Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zweijähriger Abwesenheit, nach den uugehenresten Anstrengungen und Kämpfen
aller Art, war er nicht lange vorher auf sein kleines Landgut Monsheim bei
Worms in Rheinhessen zurückgekehrt. Eine geliebte Frau, einen Kreis blühen¬
der Kinder, deren Stütze er war, eine ihm seit Jahren angenehm gewordene
Beschäftigung, die eines intelligenten Landwirths, mußte er zurücklassen, und
die ungewohnten Mühseligkeiten eines rauhen Feldlebens in einem Kriege ein¬
tauschen, dessen Ausgang damals noch gar nicht abzusehen war. Auch war es
keine genüge Selbstoerleuguug von dem Manne, der eine so überaus glänzende
Wirksamkeit im öffentlichen Leben innegehabt, mit dem unsere guten Fürsten und
Könige um die Erhaltung ihrer Throne verhandelt hatten, jetzt in die bescheidene
Stellung eines untergeordneten schief.-holsteinischen Officiers zu treten und jeder
derben Soldateulmme eines höhern Officiers zum unbedingten Gehorsam ver¬
pflichtet zu sein, er, der frühere Ministerpräsident Darmstadts, der Präsident der
deutschen Nationalversammlung, ans dessen Händen ein Erzherzog des Habsbur-
gischen Hauses mit Respect die Würde eines Reichsverwesers erhalten hatte. In
den ersten Tagen des August trat er mit der Charge eines Majors als Volon-
tair-Officier in unsere Armee, und ward vorläufig als Adjutant dem Stäbe des
commandirenden Generals von Willisen zugetheilt.

Die Schmutzblätter beider extremen Parteien, die in Gagern ihren gefähr¬
lichsten Gegner haßten, gefielen sich in Witzeleien und Karrikaturen über diesen
Schritt eines Mannes, und die Kreuzzeitung suchte dem Kladderadatsch und dem
"Hamburger Mephistopheles" wenn anch nicht in Witz, so doch in Gemeinheit
den Rang abzulaufen. Beide Parteien scheinen das gleiche Unglück zu haben,
daß sie bei keiner Handlung ihrer politischen Gegner ehrenhafte Motive voraus-
zusetzen fähig sind; woran entweder niedrige Gesinnung oder sehr mangelhafte
Bildung ihrer Stimmführer Schuld sein muß.

Was Herrn von Gagern zumeist dazu angetrieben hat, zu uns zu kommen,
wage ich nicht zu entscheiden, ich stehe dem verehrten Manne nicht so nahe, um
das ans seinem Munde zu wissen, und er allem kann es uns sagen. Gewiß
war es zunächst das Pflichtgefühl eiues tapfern und entschlossenen Mannes, wel¬
cher die Ueberzeugung hatte, daß es jetzt für jeden Deutschen, der unsern Kampf
für einen deutschen ansah, Pflicht sei, Alles einzusetzen. Wenn er außerdem
hoffte, durch seine Kenntnisse nützen zu tonnen, so hat er auch darin sich nicht
^täuscht, und wenn er annahm, daß sein Beispiel manchen ehrenwerthen Offtcier
von ähnlicher politischer Gesinnung veranlassen würde, zu uus zu treten, so hat er
auch darin Recht gehabt. Als ich die Nachricht von seinem Eintritt hörte, glaubte
ich selbst einige Zeit, er komme, um bei uns den Tod zu suchen, weil er die
Schmach Deutschlands uicht überleben wolle. Aber als ich ihn später sah, sein
ruhiges, würdiges, fast heiteres Wesen, die kräftige Haltung und den klugen,
glänzenden Blick, sah ich wohl, daß ich mich geirrt hatte, und daß Gagern nicht


