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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Charakter und hat als solcher die Fähigkeit und die Verpflichtung, in seinem We¬
sen die Idealität des wahrhaft Menschlichen ebenso darzustellen, wie in seinem
Gedicht. Diese Veredelung seines eigenen Wesens wird seiner Kunst nicht im
Wege stehen; wir haben es nicht nöthig, die Existenz der Poesie durch eine par¬
tielle Aufhebung des Rechts zu erkaufen.

Wenn daher Göthe in seinem Tasso alle Schwächen und Verirrungen, denen
der Dichter leichter ausgesetzt ist, als andere Menschen, in dem Bilde seines Hel¬
den concentrirt und uus dennoch für denselben lebhast zu interessiren weiß, so
darf man nicht vergessen, daß diese Schwächen und Verirrungen nicht blos dem
Dichter, sondern auch dem Jüngling angehören; genan dieselben Sprünge in der
Empfindung und der Leidenschaft an einem Manne dargestellt, würde höchstens
einen Gegenstand sür's Lustspiel geben.

Man hätte glauben sollen, der Tasso würde durch die vollendete Kunst, mit
der er eine bestimmte und doch am Ende sehr beschränkte Seite des menschlichen
Wesens darstellt, die späteren Dichter eher abschrecken, als ermuthigen, einen ähn¬
lichen Vorwurf für ihr Gemälde zu wählen. Es ist aber das Gegentheil ge¬
schehen. Der Grund davon ist in der einseitigen Beschäftigung mit der Literatur
zu suchen, welche schon die Periode von Göthe und Schiller charakterisirt und
welche vou der romantischen Schule zu einer vollständigen Doctrin abgerundet
wurde. Epigrammatische Einfälle, wie "Künstlers Erdenwallen" n. s. w. wurden
mit einer unerquicklichen Breite zu vollständigen Dramen oder Romanen ausge¬
dehnt; der Dichter, der Künstler überhaupt und im weitern Sinne der empfind¬
same und empfängliche Dilettant wurde als der verkannte Göttersohn aufgefaßt,
der sich in diese barbarische Welt nicht zu finden wisse, weil er weit über derselben
stände. Aehnliche Ideen finden sich z. B. zerstreut in Tieck's sämmtlichen Werken
vor; in zwei Novellen: "Shakespeare" und "Camosns" machen sie die Haupt¬
sache. Dann hat Oehlenschläger in seinem "Correggio", Hoffmann in seinen
"Kreislerianen", Holtet in "Lorbeerbaum nud Betttelstab", Gutzkow in seinem
"Richard Savage", Lauheim seineu "Karlsschüleru", Elise Schmidt in dem "Genius
und die Gesellschaft", die Gräfin Hahn in "Levin"; bei den Franzosen Graf
Alfred de Vigny in seinem "Stello" und "Chatterton" das Recht des Genius
den rechtlichen und bürgerlichen Allforderungen gegenüber vertreten. Ich über¬
gehe die unzähligen anderen Werke von den Göttern zweiten Ranges, um auf
meinen eigentlichen Gegellstand zu kommen.

Um sich vou der hohen Idee einen Begriff zu machen, welche Mosenthal mit
der Würde eines Dichters verbindet, genügt es, Einzelnes anzuführen. Bürger
hat, weil er von seiner Poesie nicht leben kann, die Stelle eines Amtmanns an¬
genommen, er versäumt die Pflichten seines Amtes über seinen poetischen Be¬
schäftigungen, und der Gerichtsherr findet sich dadurch veranlaßt, ihn nach einigen
Verwarnungen abzusetzen, weil, wie er ganz richtig bemerkt, dieses Amt nicht


Charakter und hat als solcher die Fähigkeit und die Verpflichtung, in seinem We¬
sen die Idealität des wahrhaft Menschlichen ebenso darzustellen, wie in seinem
Gedicht. Diese Veredelung seines eigenen Wesens wird seiner Kunst nicht im
Wege stehen; wir haben es nicht nöthig, die Existenz der Poesie durch eine par¬
tielle Aufhebung des Rechts zu erkaufen.

Wenn daher Göthe in seinem Tasso alle Schwächen und Verirrungen, denen
der Dichter leichter ausgesetzt ist, als andere Menschen, in dem Bilde seines Hel¬
den concentrirt und uus dennoch für denselben lebhast zu interessiren weiß, so
darf man nicht vergessen, daß diese Schwächen und Verirrungen nicht blos dem
Dichter, sondern auch dem Jüngling angehören; genan dieselben Sprünge in der
Empfindung und der Leidenschaft an einem Manne dargestellt, würde höchstens
einen Gegenstand sür's Lustspiel geben.

