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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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des Gefühls in denselben hineinhängt, welche nur dazu dient, den verunglückten
Betrug als eine M Irans uns unangenehmer zu macheu. Die Fabel selbst ist bei
dieser Methode des Schaffens vielfach durchbrochen, kein sestgeschürzter Knoten,
keine große Composttion, keine spannende Katastrophe, in welcher die einzelnen
Fäden straff zusammengefaßt werden, und daher kommt es, daß bei aller Schön¬
heit und allem Reichthum in den einzelnen Schilderungen, bei aller Virtuosität in
der Färbung, doch der Totaleindruck auch der historischen Romane kein fortreißen¬
der ist.

So erscheinen uns in dem Dichter zwei Gegensätze im Kampf, jene schlechte
geistreiche exklusive Bildung der Romantiker, welche Charaktere in Schemen auf¬
löst und an die Stelle einer kräftigen Komposition eine Sammlung von capri-
ciösen Einfällen setzt, jene falsche, süffisante, auflösende und zerstörende Bildung,
welcher wir fluchen und die wir verfolgen, weil sie unsere Fürsten zu geistreichen
Schwächlingen, unsere Staatsmänner zu gewissenlosen Wetterfahnen, unsere Ge¬
bildeten zu blasirten und begehrlichen Menschen ohne Willenskraft und ohne die
Fähigkeit, sich vernünftig zu beschränken, gemacht hat, jene Bildung, welche die
gelehrte Kunstblüthe unserer Poesie in weniger als einem halben Jahrhundert
vollständiger Rohheit nahe zu bringen vermochte, jene Bildung, welche Alles
weiß, jeden Standpunkt überwindet, nichts Einfaches und Gesundes versteht
und durch Raffinement und Subtilitäten vergebens die Leere zu ersetzen sucht,
welche durch sie selbst in den Seelen der Zeitgenossen hervorgebracht ist; und
dieser Bildung gegenüber das Bedürfniß nach einer total andern Anschauung des
Lebens, nach derber, concreter Wirklichkeit, nach Thaten, nach Einfachheit, Ehr¬
lichkeit und Uebung der Kraft Etwas zu wollen, eine neue Bildung, für welche
auch wir die Waffen tragen, weil sie allein uns ans uusern elenden Zuständen
im Staatsleben, Gesellschaft und Literatur herausbringen kann. In Wilibald
Alexis liegen diese beiden Gegensätze in einem noch unentschiedenen Kampf, die
falsche romantische Bildung seiner Jugend und die gesunde, kräftige märkische
Natur. Dieser innere Gegensatz, mit welchem die ganze gegenwärtige Genera¬
tion zu kämpfen hat, charat'terisirt unsere Zeit als eine gefährliche Ueber-
gangsperiode in der Entwickelung unserer nationalen Kraft. Er macht es,
wie uns allen, so auch Wilibald Alexis unmöglich, ein großes geschlossenes
Kunstwerk zu schaffen, und fordert doch unsre ganze Theilnahme und unsre Sym¬
pathien für ihn. Und nie werden wir Deutsche ihm vergessen, daß er als einer
der Ersten eine neue Zeit in seinen Romanen ankündigte.




des Gefühls in denselben hineinhängt, welche nur dazu dient, den verunglückten
Betrug als eine M Irans uns unangenehmer zu macheu. Die Fabel selbst ist bei
dieser Methode des Schaffens vielfach durchbrochen, kein sestgeschürzter Knoten,
keine große Composttion, keine spannende Katastrophe, in welcher die einzelnen
Fäden straff zusammengefaßt werden, und daher kommt es, daß bei aller Schön¬
heit und allem Reichthum in den einzelnen Schilderungen, bei aller Virtuosität in
der Färbung, doch der Totaleindruck auch der historischen Romane kein fortreißen¬
der ist.