49*

zweijähriger Abwesenheit, nach den uugehenresten Anstrengungen und Kämpfen
aller Art, war er nicht lange vorher auf sein kleines Landgut Monsheim bei
Worms in Rheinhessen zurückgekehrt. Eine geliebte Frau, einen Kreis blühen¬
der Kinder, deren Stütze er war, eine ihm seit Jahren angenehm gewordene
Beschäftigung, die eines intelligenten Landwirths, mußte er zurücklassen, und
die ungewohnten Mühseligkeiten eines rauhen Feldlebens in einem Kriege ein¬
tauschen, dessen Ausgang damals noch gar nicht abzusehen war. Auch war es
keine genüge Selbstoerleuguug von dem Manne, der eine so überaus glänzende
Wirksamkeit im öffentlichen Leben innegehabt, mit dem unsere guten Fürsten und
Könige um die Erhaltung ihrer Throne verhandelt hatten, jetzt in die bescheidene
Stellung eines untergeordneten schief.-holsteinischen Officiers zu treten und jeder
derben Soldateulmme eines höhern Officiers zum unbedingten Gehorsam ver¬
pflichtet zu sein, er, der frühere Ministerpräsident Darmstadts, der Präsident der
deutschen Nationalversammlung, ans dessen Händen ein Erzherzog des Habsbur-
gischen Hauses mit Respect die Würde eines Reichsverwesers erhalten hatte. In
den ersten Tagen des August trat er mit der Charge eines Majors als Volon-
tair-Officier in unsere Armee, und ward vorläufig als Adjutant dem Stäbe des
commandirenden Generals von Willisen zugetheilt.

Die Schmutzblätter beider extremen Parteien, die in Gagern ihren gefähr¬
lichsten Gegner haßten, gefielen sich in Witzeleien und Karrikaturen über diesen
Schritt eines Mannes, und die Kreuzzeitung suchte dem Kladderadatsch und dem
„Hamburger Mephistopheles" wenn anch nicht in Witz, so doch in Gemeinheit
den Rang abzulaufen. Beide Parteien scheinen das gleiche Unglück zu haben,
daß sie bei keiner Handlung ihrer politischen Gegner ehrenhafte Motive voraus-
zusetzen fähig sind; woran entweder niedrige Gesinnung oder sehr mangelhafte
Bildung ihrer Stimmführer Schuld sein muß.

Was Herrn von Gagern zumeist dazu angetrieben hat, zu uns zu kommen,
wage ich nicht zu entscheiden, ich stehe dem verehrten Manne nicht so nahe, um
das ans seinem Munde zu wissen, und er allem kann es uns sagen. Gewiß
war es zunächst das Pflichtgefühl eiues tapfern und entschlossenen Mannes, wel¬
cher die Ueberzeugung hatte, daß es jetzt für jeden Deutschen, der unsern Kampf
für einen deutschen ansah, Pflicht sei, Alles einzusetzen. Wenn er außerdem
hoffte, durch seine Kenntnisse nützen zu tonnen, so hat er auch darin sich nicht
^täuscht, und wenn er annahm, daß sein Beispiel manchen ehrenwerthen Offtcier
von ähnlicher politischer Gesinnung veranlassen würde, zu uus zu treten, so hat er
auch darin Recht gehabt. Als ich die Nachricht von seinem Eintritt hörte, glaubte
ich selbst einige Zeit, er komme, um bei uns den Tod zu suchen, weil er die
Schmach Deutschlands uicht überleben wolle. Aber als ich ihn später sah, sein
ruhiges, würdiges, fast heiteres Wesen, die kräftige Haltung und den klugen,
glänzenden Blick, sah ich wohl, daß ich mich geirrt hatte, und daß Gagern nicht


