Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.Scene zwischen Mathurine und Pierrot im Dialekt ausführt, im Gegensatz gegen Scene zwischen Mathurine und Pierrot im Dialekt ausführt, im Gegensatz gegen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0425" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92163"/> <p xml:id="ID_1303" prev="#ID_1302" next="#ID_1304"> Scene zwischen Mathurine und Pierrot im Dialekt ausführt, im Gegensatz gegen<lb/> den Don Juan, so muß der Erfolg darüber entscheiden, ob dieser Gegensatz<lb/> glücklich getroffen ist; wenn aber das ernste Drama sich lediglich in der idyllischen Na¬<lb/> tur bewegt, die Anwendung des Dialekts also uicht durch den Contrast entschul¬<lb/> digt werdeu kaun, so scheint es mir kein Recht zu haben, sich anders als in der<lb/> Sprache der gebildeten Welt auszudrücken; der Dialekt bringt einen Eindruck<lb/> hervor, der uicht zur Sache gehört, und verleitet den Dichter zu übertriebenen<lb/> Naivitä'den, die auch in den vorliegenden beiden Stücken nicht fehlen. — Aber<lb/> die Einfachheit liegt nicht blos in diesen Äußerlichkeiten, sondern auch in der<lb/> Zeichnung der Charaktere und in der Anlage der Handlung. Beide Stücke<lb/> geben uus die Bauern, wie sie wirklich sind, nicht etwa gepuderte Schäfer in<lb/> der Manier Florian's und Berqnin'ö: egoistische, schlaue, harte Naturen, die<lb/> ihre Convenienz haben so gut wie die Städter, und die nicht im geringsten<lb/> empfindsam sind. — Am anerkennenswerthesten aber ist die Einfachheit in dem<lb/> Ausdruck der sittlichen Wahrheit. Ich rede hier nnr von der Clandie, denn<lb/> Francs, in welchem der Stoff ganz novellistisch zugeschnitten war, und wo bei<lb/> der Aufführung die originellsten und ansprechendsten Züge wegbleiben mußten,<lb/> ist trotz seines Erfolgs als ein mißlungener Versuch zu betrachten. Clandie hat<lb/> das große Verdienst, daß jene evangelische Wahrheit von dem Unterschied zwi¬<lb/> schen dem Gesetz des Himmels und dem Gesetz der Welt unverhüllt und offen<lb/> ausgesprochen ist. N^my und Clandie, die beiden Hauptfiguren, sind sich über<lb/> ihre eigue Stellung und das Verhältniß derselben zur öffentlichen Meinung klar<lb/> bewußt; sie überheben sich weder der ersteren, noch fürchten sie die letztere; sie<lb/> stehen in ihrer Ueberzeugung keineswegs als eine Abstraction von ihren geschicht¬<lb/> lichen und socialen Voraussetzungen da, es wird uns im Gegentheil nachgewiesen,<lb/> wie sie sich ans denselben entwickelt haben, und diese Entwickelung wird uns<lb/> noch klarer durch deu Einfluß, den ihre Ueberzeugung und das innige, wahre<lb/> Gefühl, mit dem sie dieselbe aussprechen, aus die Vertreter der ländlichen Con¬<lb/> venienz ausübt. — Wegen dieser Innigkeit und Wärme des Gefühls, welche<lb/> unter allen früheren französischen Dichtern am meisten an Sedaine erinnert,<lb/> der in seinem Stück: w MIosoKo i^us 1e savoir (1766) als der Prototyp<lb/> dieser Richtung betrachtet werden kann; einer Innigkeit, welche die neuere Ro¬<lb/> mantik mit ihrer Ausbreitung in äußerliche phantastische Schilderungen vollständig<lb/> verloren hat, kaun die Clandie dazu bestimmt sein, zwar nicht Epoche zu machen,<lb/> denn dazu hat sie in dramatischer Beziehung zu viel Fehler, aber auf den bessern<lb/> Weg hinzudeuten. Ob es Georges Sand ist, die ans diesem Wege etwas<lb/> Bedeutenderes leisten wird, möchte ich sast bezweifeln, obgleich sehr bedeutende<lb/> französische Kritiker, z. B. G. Planche, der entgegengesetzten Meinung sind. Es<lb/> ist überhaupt den Dichtern, welche die eigentlich productive Zeit ihres Lebens<lb/> dem Roman zugewendet haben, selten gelungen, bei ihren spätern, theatralischen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0425]
