es kommt aber
in: Drama darauf an, diese subjective Weltanschauung zu berichtigen. Das ist
aber den wenigsten von den neuern Dichtern, die sich mit einer ähnlichen Auf¬
gabe beschäftigt haben, eingefallen; sie such zu sehr abstracte Poeten, um sich vou
ihrem Gegenstand zu Wterscheideu. Die Schwächen und Verirr, ungen, die sie
schildern, sind ihre eigenen. Ans diesen Umstand müssen wir unsere Aufmerksam¬
keit besonders richten, wenn wir die Frage erwägen, ob der Dichter überhaupt
Gegenstand einer dichterischen Darstellung werden dürfe.

Wenn wir uus von den verschiedenen poetischen Darstellungen des Dichter¬
lebens ein Bild von dem Wesen des Dichters machen wollten, so würde dasselbe
nicht eben sehr günstig ausfallen. Wir müssen uns dieses Wesens gegen seine
eignen Freunde und Verehrer annehmen. Zwar gibt es eine Seite in demselben,
ohne die es nicht gedacht werden ka,M, und die nnr zu leicht die Natur der
realen Verhältnisse, mit denen es in Berührung kommt, verwirrt: hie Neigung
nämlich, die jeder echte Dichter haben muß, alle realen Eindrücke von einiger
Bedeutung in seine ideale Welt einzuführen, d. h. sie zum Gedicht zu verarbeiten,
Indem der Dichter uach Göthe's trefflichem Ausdruck sich von den Qualen einer
jeden Empfindung, die ihn erfüllt, dadurch befreit, daß er sie künstlerisch bewäl¬
tigt, läßt er sich nur zu leicht zu dem Glauben verleiten, daß er damit auch die
Qualen der andern betheiligten Personen aufhebt, oder er sieht die Empfindungen
Anderer nur als Gegenstände künstlerischer Darstellung an; wenn man also das
Wesen des Dichters abstract auffaßt, so müßte jeder Dichter, ein unsittlicher Mensch
sein, d. h. in jedem Dichter müßte sich die Realität des göttlichen und mensch¬
lichen Gesetzes und die Realität der sittlichen Verhältnisse in einen Schein auf¬
lösen; aber diese Ausfassung leidet an eben der Einseitigkeit, die mit jeder Ab-
straction verknüpft ist. Kein Dichter ist blos Dichter, er ist zugleich Mensch und


dem rohesten Cynismus das Privilegium des Genies, sich über alle endlichen
Verhältnisse hinwegzusetzen, als bewiesen an, und wenn dieses Buch trotzdem
nicht den empörenden Eindruck macht, den wir aus Mosenthals „Dichterleben"
mit uus nehmen, so liegt das lediglich in dein Interesse an der meisterhaft durchge¬
führten Detailarbeit. Im Drama ist diese Detailarbeit nicht gut denkbar, und
es ist mir darum zweifelhaft, ob dieser Gegenstaud, der eine gewisse Breite der
Zeit und eine leise, sehr feine Nüaucirung in der Entwickelung der verschiedenen
Uebergänge verlangt, für's Drama überhaupt geeignet sei.

Siebenkäs ist ein Dichter; Eduard ist es zwar nicht in dem engern Sinn,
aber wie wir es heutzutage gewöhnlich verstehen: ein Mann, der eine reiche Em¬
pfänglichkeit für alles Schöne hat, aber nicht die Fähigkeit, seine Kraft auf etwas
Bestimmtes zu werfen. Daß solche Dilettanten von ihrem Standpunkt ans ihr Ver¬
hältniß zur Welt in einem andern Lichte betrachten, als die andern Menschen thun, ist bei
ihrer Neigung, sich mit der Wärme ihres Herzens mehr in einer idealen, erträum¬
ten Welt, als in der wirklichen zu bewegen, sehr wohl begreiflich; es kommt aber
in: Drama darauf an, diese subjective Weltanschauung zu berichtigen. Das ist
aber den wenigsten von den neuern Dichtern, die sich mit einer ähnlichen Auf¬
gabe beschäftigt haben, eingefallen; sie such zu sehr abstracte Poeten, um sich vou
ihrem Gegenstand zu Wterscheideu. Die Schwächen und Verirr, ungen, die sie
schildern, sind ihre eigenen. Ans diesen Umstand müssen wir unsere Aufmerksam¬
keit besonders richten, wenn wir die Frage erwägen, ob der Dichter überhaupt
Gegenstand einer dichterischen Darstellung werden dürfe.