Man hätte glauben sollen, der Tasso würde durch die vollendete Kunst, mit
der er eine bestimmte und doch am Ende sehr beschränkte Seite des menschlichen
Wesens darstellt, die späteren Dichter eher abschrecken, als ermuthigen, einen ähn¬
lichen Vorwurf für ihr Gemälde zu wählen. Es ist aber das Gegentheil ge¬
schehen. Der Grund davon ist in der einseitigen Beschäftigung mit der Literatur
zu suchen, welche schon die Periode von Göthe und Schiller charakterisirt und
welche vou der romantischen Schule zu einer vollständigen Doctrin abgerundet
wurde. Epigrammatische Einfälle, wie „Künstlers Erdenwallen" n. s. w. wurden
mit einer unerquicklichen Breite zu vollständigen Dramen oder Romanen ausge¬
dehnt; der Dichter, der Künstler überhaupt und im weitern Sinne der empfind¬
same und empfängliche Dilettant wurde als der verkannte Göttersohn aufgefaßt,
der sich in diese barbarische Welt nicht zu finden wisse, weil er weit über derselben
stände. Aehnliche Ideen finden sich z. B. zerstreut in Tieck's sämmtlichen Werken
vor; in zwei Novellen: „Shakespeare" und „Camosns" machen sie die Haupt¬
sache. Dann hat Oehlenschläger in seinem „Correggio", Hoffmann in seinen
„Kreislerianen", Holtet in „Lorbeerbaum nud Betttelstab", Gutzkow in seinem
„Richard Savage", Lauheim seineu „Karlsschüleru", Elise Schmidt in dem „Genius
und die Gesellschaft", die Gräfin Hahn in „Levin"; bei den Franzosen Graf
Alfred de Vigny in seinem „Stello" und „Chatterton" das Recht des Genius
den rechtlichen und bürgerlichen Allforderungen gegenüber vertreten. Ich über¬
gehe die unzähligen anderen Werke von den Göttern zweiten Ranges, um auf
meinen eigentlichen Gegellstand zu kommen.

Um sich vou der hohen Idee einen Begriff zu machen, welche Mosenthal mit
der Würde eines Dichters verbindet, genügt es, Einzelnes anzuführen. Bürger
hat, weil er von seiner Poesie nicht leben kann, die Stelle eines Amtmanns an¬
genommen, er versäumt die Pflichten seines Amtes über seinen poetischen Be¬
schäftigungen, und der Gerichtsherr findet sich dadurch veranlaßt, ihn nach einigen
Verwarnungen abzusetzen, weil, wie er ganz richtig bemerkt, dieses Amt nicht


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[0457] Charakter und hat als solcher die Fähigkeit und die Verpflichtung, in seinem We¬ sen die Idealität des wahrhaft Menschlichen ebenso darzustellen, wie in seinem Gedicht. Diese Veredelung seines eigenen Wesens wird seiner Kunst nicht im Wege stehen; wir haben es nicht nöthig, die Existenz der Poesie durch eine par¬ tielle Aufhebung des Rechts zu erkaufen. Wenn daher Göthe in seinem Tasso alle Schwächen und Verirrungen, denen der Dichter leichter ausgesetzt ist, als andere Menschen, in dem Bilde seines Hel¬ den concentrirt und uus dennoch für denselben lebhast zu interessiren weiß, so darf man nicht vergessen, daß diese Schwächen und Verirrungen nicht blos dem Dichter, sondern auch dem Jüngling angehören; genan dieselben Sprünge in der Empfindung und der Leidenschaft an einem Manne dargestellt, würde höchstens einen Gegenstand sür's Lustspiel geben. Man hätte glauben sollen, der Tasso würde durch die vollendete Kunst, mit der er eine bestimmte und doch am Ende sehr beschränkte Seite des menschlichen Wesens darstellt, die späteren Dichter eher abschrecken, als ermuthigen, einen ähn¬ lichen Vorwurf für ihr Gemälde zu wählen. Es ist aber das Gegentheil ge¬ schehen. Der Grund davon ist in der einseitigen Beschäftigung mit der Literatur zu suchen, welche schon die Periode von Göthe und Schiller charakterisirt und welche vou der romantischen Schule zu einer vollständigen Doctrin abgerundet wurde. Epigrammatische Einfälle, wie „Künstlers Erdenwallen" n. s. w. wurden mit einer unerquicklichen Breite zu vollständigen Dramen oder Romanen ausge¬ dehnt; der Dichter, der Künstler überhaupt und im weitern Sinne der empfind¬ same und empfängliche Dilettant wurde als der verkannte Göttersohn aufgefaßt, der sich in diese barbarische Welt nicht zu finden wisse, weil er weit über derselben stände. Aehnliche Ideen finden sich z. B. zerstreut in Tieck's sämmtlichen Werken vor; in zwei Novellen: „Shakespeare" und „Camosns" machen sie die Haupt¬ sache. Dann hat Oehlenschläger in seinem „Correggio", Hoffmann in seinen „Kreislerianen", Holtet in „Lorbeerbaum nud Betttelstab", Gutzkow in seinem „Richard Savage", Lauheim seineu „Karlsschüleru", Elise Schmidt in dem „Genius und die Gesellschaft", die Gräfin Hahn in „Levin"; bei den Franzosen Graf Alfred de Vigny in seinem „Stello" und „Chatterton" das Recht des Genius den rechtlichen und bürgerlichen Allforderungen gegenüber vertreten. Ich über¬ gehe die unzähligen anderen Werke von den Göttern zweiten Ranges, um auf meinen eigentlichen Gegellstand zu kommen. Um sich vou der hohen Idee einen Begriff zu machen, welche Mosenthal mit der Würde eines Dichters verbindet, genügt es, Einzelnes anzuführen. Bürger hat, weil er von seiner Poesie nicht leben kann, die Stelle eines Amtmanns an¬ genommen, er versäumt die Pflichten seines Amtes über seinen poetischen Be¬ schäftigungen, und der Gerichtsherr findet sich dadurch veranlaßt, ihn nach einigen Verwarnungen abzusetzen, weil, wie er ganz richtig bemerkt, dieses Amt nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/457>, abgerufen am 28.06.2024.