49*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0399" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92137"/>
          <p xml:id="ID_1225" prev="#ID_1224"> zweijähriger Abwesenheit, nach den uugehenresten Anstrengungen und Kämpfen<lb/>
aller Art, war er nicht lange vorher auf sein kleines Landgut Monsheim bei<lb/>
Worms in Rheinhessen zurückgekehrt. Eine geliebte Frau, einen Kreis blühen¬<lb/>
der Kinder, deren Stütze er war, eine ihm seit Jahren angenehm gewordene<lb/>
Beschäftigung, die eines intelligenten Landwirths, mußte er zurücklassen, und<lb/>
die ungewohnten Mühseligkeiten eines rauhen Feldlebens in einem Kriege ein¬<lb/>
tauschen, dessen Ausgang damals noch gar nicht abzusehen war. Auch war es<lb/>
keine genüge Selbstoerleuguug von dem Manne, der eine so überaus glänzende<lb/>
Wirksamkeit im öffentlichen Leben innegehabt, mit dem unsere guten Fürsten und<lb/>
Könige um die Erhaltung ihrer Throne verhandelt hatten, jetzt in die bescheidene<lb/>
Stellung eines untergeordneten schief.-holsteinischen Officiers zu treten und jeder<lb/>
derben Soldateulmme eines höhern Officiers zum unbedingten Gehorsam ver¬<lb/>
pflichtet zu sein, er, der frühere Ministerpräsident Darmstadts, der Präsident der<lb/>
deutschen Nationalversammlung, ans dessen Händen ein Erzherzog des Habsbur-<lb/>
gischen Hauses mit Respect die Würde eines Reichsverwesers erhalten hatte. In<lb/>
den ersten Tagen des August trat er mit der Charge eines Majors als Volon-<lb/>
tair-Officier in unsere Armee, und ward vorläufig als Adjutant dem Stäbe des<lb/>
commandirenden Generals von Willisen zugetheilt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1226"> Die Schmutzblätter beider extremen Parteien, die in Gagern ihren gefähr¬<lb/>
lichsten Gegner haßten, gefielen sich in Witzeleien und Karrikaturen über diesen<lb/>
Schritt eines Mannes, und die Kreuzzeitung suchte dem Kladderadatsch und dem<lb/>
&#x201E;Hamburger Mephistopheles" wenn anch nicht in Witz, so doch in Gemeinheit<lb/>
den Rang abzulaufen. Beide Parteien scheinen das gleiche Unglück zu haben,<lb/>
daß sie bei keiner Handlung ihrer politischen Gegner ehrenhafte Motive voraus-<lb/>
zusetzen fähig sind; woran entweder niedrige Gesinnung oder sehr mangelhafte<lb/>
Bildung ihrer Stimmführer Schuld sein muß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1227" next="#ID_1228"> Was Herrn von Gagern zumeist dazu angetrieben hat, zu uns zu kommen,<lb/>
wage ich nicht zu entscheiden, ich stehe dem verehrten Manne nicht so nahe, um<lb/>
das ans seinem Munde zu wissen, und er allem kann es uns sagen. Gewiß<lb/>
war es zunächst das Pflichtgefühl eiues tapfern und entschlossenen Mannes, wel¬<lb/>
cher die Ueberzeugung hatte, daß es jetzt für jeden Deutschen, der unsern Kampf<lb/>
für einen deutschen ansah, Pflicht sei, Alles einzusetzen. Wenn er außerdem<lb/>
hoffte, durch seine Kenntnisse nützen zu tonnen, so hat er auch darin sich nicht<lb/>
^täuscht, und wenn er annahm, daß sein Beispiel manchen ehrenwerthen Offtcier<lb/>
von ähnlicher politischer Gesinnung veranlassen würde, zu uus zu treten, so hat er<lb/>
auch darin Recht gehabt. Als ich die Nachricht von seinem Eintritt hörte, glaubte<lb/>
ich selbst einige Zeit, er komme, um bei uns den Tod zu suchen, weil er die<lb/>
Schmach Deutschlands uicht überleben wolle. Aber als ich ihn später sah, sein<lb/>
ruhiges, würdiges, fast heiteres Wesen, die kräftige Haltung und den klugen,<lb/>