Wenn wir uus von den verschiedenen poetischen Darstellungen des Dichter¬
lebens ein Bild von dem Wesen des Dichters machen wollten, so würde dasselbe
nicht eben sehr günstig ausfallen. Wir müssen uns dieses Wesens gegen seine
eignen Freunde und Verehrer annehmen. Zwar gibt es eine Seite in demselben,
ohne die es nicht gedacht werden ka,M, und die nnr zu leicht die Natur der
realen Verhältnisse, mit denen es in Berührung kommt, verwirrt: hie Neigung
nämlich, die jeder echte Dichter haben muß, alle realen Eindrücke von einiger
Bedeutung in seine ideale Welt einzuführen, d. h. sie zum Gedicht zu verarbeiten,
Indem der Dichter uach Göthe's trefflichem Ausdruck sich von den Qualen einer
jeden Empfindung, die ihn erfüllt, dadurch befreit, daß er sie künstlerisch bewäl¬
tigt, läßt er sich nur zu leicht zu dem Glauben verleiten, daß er damit auch die
Qualen der andern betheiligten Personen aufhebt, oder er sieht die Empfindungen
Anderer nur als Gegenstände künstlerischer Darstellung an; wenn man also das
Wesen des Dichters abstract auffaßt, so müßte jeder Dichter, ein unsittlicher Mensch
sein, d. h. in jedem Dichter müßte sich die Realität des göttlichen und mensch¬
lichen Gesetzes und die Realität der sittlichen Verhältnisse in einen Schein auf¬
lösen; aber diese Ausfassung leidet an eben der Einseitigkeit, die mit jeder Ab-
straction verknüpft ist. Kein Dichter ist blos Dichter, er ist zugleich Mensch und


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[0456] dem rohesten Cynismus das Privilegium des Genies, sich über alle endlichen Verhältnisse hinwegzusetzen, als bewiesen an, und wenn dieses Buch trotzdem nicht den empörenden Eindruck macht, den wir aus Mosenthals „Dichterleben" mit uus nehmen, so liegt das lediglich in dein Interesse an der meisterhaft durchge¬ führten Detailarbeit. Im Drama ist diese Detailarbeit nicht gut denkbar, und es ist mir darum zweifelhaft, ob dieser Gegenstaud, der eine gewisse Breite der Zeit und eine leise, sehr feine Nüaucirung in der Entwickelung der verschiedenen Uebergänge verlangt, für's Drama überhaupt geeignet sei. Siebenkäs ist ein Dichter; Eduard ist es zwar nicht in dem engern Sinn, aber wie wir es heutzutage gewöhnlich verstehen: ein Mann, der eine reiche Em¬ pfänglichkeit für alles Schöne hat, aber nicht die Fähigkeit, seine Kraft auf etwas Bestimmtes zu werfen. Daß solche Dilettanten von ihrem Standpunkt ans ihr Ver¬ hältniß zur Welt in einem andern Lichte betrachten, als die andern Menschen thun, ist bei ihrer Neigung, sich mit der Wärme ihres Herzens mehr in einer idealen, erträum¬ ten Welt, als in der wirklichen zu bewegen, sehr wohl begreiflich; es kommt aber in: Drama darauf an, diese subjective Weltanschauung zu berichtigen. Das ist aber den wenigsten von den neuern Dichtern, die sich mit einer ähnlichen Auf¬ gabe beschäftigt haben, eingefallen; sie such zu sehr abstracte Poeten, um sich vou ihrem Gegenstand zu Wterscheideu. Die Schwächen und Verirr, ungen, die sie schildern, sind ihre eigenen. Ans diesen Umstand müssen wir unsere Aufmerksam¬ keit besonders richten, wenn wir die Frage erwägen, ob der Dichter überhaupt Gegenstand einer dichterischen Darstellung werden dürfe. Wenn wir uus von den verschiedenen poetischen Darstellungen des Dichter¬ lebens ein Bild von dem Wesen des Dichters machen wollten, so würde dasselbe nicht eben sehr günstig ausfallen. Wir müssen uns dieses Wesens gegen seine eignen Freunde und Verehrer annehmen. Zwar gibt es eine Seite in demselben, ohne die es nicht gedacht werden ka,M, und die nnr zu leicht die Natur der realen Verhältnisse, mit denen es in Berührung kommt, verwirrt: hie Neigung nämlich, die jeder echte Dichter haben muß, alle realen Eindrücke von einiger Bedeutung in seine ideale Welt einzuführen, d. h. sie zum Gedicht zu verarbeiten, Indem der Dichter uach Göthe's trefflichem Ausdruck sich von den Qualen einer jeden Empfindung, die ihn erfüllt, dadurch befreit, daß er sie künstlerisch bewäl¬ tigt, läßt er sich nur zu leicht zu dem Glauben verleiten, daß er damit auch die Qualen der andern betheiligten Personen aufhebt, oder er sieht die Empfindungen Anderer nur als Gegenstände künstlerischer Darstellung an; wenn man also das Wesen des Dichters abstract auffaßt, so müßte jeder Dichter, ein unsittlicher Mensch sein, d. h. in jedem Dichter müßte sich die Realität des göttlichen und mensch¬ lichen Gesetzes und die Realität der sittlichen Verhältnisse in einen Schein auf¬ lösen; aber diese Ausfassung leidet an eben der Einseitigkeit, die mit jeder Ab- straction verknüpft ist. Kein Dichter ist blos Dichter, er ist zugleich Mensch und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/456>, abgerufen am 28.06.2024.