So erscheinen uns in dem Dichter zwei Gegensätze im Kampf, jene schlechte
geistreiche exklusive Bildung der Romantiker, welche Charaktere in Schemen auf¬
löst und an die Stelle einer kräftigen Komposition eine Sammlung von capri-
ciösen Einfällen setzt, jene falsche, süffisante, auflösende und zerstörende Bildung,
welcher wir fluchen und die wir verfolgen, weil sie unsere Fürsten zu geistreichen
Schwächlingen, unsere Staatsmänner zu gewissenlosen Wetterfahnen, unsere Ge¬
bildeten zu blasirten und begehrlichen Menschen ohne Willenskraft und ohne die
Fähigkeit, sich vernünftig zu beschränken, gemacht hat, jene Bildung, welche die
gelehrte Kunstblüthe unserer Poesie in weniger als einem halben Jahrhundert
vollständiger Rohheit nahe zu bringen vermochte, jene Bildung, welche Alles
weiß, jeden Standpunkt überwindet, nichts Einfaches und Gesundes versteht
und durch Raffinement und Subtilitäten vergebens die Leere zu ersetzen sucht,
welche durch sie selbst in den Seelen der Zeitgenossen hervorgebracht ist; und
dieser Bildung gegenüber das Bedürfniß nach einer total andern Anschauung des
Lebens, nach derber, concreter Wirklichkeit, nach Thaten, nach Einfachheit, Ehr¬
lichkeit und Uebung der Kraft Etwas zu wollen, eine neue Bildung, für welche
auch wir die Waffen tragen, weil sie allein uns ans uusern elenden Zuständen
im Staatsleben, Gesellschaft und Literatur herausbringen kann. In Wilibald
Alexis liegen diese beiden Gegensätze in einem noch unentschiedenen Kampf, die
falsche romantische Bildung seiner Jugend und die gesunde, kräftige märkische
Natur. Dieser innere Gegensatz, mit welchem die ganze gegenwärtige Genera¬
tion zu kämpfen hat, charat'terisirt unsere Zeit als eine gefährliche Ueber-
gangsperiode in der Entwickelung unserer nationalen Kraft. Er macht es,
wie uns allen, so auch Wilibald Alexis unmöglich, ein großes geschlossenes
Kunstwerk zu schaffen, und fordert doch unsre ganze Theilnahme und unsre Sym¬
pathien für ihn. Und nie werden wir Deutsche ihm vergessen, daß er als einer
der Ersten eine neue Zeit in seinen Romanen ankündigte.




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[0416] des Gefühls in denselben hineinhängt, welche nur dazu dient, den verunglückten Betrug als eine M Irans uns unangenehmer zu macheu. Die Fabel selbst ist bei dieser Methode des Schaffens vielfach durchbrochen, kein sestgeschürzter Knoten, keine große Composttion, keine spannende Katastrophe, in welcher die einzelnen Fäden straff zusammengefaßt werden, und daher kommt es, daß bei aller Schön¬ heit und allem Reichthum in den einzelnen Schilderungen, bei aller Virtuosität in der Färbung, doch der Totaleindruck auch der historischen Romane kein fortreißen¬ der ist. So erscheinen uns in dem Dichter zwei Gegensätze im Kampf, jene schlechte geistreiche exklusive Bildung der Romantiker, welche Charaktere in Schemen auf¬ löst und an die Stelle einer kräftigen Komposition eine Sammlung von capri- ciösen Einfällen setzt, jene falsche, süffisante, auflösende und zerstörende Bildung, welcher wir fluchen und die wir verfolgen, weil sie unsere Fürsten zu geistreichen Schwächlingen, unsere Staatsmänner zu gewissenlosen Wetterfahnen, unsere Ge¬ bildeten zu blasirten und begehrlichen Menschen ohne Willenskraft und ohne die Fähigkeit, sich vernünftig zu beschränken, gemacht hat, jene Bildung, welche die gelehrte Kunstblüthe unserer Poesie in weniger als einem halben Jahrhundert vollständiger Rohheit nahe zu bringen vermochte, jene Bildung, welche Alles weiß, jeden Standpunkt überwindet, nichts Einfaches und Gesundes versteht und durch Raffinement und Subtilitäten vergebens die Leere zu ersetzen sucht, welche durch sie selbst in den Seelen der Zeitgenossen hervorgebracht ist; und dieser Bildung gegenüber das Bedürfniß nach einer total andern Anschauung des Lebens, nach derber, concreter Wirklichkeit, nach Thaten, nach Einfachheit, Ehr¬ lichkeit und Uebung der Kraft Etwas zu wollen, eine neue Bildung, für welche auch wir die Waffen tragen, weil sie allein uns ans uusern elenden Zuständen im Staatsleben, Gesellschaft und Literatur herausbringen kann. In Wilibald Alexis liegen diese beiden Gegensätze in einem noch unentschiedenen Kampf, die falsche romantische Bildung seiner Jugend und die gesunde, kräftige märkische Natur. Dieser innere Gegensatz, mit welchem die ganze gegenwärtige Genera¬ tion zu kämpfen hat, charat'terisirt unsere Zeit als eine gefährliche Ueber- gangsperiode in der Entwickelung unserer nationalen Kraft. Er macht es, wie uns allen, so auch Wilibald Alexis unmöglich, ein großes geschlossenes Kunstwerk zu schaffen, und fordert doch unsre ganze Theilnahme und unsre Sym¬ pathien für ihn. Und nie werden wir Deutsche ihm vergessen, daß er als einer der Ersten eine neue Zeit in seinen Romanen ankündigte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/416>, abgerufen am 28.06.2024.