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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Dramaturgische Miscellen.

Das Leipziger Theater hat in den letzten Monaten eine ziemliche Anzahl
neuer Dramen aufgeführt, die meistens in das historische Genre fallen. Sie aus¬
führlich zu besprechen hatten wir keine Veranlassung, doch lassen sich einzelne
Bemerkungen vou allgemeinerem Interesse daran knüpfen. Der eine der jungen
Dichter, Herr Köberle, hat die Bühne schon früher mit einer Reihe von hi¬
storischen Dramen beschenkt. In seinem neuesten Werk, die Verläumder,
hat er das 16. Jahrhundert und den fünffüßigen Jambus verlassen; er hat
sich in die historische Zeit des Jahres 1848 begeben. Es scheint uicht mehr
die Zeit zu sein, durch politische Sympathien oder Antipathien einem Stück
günstigen oder ungünstigen Erfolg zu bereiten; die allgemeine Apathie des
Publicums in Bezug auf die Politik ist zu groß geworden; doch knüpfen
sich an solche Erscheinungen immer einige politische Interessen, wenigstens
in Beziehung ans den Charakter des Verfassers. Es gibt eine nicht geringe
Zahl gesinnungsloser Lumpe, die in den Zeiten der Aufregung vor dem
Pöbel gekrochen sind und in der Zeit der Reaction vor der Negierung kriechen,
und durch seichten Spott gegen die Ideen der Freiheit den augenblicklichen Macht¬
habern schmeicheln. Eines der berüchtigtsten dieser Subjecte, Langenschwarz, haben
wir vor einiger Zeit charakterisirt. Vielleicht erfreut uns in nächster Zeit Herr
Julius Schanz, der ehemalige Sänger der Guillotine, jetzt Mitarbeiter an der
Freimüthigen Sachseuzeituug, mit einem ähnlichen Tendenzstück. Wenn man dem
neuen Stück des Herrn Köberle einen ähnlichen Vorwurf gemacht hat, so ist das
mit Unrecht geschehen. Es spricht sich in allen seinen Stücken das Princip des
gemäßigten Liberalismus ans; er ist überall gleichmäßig "gegen die Anarchie und
gegen die Reaction", wie der technische Ausdruck lautet. Aber einen andern
Vorwurf kauu man ihm mit Recht machen. Wenn man ein historisches Drama
schreiben will, aus welchem wir das Bild eiuer bestimmten Zeit 'erhalten sollen,
so muß man diese Zeit vorher erst gründlich studiren, mau muß sie nicht mit ein
paar beliebigen Zeitnngsphrasen abmachen wollen. Wir alle wissen, daß in der
Demokratie des Jahres 1848 sehr viel Ungesundes und Unhaltbares war, aber
wir wissen auch, daß die Partei, welche damals die Bewegung zu leiten suchte,
"icht aus einer Sammlung von Dieben und Mordbrennern bestand. Bei einem
Stück, welches mau in eine frühere Zeit verlegt, läßt sich das Publicum das ge¬
fallen; der Dichter darf Heinrich IV., Sully, oder sonst einer renommirten Per¬
sönlichkeit nur einige liberale Redensarten in den Mund legen, ein paar Liebes-
wtriguen daran knüpfen, einen blutdürstige" Jesuiten in seiner ganzen Scheu߬
lichkeit darstellen, und das Parterre ist vollkommen zufrieden; es hat seiue ge-


Dramaturgische Miscellen.

