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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Umgehung der gewöhnlichen Formen die Kirche in ihre Schranken zurückzuweisen.
In einem solchen Fall ist Sardinien gewesen. Freilich kann man nicht eher
darüber urtheilen, ob die Regierung zweckmäßig gehandelt hat, bis der Erfolg
entschieden haben wird; allem einige der Folgen, die bereits eingetreten sind,
müssen wir ins Auge fassen, um uns zu orientiren.

Einer der Minister, welche an der Abfassung jeuer Gesetze Theil genommen
hatten, Santa Rosa, lag im Sterben. Der Erzbischof von Turin, Franzoni,
verbot den Priestern, ihm die Sacramente zu ertheilen, weil er dnrch jene Theil¬
nahme aus dem Schooß der alleinseligmachenden Kirche getreten und der ewigen
Verdammniß verfallen sei, er könne die christliche Barmherzigkeit nur so weit treiben,
noch dem Sünder die reuige Zurücknahme seiner Thätigkeit zu verstatten, in die¬
sem Falle solle er des Trostes der Kirche nicht beraubt werden. Santa Rosa
verstand sich zu einer Erklärung, in welcher er von seiner unerschütterlichen
Treue gegen die Kirche sprach und hinzufügte, er würde an jenen Gesetzen nie
Theil genommen haben, wenn er geglaubt hätte, damit irgend ein Recht dersel¬
ben zu verletzen. Diese bedingte Erklärung genügte dem Erzbischof eben so
wenig, als ihn die Thränen der Gräfin Santa Rosa, welche vor ihm auf deu
Knieen lag, erweichten; der Minister starb nngcsalbt, nngebeichtet, in seiner
Sünden Maienblüthe, und die Geistlichkeit versagte ihm in Folge dessen das
ehrliche Begräbniß.

Ein Staat, in welchem die Kirche die Macht hat, gebildete Männer ans
den höchsten Ständen dadurch einzuschüchtern, daß sie ihnen ihre Wohlthaten
versagt, wird sich ernstlich bedenken müssen, ehe er die Kirche herausfordert;
deun wenn er sich nachher genöthigt sieht, die Kirche zu ihren Wohlthaten, de¬
ren er uicht entbehren kann, zu zwingen, so wird er seinerseits zu verhängniß-
vollen Uebergriffen verleitet.

Die Regierung glaubte in dein Verfahren des Erzbischofs eine Auflehnung
gegen den Staat zu sehen; sie verklagte ihn vor dem Appellationshos zu Turin,
und dieser verurtheilte ihn zum Verlust seines Amtes und zur Verbannung aus
dem Reich. In Folge dessen flüchtete er nach Frankreich, wo er von den neu¬
katholischen Republikanern mit großem Enthusiasmus aufgenommen wurde.

Der Form nach war jener Urtheilsspruch allerdings rechtskräftig; es wird
dies aber sehr zweifelhaft, wenn wir auf deu Inhalt desselben eingehen; denn
daß der Priester der katholischen Kirche das Recht hat, die Ertheilung der
Sacramente zu versagen, wo uach seiner Ueberzeugung ein Abfall von der Kirche
vorliegt, und daß die höhere geistliche Instanz das Recht hat, ihren Unterge¬
benen Weisungen darüber zu ertheilen, liegt außer aller Frage. Der Appella¬
tionshof konnte also die Sache uur dadurch vor seiue Jurisdiction ziehen, daß
er einerseits die Motive, welche den Bischof bestimmten, andererseits die Frage,
ob hier überhaupt ein Abfall von der Kirche vorlag, in den Bereich seiner Cog-


Umgehung der gewöhnlichen Formen die Kirche in ihre Schranken zurückzuweisen.
In einem solchen Fall ist Sardinien gewesen. Freilich kann man nicht eher
darüber urtheilen, ob die Regierung zweckmäßig gehandelt hat, bis der Erfolg
entschieden haben wird; allem einige der Folgen, die bereits eingetreten sind,
müssen wir ins Auge fassen, um uns zu orientiren.

Einer der Minister, welche an der Abfassung jeuer Gesetze Theil genommen
hatten, Santa Rosa, lag im Sterben. Der Erzbischof von Turin, Franzoni,
verbot den Priestern, ihm die Sacramente zu ertheilen, weil er dnrch jene Theil¬
nahme aus dem Schooß der alleinseligmachenden Kirche getreten und der ewigen
Verdammniß verfallen sei, er könne die christliche Barmherzigkeit nur so weit treiben,
noch dem Sünder die reuige Zurücknahme seiner Thätigkeit zu verstatten, in die¬
sem Falle solle er des Trostes der Kirche nicht beraubt werden. Santa Rosa
verstand sich zu einer Erklärung, in welcher er von seiner unerschütterlichen
Treue gegen die Kirche sprach und hinzufügte, er würde an jenen Gesetzen nie
Theil genommen haben, wenn er geglaubt hätte, damit irgend ein Recht dersel¬
ben zu verletzen. Diese bedingte Erklärung genügte dem Erzbischof eben so
wenig, als ihn die Thränen der Gräfin Santa Rosa, welche vor ihm auf deu
Knieen lag, erweichten; der Minister starb nngcsalbt, nngebeichtet, in seiner
Sünden Maienblüthe, und die Geistlichkeit versagte ihm in Folge dessen das
ehrliche Begräbniß.

