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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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daß man auch etwas für die Hebung des Volkes thun müsse -- und das Re¬
sultat dieser Erwägungen war, daß man etwas nicht viel Besseres zu Staude
brachte. Bedeutende Opfer sind gebracht worden, vortreffliche Engagements wur-
den abgeschlossen, doch alles Gute wurde theils durch die Rücksichten, die die
Unternehmer zuletzt doch auf den Geschmack der Masse nahmen, theils durch ihre
eigene Geschmacklosigkeit und Ungeschicklichkeit zerstört. In welcher Weise das
Programm zusammengestellt wurde, wie lau Balfe die Direction versah, und
wie energielos er die ungeschickten Eingriffe der Concert-Unternehmer duldete, habe
ich oben bereits berichtet. Einen heftigen Stoß erfuhren die Concerte schon vor
ihrem Beginn durch den plötzlichen Tod Musard's. Musard war es eigentlich,
der in pecuuiärer Beziehung das Unternehmen stützen sollte, weil er dem forcirten
und affectirter Auftreten Jnllien'S dnrch noch größeres Forcircn und Affectiren
die Spitze bieten konnte. Ihn mußte nnn der phlegmatische und unscheinbare
Labitzky ersetzen, der, wenngleich uicht unbeliebt, doch nicht im Stande war, An¬
ziehungskraft zu üben. Aber etwas mußte doch geschehen. Iullieu hatte eine
Quadrille: Uio grout exlüdMon (Ausstellung) angekündigt; folglich mußte für die
National-Concerte etwas Aehnliches componirt werden. Labitzky erhielt den
Auftrag, eine "Quadrille aller Nationen" zu schreiben. Das war nnn ein Mach¬
werk, das in Berlin nicht bis zu Ende würde angehört werden, es müßte
denn in Localen der untergeordnetsten Gattung sein; in London wurde es drei
Wochen hintereinander täglich uuter dem Jubel des Publicums aufgeführt. In
dein ersten Satz war das Ooä save ddo (laeon, in dem zweiten die russische
Volkshymne n. s. w. zu deu verschiedenen Quadrilleu-Rhythmen verarbeitet; da¬
zwischen kamen Variationen für einzelne Instrumente. In dem letzten Satz end¬
lich waren alle verschiedenen Themen nicht etwa zu einem Ganzen durchgearbeitet,
souderu herausgerissene Stücke bald ans diesem, bald aus jenem, waren wie
Lappen an einander gehängt; kleinere Orchester ivareu auf der Gallerie vertheilt,
um die Ueberraschung zu vermehren; endlich faud Alles seinen Abschluß in dem
Koa savL U>o ciukLn, das zuerst vou Solostimmen, dann vom Chor, dann von
Chor und Orchester unter dem Donner vou etwa 20--30 Trommeln ausgeführt
wurde. Das ganze Publicum erhob sich, warf zur Abwechselung die Hüte in die
Höhe, prügelte einige Widerspenstige, die ihre Hüte nicht abnehmen wollten, dnrch,
und nach dieser allgemeinen Aufregung fühlte es sich gestärkt genug, um mit
leidlicher Ruhe eine Arie von Sgna. Angri oder einen Gesang des DomchorS
anzuhören.

In Betreff der Sololeistuugeu führten uns die National-Concerte durchaus
nichts Ausgezeichnetes vor. Daß das Orchester die Mittel hatte, um Vorzüg¬
liches zu leisten, aber weit hinter dem, was es leisten konnte, zurückblieb, habe
ich bereits oben erwähnt. Das einzige in künstlerischer Beziehung wahrhaft
Hervortretende waren die Leistungen des Berliner DomchorS, von dem


daß man auch etwas für die Hebung des Volkes thun müsse — und das Re¬
sultat dieser Erwägungen war, daß man etwas nicht viel Besseres zu Staude
brachte. Bedeutende Opfer sind gebracht worden, vortreffliche Engagements wur-
den abgeschlossen, doch alles Gute wurde theils durch die Rücksichten, die die
Unternehmer zuletzt doch auf den Geschmack der Masse nahmen, theils durch ihre
eigene Geschmacklosigkeit und Ungeschicklichkeit zerstört. In welcher Weise das
Programm zusammengestellt wurde, wie lau Balfe die Direction versah, und
wie energielos er die ungeschickten Eingriffe der Concert-Unternehmer duldete, habe
ich oben bereits berichtet. Einen heftigen Stoß erfuhren die Concerte schon vor
ihrem Beginn durch den plötzlichen Tod Musard's. Musard war es eigentlich,
der in pecuuiärer Beziehung das Unternehmen stützen sollte, weil er dem forcirten
und affectirter Auftreten Jnllien'S dnrch noch größeres Forcircn und Affectiren
die Spitze bieten konnte. Ihn mußte nnn der phlegmatische und unscheinbare
Labitzky ersetzen, der, wenngleich uicht unbeliebt, doch nicht im Stande war, An¬
ziehungskraft zu üben. Aber etwas mußte doch geschehen. Iullieu hatte eine
Quadrille: Uio grout exlüdMon (Ausstellung) angekündigt; folglich mußte für die
National-Concerte etwas Aehnliches componirt werden. Labitzky erhielt den
Auftrag, eine „Quadrille aller Nationen" zu schreiben. Das war nnn ein Mach¬
werk, das in Berlin nicht bis zu Ende würde angehört werden, es müßte
denn in Localen der untergeordnetsten Gattung sein; in London wurde es drei
Wochen hintereinander täglich uuter dem Jubel des Publicums aufgeführt. In
dein ersten Satz war das Ooä save ddo (laeon, in dem zweiten die russische
Volkshymne n. s. w. zu deu verschiedenen Quadrilleu-Rhythmen verarbeitet; da¬
zwischen kamen Variationen für einzelne Instrumente. In dem letzten Satz end¬
lich waren alle verschiedenen Themen nicht etwa zu einem Ganzen durchgearbeitet,
souderu herausgerissene Stücke bald ans diesem, bald aus jenem, waren wie
Lappen an einander gehängt; kleinere Orchester ivareu auf der Gallerie vertheilt,
um die Ueberraschung zu vermehren; endlich faud Alles seinen Abschluß in dem
Koa savL U>o ciukLn, das zuerst vou Solostimmen, dann vom Chor, dann von
Chor und Orchester unter dem Donner vou etwa 20—30 Trommeln ausgeführt
wurde. Das ganze Publicum erhob sich, warf zur Abwechselung die Hüte in die
Höhe, prügelte einige Widerspenstige, die ihre Hüte nicht abnehmen wollten, dnrch,
und nach dieser allgemeinen Aufregung fühlte es sich gestärkt genug, um mit
leidlicher Ruhe eine Arie von Sgna. Angri oder einen Gesang des DomchorS
anzuhören.

In Betreff der Sololeistuugeu führten uns die National-Concerte durchaus
nichts Ausgezeichnetes vor. Daß das Orchester die Mittel hatte, um Vorzüg¬
liches zu leisten, aber weit hinter dem, was es leisten konnte, zurückblieb, habe
ich bereits oben erwähnt. Das einzige in künstlerischer Beziehung wahrhaft
Hervortretende waren die Leistungen des Berliner DomchorS, von dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/43>, abgerufen am 20.06.2024.