Das Leipziger Theater hat in den letzten Monaten eine ziemliche Anzahl
neuer Dramen aufgeführt, die meistens in das historische Genre fallen. Sie aus¬
führlich zu besprechen hatten wir keine Veranlassung, doch lassen sich einzelne
Bemerkungen vou allgemeinerem Interesse daran knüpfen. Der eine der jungen
Dichter, Herr Köberle, hat die Bühne schon früher mit einer Reihe von hi¬
storischen Dramen beschenkt. In seinem neuesten Werk, die Verläumder,
hat er das 16. Jahrhundert und den fünffüßigen Jambus verlassen; er hat
sich in die historische Zeit des Jahres 1848 begeben. Es scheint uicht mehr
die Zeit zu sein, durch politische Sympathien oder Antipathien einem Stück
günstigen oder ungünstigen Erfolg zu bereiten; die allgemeine Apathie des
Publicums in Bezug auf die Politik ist zu groß geworden; doch knüpfen
sich an solche Erscheinungen immer einige politische Interessen, wenigstens
in Beziehung ans den Charakter des Verfassers. Es gibt eine nicht geringe
Zahl gesinnungsloser Lumpe, die in den Zeiten der Aufregung vor dem
Pöbel gekrochen sind und in der Zeit der Reaction vor der Negierung kriechen,
und durch seichten Spott gegen die Ideen der Freiheit den augenblicklichen Macht¬
habern schmeicheln. Eines der berüchtigtsten dieser Subjecte, Langenschwarz, haben
wir vor einiger Zeit charakterisirt. Vielleicht erfreut uns in nächster Zeit Herr
Julius Schanz, der ehemalige Sänger der Guillotine, jetzt Mitarbeiter an der
Freimüthigen Sachseuzeituug, mit einem ähnlichen Tendenzstück. Wenn man dem
neuen Stück des Herrn Köberle einen ähnlichen Vorwurf gemacht hat, so ist das
mit Unrecht geschehen. Es spricht sich in allen seinen Stücken das Princip des
gemäßigten Liberalismus ans; er ist überall gleichmäßig „gegen die Anarchie und
gegen die Reaction", wie der technische Ausdruck lautet. Aber einen andern
Vorwurf kauu man ihm mit Recht machen. Wenn man ein historisches Drama
schreiben will, aus welchem wir das Bild eiuer bestimmten Zeit 'erhalten sollen,
so muß man diese Zeit vorher erst gründlich studiren, mau muß sie nicht mit ein
paar beliebigen Zeitnngsphrasen abmachen wollen. Wir alle wissen, daß in der
Demokratie des Jahres 1848 sehr viel Ungesundes und Unhaltbares war, aber
wir wissen auch, daß die Partei, welche damals die Bewegung zu leiten suchte,
"icht aus einer Sammlung von Dieben und Mordbrennern bestand. Bei einem
Stück, welches mau in eine frühere Zeit verlegt, läßt sich das Publicum das ge¬
fallen; der Dichter darf Heinrich IV., Sully, oder sonst einer renommirten Per¬
sönlichkeit nur einige liberale Redensarten in den Mund legen, ein paar Liebes-
wtriguen daran knüpfen, einen blutdürstige« Jesuiten in seiner ganzen Scheu߬
lichkeit darstellen, und das Parterre ist vollkommen zufrieden; es hat seiue ge-


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[0417] Dramaturgische Miscellen. Das Leipziger Theater hat in den letzten Monaten eine ziemliche Anzahl neuer Dramen aufgeführt, die meistens in das historische Genre fallen. Sie aus¬ führlich zu besprechen hatten wir keine Veranlassung, doch lassen sich einzelne Bemerkungen vou allgemeinerem Interesse daran knüpfen. Der eine der jungen Dichter, Herr Köberle, hat die Bühne schon früher mit einer Reihe von hi¬ storischen Dramen beschenkt. In seinem neuesten Werk, die Verläumder, hat er das 16. Jahrhundert und den fünffüßigen Jambus verlassen; er hat sich in die historische Zeit des Jahres 1848 begeben. Es scheint uicht mehr die Zeit zu sein, durch politische Sympathien oder Antipathien einem Stück günstigen oder ungünstigen Erfolg zu bereiten; die allgemeine Apathie des Publicums in Bezug auf die Politik ist zu groß geworden; doch knüpfen sich an solche Erscheinungen immer einige politische Interessen, wenigstens in Beziehung ans den Charakter des Verfassers. Es gibt eine nicht geringe Zahl gesinnungsloser Lumpe, die in den Zeiten der Aufregung vor dem Pöbel gekrochen sind und in der Zeit der Reaction vor der Negierung kriechen, und durch seichten Spott gegen die Ideen der Freiheit den augenblicklichen Macht¬ habern schmeicheln. Eines der berüchtigtsten dieser Subjecte, Langenschwarz, haben wir vor einiger Zeit charakterisirt. Vielleicht erfreut uns in nächster Zeit Herr Julius Schanz, der ehemalige Sänger der Guillotine, jetzt Mitarbeiter an der Freimüthigen Sachseuzeituug, mit einem ähnlichen Tendenzstück. Wenn man dem neuen Stück des Herrn Köberle einen ähnlichen Vorwurf gemacht hat, so ist das mit Unrecht geschehen. Es spricht sich in allen seinen Stücken das Princip des gemäßigten Liberalismus ans; er ist überall gleichmäßig „gegen die Anarchie und gegen die Reaction", wie der technische Ausdruck lautet. Aber einen andern Vorwurf kauu man ihm mit Recht machen. Wenn man ein historisches Drama schreiben will, aus welchem wir das Bild eiuer bestimmten Zeit 'erhalten sollen, so muß man diese Zeit vorher erst gründlich studiren, mau muß sie nicht mit ein paar beliebigen Zeitnngsphrasen abmachen wollen. Wir alle wissen, daß in der Demokratie des Jahres 1848 sehr viel Ungesundes und Unhaltbares war, aber wir wissen auch, daß die Partei, welche damals die Bewegung zu leiten suchte, "icht aus einer Sammlung von Dieben und Mordbrennern bestand. Bei einem Stück, welches mau in eine frühere Zeit verlegt, läßt sich das Publicum das ge¬ fallen; der Dichter darf Heinrich IV., Sully, oder sonst einer renommirten Per¬ sönlichkeit nur einige liberale Redensarten in den Mund legen, ein paar Liebes- wtriguen daran knüpfen, einen blutdürstige« Jesuiten in seiner ganzen Scheu߬ lichkeit darstellen, und das Parterre ist vollkommen zufrieden; es hat seiue ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/417>, abgerufen am 28.06.2024.