glänzenden Blick, sah ich wohl, daß ich mich geirrt hatte, und daß Gagern nicht</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 49*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0399] zweijähriger Abwesenheit, nach den uugehenresten Anstrengungen und Kämpfen aller Art, war er nicht lange vorher auf sein kleines Landgut Monsheim bei Worms in Rheinhessen zurückgekehrt. Eine geliebte Frau, einen Kreis blühen¬ der Kinder, deren Stütze er war, eine ihm seit Jahren angenehm gewordene Beschäftigung, die eines intelligenten Landwirths, mußte er zurücklassen, und die ungewohnten Mühseligkeiten eines rauhen Feldlebens in einem Kriege ein¬ tauschen, dessen Ausgang damals noch gar nicht abzusehen war. Auch war es keine genüge Selbstoerleuguug von dem Manne, der eine so überaus glänzende Wirksamkeit im öffentlichen Leben innegehabt, mit dem unsere guten Fürsten und Könige um die Erhaltung ihrer Throne verhandelt hatten, jetzt in die bescheidene Stellung eines untergeordneten schief.-holsteinischen Officiers zu treten und jeder derben Soldateulmme eines höhern Officiers zum unbedingten Gehorsam ver¬ pflichtet zu sein, er, der frühere Ministerpräsident Darmstadts, der Präsident der deutschen Nationalversammlung, ans dessen Händen ein Erzherzog des Habsbur- gischen Hauses mit Respect die Würde eines Reichsverwesers erhalten hatte. In den ersten Tagen des August trat er mit der Charge eines Majors als Volon- tair-Officier in unsere Armee, und ward vorläufig als Adjutant dem Stäbe des commandirenden Generals von Willisen zugetheilt. Die Schmutzblätter beider extremen Parteien, die in Gagern ihren gefähr¬ lichsten Gegner haßten, gefielen sich in Witzeleien und Karrikaturen über diesen Schritt eines Mannes, und die Kreuzzeitung suchte dem Kladderadatsch und dem „Hamburger Mephistopheles" wenn anch nicht in Witz, so doch in Gemeinheit den Rang abzulaufen. Beide Parteien scheinen das gleiche Unglück zu haben, daß sie bei keiner Handlung ihrer politischen Gegner ehrenhafte Motive voraus- zusetzen fähig sind; woran entweder niedrige Gesinnung oder sehr mangelhafte Bildung ihrer Stimmführer Schuld sein muß. Was Herrn von Gagern zumeist dazu angetrieben hat, zu uns zu kommen, wage ich nicht zu entscheiden, ich stehe dem verehrten Manne nicht so nahe, um das ans seinem Munde zu wissen, und er allem kann es uns sagen. Gewiß war es zunächst das Pflichtgefühl eiues tapfern und entschlossenen Mannes, wel¬ cher die Ueberzeugung hatte, daß es jetzt für jeden Deutschen, der unsern Kampf für einen deutschen ansah, Pflicht sei, Alles einzusetzen. Wenn er außerdem hoffte, durch seine Kenntnisse nützen zu tonnen, so hat er auch darin sich nicht ^täuscht, und wenn er annahm, daß sein Beispiel manchen ehrenwerthen Offtcier von ähnlicher politischer Gesinnung veranlassen würde, zu uus zu treten, so hat er auch darin Recht gehabt. Als ich die Nachricht von seinem Eintritt hörte, glaubte ich selbst einige Zeit, er komme, um bei uns den Tod zu suchen, weil er die Schmach Deutschlands uicht überleben wolle. Aber als ich ihn später sah, sein ruhiges, würdiges, fast heiteres Wesen, die kräftige Haltung und den klugen, glänzenden Blick, sah ich wohl, daß ich mich geirrt hatte, und daß Gagern nicht 49*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/399
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/399>, abgerufen am 28.06.2024.