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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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hört, was von dieser Art in der Welt existirt. Jullien selbst ist schon seit länge¬
rer Zeit bankerott; aber er ist für London so u"entbehrlich, daß andere Unter¬
nehmer sich der Sache angenommen haben und ihn selbst dnrch ein bestimmtes
glänzendes Engagement sicher stellen. Seine Concerte lassen sich im Ganzen
mit den Wintergarten-Concerten in Berlin vergleichen; nur sind sie mannigfal¬
tiger, großartiger und in vieler Beziehung geschmackloser. Man hört Sympho¬
nien, Soli's für jede Gattung von Instrumenten und Vocalmnsik, -- das Or¬
chester ist großartig zusammengesetzt -- endlich aber Charlatanerien aller Art,
um das doch immer mehr für Aeußerlichkeiten empfängliche, als wirklich musikbe-
dürftige Publicum in den Saal zu locken. So war in diesem Jahre ein Niesen-
Contrabaß aufgestellt, zweimal so groß, als die gewöhnlichen Exemplare dieses
würdigen Großvaters einer Geige; das Publicum wurde aber getäuscht; denn das
Instrument stand nnr als Staffage da, der angebliche Spieler spielte nur schein¬
bar. Sie werden eine ziemliche Vorstellung von dem musikalischen Standpunkt
Englands bekommen, wenn ich Ihnen erzähle, daß der Culminationspunkt der
Jullieu'scheu Concerte sowohl in diesem als in dem vorigen Jahre Kücken's be¬
kanntes "Trab, Trab" war. Jerty Treffy, eine Deutsche, hatte dies Lied
im vorigen Jahre nach England gebracht und solchen Enthusiasmus damit erregt,
daß es sich in jede Leier, in jede Kneipe, in jedes Haus, wo irgeud Musik ge¬
trieben wurde, einbürgerte. Aber so, wie Jerty Treffy, vermochte es doch Nie¬
mand zu singen. Daher wurde deun die gefeierte Sängerin für dieses Lied auch
in dem letzten Herbst wieder ans Deutschland verschrieben. Das sind Triumphe
deutscher Kunst in England, und auf solche Dinge müssen deutsche Künstler sich
legen, wem: sie Bekanntschaft mit englischem Golde machen wollen, denn Jetty
Treffz bekommt für die Dauer eines Monats gegen 2W0 Pfund. -- Dies erinnert an
eine andere Probe von englischer Kunstbildung. Zwei englische Studenten, die
längere Zeit auf deutschem Universitäten zugebracht hatten, waren im letzten Som¬
mer nach England zurückgekehrt. Sie hatten als Resultat ihrer Studien unter
Anderem zwei triviale Studentenlieder in die Heimath zurückgebracht, das Kclito
und das Crambambnli. Mit diesen beiden Liedern machten sie in den glänzend¬
sten Zirkeln Furore. Täglich waren sie in mehrere Gesellschaften geladen, um der
Unterhaltung durch diese Antiquitäten des deutschen Burschenlebens die Krone
aufzusetzen. -- Ich selbst fand es übrigens in einer englisch-deutschen Familie
ähnlich. Mau sah es deutlich den Mienen der Anwesenden an, daß Alles
auf den Augenblick wartete, wo die ernstere Musik enden und Gesellschaftslieder
angestimmt werdeu sollten.

Dem Jnllien'schen Unternehmen traten die National-Concerte gegenüber.
Eine Anzahl vornehmer und kunstliebender Männer machte die Bemerkung, daß
es sehr langweilig sei, den ganzen Herbst und Winter ohne Musik zu leben; daß
die Jnllien'schen Concerte den Anforderungen gebildeter Leute nicht entsprächen;


hört, was von dieser Art in der Welt existirt. Jullien selbst ist schon seit länge¬
rer Zeit bankerott; aber er ist für London so u"entbehrlich, daß andere Unter¬
nehmer sich der Sache angenommen haben und ihn selbst dnrch ein bestimmtes
glänzendes Engagement sicher stellen. Seine Concerte lassen sich im Ganzen
mit den Wintergarten-Concerten in Berlin vergleichen; nur sind sie mannigfal¬
tiger, großartiger und in vieler Beziehung geschmackloser. Man hört Sympho¬
nien, Soli's für jede Gattung von Instrumenten und Vocalmnsik, — das Or¬
chester ist großartig zusammengesetzt — endlich aber Charlatanerien aller Art,
um das doch immer mehr für Aeußerlichkeiten empfängliche, als wirklich musikbe-
dürftige Publicum in den Saal zu locken. So war in diesem Jahre ein Niesen-
Contrabaß aufgestellt, zweimal so groß, als die gewöhnlichen Exemplare dieses
würdigen Großvaters einer Geige; das Publicum wurde aber getäuscht; denn das
Instrument stand nnr als Staffage da, der angebliche Spieler spielte nur schein¬
bar. Sie werden eine ziemliche Vorstellung von dem musikalischen Standpunkt
Englands bekommen, wenn ich Ihnen erzähle, daß der Culminationspunkt der
Jullieu'scheu Concerte sowohl in diesem als in dem vorigen Jahre Kücken's be¬
kanntes „Trab, Trab" war. Jerty Treffy, eine Deutsche, hatte dies Lied
im vorigen Jahre nach England gebracht und solchen Enthusiasmus damit erregt,
daß es sich in jede Leier, in jede Kneipe, in jedes Haus, wo irgeud Musik ge¬
trieben wurde, einbürgerte. Aber so, wie Jerty Treffy, vermochte es doch Nie¬
mand zu singen. Daher wurde deun die gefeierte Sängerin für dieses Lied auch
in dem letzten Herbst wieder ans Deutschland verschrieben. Das sind Triumphe
deutscher Kunst in England, und auf solche Dinge müssen deutsche Künstler sich
legen, wem: sie Bekanntschaft mit englischem Golde machen wollen, denn Jetty
Treffz bekommt für die Dauer eines Monats gegen 2W0 Pfund. — Dies erinnert an
eine andere Probe von englischer Kunstbildung. Zwei englische Studenten, die
längere Zeit auf deutschem Universitäten zugebracht hatten, waren im letzten Som¬
mer nach England zurückgekehrt. Sie hatten als Resultat ihrer Studien unter
Anderem zwei triviale Studentenlieder in die Heimath zurückgebracht, das Kclito
und das Crambambnli. Mit diesen beiden Liedern machten sie in den glänzend¬
sten Zirkeln Furore. Täglich waren sie in mehrere Gesellschaften geladen, um der
Unterhaltung durch diese Antiquitäten des deutschen Burschenlebens die Krone
aufzusetzen. — Ich selbst fand es übrigens in einer englisch-deutschen Familie
ähnlich. Mau sah es deutlich den Mienen der Anwesenden an, daß Alles
auf den Augenblick wartete, wo die ernstere Musik enden und Gesellschaftslieder
angestimmt werdeu sollten.

Dem Jnllien'schen Unternehmen traten die National-Concerte gegenüber.
Eine Anzahl vornehmer und kunstliebender Männer machte die Bemerkung, daß
es sehr langweilig sei, den ganzen Herbst und Winter ohne Musik zu leben; daß
die Jnllien'schen Concerte den Anforderungen gebildeter Leute nicht entsprächen;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/42>, abgerufen am 20.06.2024.