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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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der Mann sei, sich selbst und das Vaterland aufzugeben, weil es grade einmal
schlecht geht.

In dem Kern des schlesw.-holsteinischen Volkes und seiner Armee fand der wackere
Entschluß die verdiente Anerkennung. Zunächst hatte er die nützliche Wirkung,
daß manche tüchtige Männer, deren Verhältnisse es nur irgendwie gestatteten,
so glänzenden Beispiel folgten, mehrere hundert Studenten, junge Beamte, Künst¬
ler, Männer von Erziehung und Bildung traten freiwillig als gemeine Soldaten
in unsere Reihen ein, und haben mit unermüdlicher Beharrlichkeit, das Gewehr in
der Hand, als solche den ganzen Feldzug angekämpft. Eine lange ganze Reihe
der geachtesten Familiennamen in Deutschland wäre ans unseren Freiwilligenlisten
aufzustellen.

Ju militärischer Hinficht überschätzte man den Gewinn, den Gagern dnrch
seine Person dem Schleswig-holsteinischen Heere brachte, nicht im Mindesten, am
wenigsten er selbst mit seiner oft zu großen Bescheidenheit. Zwar war er als
Jüngling in das nassanische Militär eingetreten und seine in dem Feldzuge
von 1815 und besonders in der Schlacht bei Waterloo bewiesene Tapferkeit hatte
ihm, -- wie ich hörte, ans dem Schlachtfelde selbst, -- den Officiersrang verschafft.
Aber lange Entfernung vom Militärdienst seit dem Jahr 1816 hatte ihn dem¬
selben natürlich sehr entfremdet und im Exercitium und Felddienst kounte ein gut
geschulter preußischer Lieutenant ungleich mehr leisten und war von größerer Be-
deutuug, als er. Aber bei dem Generalstab eines so eigenthümlich zusammen¬
gesetzten Heeres, wie das unsere war, lagen täglich wichtige anderweitige Fragen
zur Entscheidung vor, wozu gerade kein besonderes strategisches Wissen nöthig
war. Hier erwies sich Gagern sogleich als von größtem Nutzen, und sein Eintritt
als ein nicht geringer Gewinn. Es lag viel in den Persönlichkeiten des kom-
mandirenden Generals von Willisen und der beiden sehr von einander diver-
girenden höhern Officiere seines Generalstabes, des bekannten baierischen
Obersten von der Tann und des hannoverischen Majors Wynecken, zu denen man
anch uoch seines Ranges, seiner politischen Bedeutung und der Herzogtümer
wegen, den als Oberstlieutenant dienenden Erbprinzen von Augustenburg rechnen
mag, daß gerade ein Mann wie Gagern schnell einen bedeutenden Einfluß ge¬
winnen mußte. Sein edler hoher Sinn, seine Kenntniß deutscher Persönlichkeiten
und Staatsverhältnisse, vor allem die würdevolle Milde und seine tacktvolle Be¬
scheidenheit und die gewinnenden Formeu des bedeutenden Mannes machten ihn zum
Rathgeber, Vertrauten, Vermittler und Richter in vielen persönlichen Beziehungen
der Führer und in Fragen von delikater Beschaffenheit. Gerade weil er mit rich¬
tigen! Tackte von allen strategischen und rein militärischen Fragen sich fern hielt,
konnte er bei der Entscheidung aller andern von desto größerer Bedeutung sein.
Vielfache unangenehme Differenzen sind durch seine Vermittelung geschlichtet worden,
bei nöthigen Entscheidungen über Landesangelegenheiten zog man ihn zu Rath


der Mann sei, sich selbst und das Vaterland aufzugeben, weil es grade einmal
schlecht geht.

In dem Kern des schlesw.-holsteinischen Volkes und seiner Armee fand der wackere
Entschluß die verdiente Anerkennung. Zunächst hatte er die nützliche Wirkung,
daß manche tüchtige Männer, deren Verhältnisse es nur irgendwie gestatteten,
so glänzenden Beispiel folgten, mehrere hundert Studenten, junge Beamte, Künst¬
ler, Männer von Erziehung und Bildung traten freiwillig als gemeine Soldaten
in unsere Reihen ein, und haben mit unermüdlicher Beharrlichkeit, das Gewehr in
der Hand, als solche den ganzen Feldzug angekämpft. Eine lange ganze Reihe
der geachtesten Familiennamen in Deutschland wäre ans unseren Freiwilligenlisten
aufzustellen.

Ju militärischer Hinficht überschätzte man den Gewinn, den Gagern dnrch
seine Person dem Schleswig-holsteinischen Heere brachte, nicht im Mindesten, am
wenigsten er selbst mit seiner oft zu großen Bescheidenheit. Zwar war er als
Jüngling in das nassanische Militär eingetreten und seine in dem Feldzuge
von 1815 und besonders in der Schlacht bei Waterloo bewiesene Tapferkeit hatte
ihm, — wie ich hörte, ans dem Schlachtfelde selbst, — den Officiersrang verschafft.
Aber lange Entfernung vom Militärdienst seit dem Jahr 1816 hatte ihn dem¬
selben natürlich sehr entfremdet und im Exercitium und Felddienst kounte ein gut
geschulter preußischer Lieutenant ungleich mehr leisten und war von größerer Be-
deutuug, als er. Aber bei dem Generalstab eines so eigenthümlich zusammen¬
gesetzten Heeres, wie das unsere war, lagen täglich wichtige anderweitige Fragen
zur Entscheidung vor, wozu gerade kein besonderes strategisches Wissen nöthig
war. Hier erwies sich Gagern sogleich als von größtem Nutzen, und sein Eintritt
als ein nicht geringer Gewinn. Es lag viel in den Persönlichkeiten des kom-
mandirenden Generals von Willisen und der beiden sehr von einander diver-
girenden höhern Officiere seines Generalstabes, des bekannten baierischen
Obersten von der Tann und des hannoverischen Majors Wynecken, zu denen man
anch uoch seines Ranges, seiner politischen Bedeutung und der Herzogtümer
wegen, den als Oberstlieutenant dienenden Erbprinzen von Augustenburg rechnen
mag, daß gerade ein Mann wie Gagern schnell einen bedeutenden Einfluß ge¬
winnen mußte. Sein edler hoher Sinn, seine Kenntniß deutscher Persönlichkeiten
und Staatsverhältnisse, vor allem die würdevolle Milde und seine tacktvolle Be¬
scheidenheit und die gewinnenden Formeu des bedeutenden Mannes machten ihn zum
Rathgeber, Vertrauten, Vermittler und Richter in vielen persönlichen Beziehungen
der Führer und in Fragen von delikater Beschaffenheit. Gerade weil er mit rich¬
tigen! Tackte von allen strategischen und rein militärischen Fragen sich fern hielt,
konnte er bei der Entscheidung aller andern von desto größerer Bedeutung sein.
Vielfache unangenehme Differenzen sind durch seine Vermittelung geschlichtet worden,
bei nöthigen Entscheidungen über Landesangelegenheiten zog man ihn zu Rath


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/400>, abgerufen am 24.07.2024.