Ein Staat, in welchem die Kirche die Macht hat, gebildete Männer ans
den höchsten Ständen dadurch einzuschüchtern, daß sie ihnen ihre Wohlthaten
versagt, wird sich ernstlich bedenken müssen, ehe er die Kirche herausfordert;
deun wenn er sich nachher genöthigt sieht, die Kirche zu ihren Wohlthaten, de¬
ren er uicht entbehren kann, zu zwingen, so wird er seinerseits zu verhängniß-
vollen Uebergriffen verleitet.

Die Regierung glaubte in dein Verfahren des Erzbischofs eine Auflehnung
gegen den Staat zu sehen; sie verklagte ihn vor dem Appellationshos zu Turin,
und dieser verurtheilte ihn zum Verlust seines Amtes und zur Verbannung aus
dem Reich. In Folge dessen flüchtete er nach Frankreich, wo er von den neu¬
katholischen Republikanern mit großem Enthusiasmus aufgenommen wurde.

Der Form nach war jener Urtheilsspruch allerdings rechtskräftig; es wird
dies aber sehr zweifelhaft, wenn wir auf deu Inhalt desselben eingehen; denn
daß der Priester der katholischen Kirche das Recht hat, die Ertheilung der
Sacramente zu versagen, wo uach seiner Ueberzeugung ein Abfall von der Kirche
vorliegt, und daß die höhere geistliche Instanz das Recht hat, ihren Unterge¬
benen Weisungen darüber zu ertheilen, liegt außer aller Frage. Der Appella¬
tionshof konnte also die Sache uur dadurch vor seiue Jurisdiction ziehen, daß
er einerseits die Motive, welche den Bischof bestimmten, andererseits die Frage,
ob hier überhaupt ein Abfall von der Kirche vorlag, in den Bereich seiner Cog-


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[0395] Umgehung der gewöhnlichen Formen die Kirche in ihre Schranken zurückzuweisen. In einem solchen Fall ist Sardinien gewesen. Freilich kann man nicht eher darüber urtheilen, ob die Regierung zweckmäßig gehandelt hat, bis der Erfolg entschieden haben wird; allem einige der Folgen, die bereits eingetreten sind, müssen wir ins Auge fassen, um uns zu orientiren. Einer der Minister, welche an der Abfassung jeuer Gesetze Theil genommen hatten, Santa Rosa, lag im Sterben. Der Erzbischof von Turin, Franzoni, verbot den Priestern, ihm die Sacramente zu ertheilen, weil er dnrch jene Theil¬ nahme aus dem Schooß der alleinseligmachenden Kirche getreten und der ewigen Verdammniß verfallen sei, er könne die christliche Barmherzigkeit nur so weit treiben, noch dem Sünder die reuige Zurücknahme seiner Thätigkeit zu verstatten, in die¬ sem Falle solle er des Trostes der Kirche nicht beraubt werden. Santa Rosa verstand sich zu einer Erklärung, in welcher er von seiner unerschütterlichen Treue gegen die Kirche sprach und hinzufügte, er würde an jenen Gesetzen nie Theil genommen haben, wenn er geglaubt hätte, damit irgend ein Recht dersel¬ ben zu verletzen. Diese bedingte Erklärung genügte dem Erzbischof eben so wenig, als ihn die Thränen der Gräfin Santa Rosa, welche vor ihm auf deu Knieen lag, erweichten; der Minister starb nngcsalbt, nngebeichtet, in seiner Sünden Maienblüthe, und die Geistlichkeit versagte ihm in Folge dessen das ehrliche Begräbniß. Ein Staat, in welchem die Kirche die Macht hat, gebildete Männer ans den höchsten Ständen dadurch einzuschüchtern, daß sie ihnen ihre Wohlthaten versagt, wird sich ernstlich bedenken müssen, ehe er die Kirche herausfordert; deun wenn er sich nachher genöthigt sieht, die Kirche zu ihren Wohlthaten, de¬ ren er uicht entbehren kann, zu zwingen, so wird er seinerseits zu verhängniß- vollen Uebergriffen verleitet. Die Regierung glaubte in dein Verfahren des Erzbischofs eine Auflehnung gegen den Staat zu sehen; sie verklagte ihn vor dem Appellationshos zu Turin, und dieser verurtheilte ihn zum Verlust seines Amtes und zur Verbannung aus dem Reich. In Folge dessen flüchtete er nach Frankreich, wo er von den neu¬ katholischen Republikanern mit großem Enthusiasmus aufgenommen wurde. Der Form nach war jener Urtheilsspruch allerdings rechtskräftig; es wird dies aber sehr zweifelhaft, wenn wir auf deu Inhalt desselben eingehen; denn daß der Priester der katholischen Kirche das Recht hat, die Ertheilung der Sacramente zu versagen, wo uach seiner Ueberzeugung ein Abfall von der Kirche vorliegt, und daß die höhere geistliche Instanz das Recht hat, ihren Unterge¬ benen Weisungen darüber zu ertheilen, liegt außer aller Frage. Der Appella¬ tionshof konnte also die Sache uur dadurch vor seiue Jurisdiction ziehen, daß er einerseits die Motive, welche den Bischof bestimmten, andererseits die Frage, ob hier überhaupt ein Abfall von der Kirche vorlag, in den Bereich seiner Cog-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/395>, abgerufen am 28.06.2024.