Scene zwischen Mathurine und Pierrot im Dialekt ausführt, im Gegensatz gegen
den Don Juan, so muß der Erfolg darüber entscheiden, ob dieser Gegensatz
glücklich getroffen ist; wenn aber das ernste Drama sich lediglich in der idyllischen Na¬
tur bewegt, die Anwendung des Dialekts also uicht durch den Contrast entschul¬
digt werdeu kaun, so scheint es mir kein Recht zu haben, sich anders als in der
Sprache der gebildeten Welt auszudrücken; der Dialekt bringt einen Eindruck
hervor, der uicht zur Sache gehört, und verleitet den Dichter zu übertriebenen
Naivitä'den, die auch in den vorliegenden beiden Stücken nicht fehlen. — Aber
die Einfachheit liegt nicht blos in diesen Äußerlichkeiten, sondern auch in der
Zeichnung der Charaktere und in der Anlage der Handlung. Beide Stücke
geben uus die Bauern, wie sie wirklich sind, nicht etwa gepuderte Schäfer in
der Manier Florian's und Berqnin'ö: egoistische, schlaue, harte Naturen, die
ihre Convenienz haben so gut wie die Städter, und die nicht im geringsten
empfindsam sind. — Am anerkennenswerthesten aber ist die Einfachheit in dem
Ausdruck der sittlichen Wahrheit. Ich rede hier nnr von der Clandie, denn
Francs, in welchem der Stoff ganz novellistisch zugeschnitten war, und wo bei
der Aufführung die originellsten und ansprechendsten Züge wegbleiben mußten,
ist trotz seines Erfolgs als ein mißlungener Versuch zu betrachten. Clandie hat
das große Verdienst, daß jene evangelische Wahrheit von dem Unterschied zwi¬
schen dem Gesetz des Himmels und dem Gesetz der Welt unverhüllt und offen
ausgesprochen ist. N^my und Clandie, die beiden Hauptfiguren, sind sich über
ihre eigue Stellung und das Verhältniß derselben zur öffentlichen Meinung klar
bewußt; sie überheben sich weder der ersteren, noch fürchten sie die letztere; sie
stehen in ihrer Ueberzeugung keineswegs als eine Abstraction von ihren geschicht¬
lichen und socialen Voraussetzungen da, es wird uns im Gegentheil nachgewiesen,
wie sie sich ans denselben entwickelt haben, und diese Entwickelung wird uns
noch klarer durch deu Einfluß, den ihre Ueberzeugung und das innige, wahre
Gefühl, mit dem sie dieselbe aussprechen, aus die Vertreter der ländlichen Con¬
venienz ausübt. — Wegen dieser Innigkeit und Wärme des Gefühls, welche
unter allen früheren französischen Dichtern am meisten an Sedaine erinnert,
der in seinem Stück: w MIosoKo i^us 1e savoir (1766) als der Prototyp
dieser Richtung betrachtet werden kann; einer Innigkeit, welche die neuere Ro¬
mantik mit ihrer Ausbreitung in äußerliche phantastische Schilderungen vollständig
verloren hat, kaun die Clandie dazu bestimmt sein, zwar nicht Epoche zu machen,
denn dazu hat sie in dramatischer Beziehung zu viel Fehler, aber auf den bessern
Weg hinzudeuten. Ob es Georges Sand ist, die ans diesem Wege etwas
Bedeutenderes leisten wird, möchte ich sast bezweifeln, obgleich sehr bedeutende
französische Kritiker, z. B. G. Planche, der entgegengesetzten Meinung sind. Es
ist überhaupt den Dichtern, welche die eigentlich productive Zeit ihres Lebens
dem Roman zugewendet haben, selten gelungen, bei ihren spätern, theatralischen
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