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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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beiden Factoren, der Negierung und der Volksvertretung, auf der Aufrechthal-
tung dieser Gesetze besteht.

Einen noch großem Anstoß hat aber die Art und Weise gegeben, wie diese
Bestimmungen Rechtskraft erlangt haben. Sie sind durch eine Vereinbarung
zwischen der Negierung und dem Parlament zu Stande gekommen. Auch die
geistlichen Mitglieder des letztern haben all der Abstimmung Theil genommen
und dadurch ihrer Sache ein Präjudiz gestellt. Allein die Kirche behauptet, po¬
litische Veränderungen, welche ihre Rechte betreffen, könnten nicht durch eiuen
einseitigen politischen Act, souderu uur durch ein Concordat eingeführt werden.
Die Regierung vou Sardinien hat es auch versucht, sowohl vor Erlaß dieser
Gesetze, als nach demselben, mit dem heiligen Stuhl in Unterhandlung zu tre¬
ten; Siccardi selbst, im Verein mit dem Abbate Rosmini, hat im Jahr 1848
Alles aufgeboten, um den Cardinal Antonelli von der Nothwendigkeit dieser
Veränderungen zu überzeuge", es ist Alles vergebeus gewesen: die Kirche hat
das Princip, niemals ein Concordat abzuschließen, in welchem sie irgend eine
Position aufgibt, die sie bereits behauptet. Bei dem Abschluß eines Concordats
ist es also immer der Staat, welcher die Kosten bezahlt. Der Staat ist aber
auch uoch in einem andern Nachtheil. Die Kirche steht zwar so lange fest auf
dem Boden des Concordats, als sie in Gefahr ist, irgend eiuen Punkt desselben
aufgeben zu müssen; sobald sie aber sich stark genug glaubt, in die Offensive
übergehen zu können, so ist es nicht das Concordat, auf welches sie sich stützt,
sondern das ewige, unvertilgbare Recht der Kirche, welches so fest steht wie der
Fels Petri und sich eiuer längern Dauer erstellt, als alle die heidnischen Staa¬
ten, mit denen sie in die Lage kommt, Concordate abzuschließen. Der Papst ist
zwar in alleu Dingen unfehlbar; wenn er aber in einem Concordat den an¬
geblichen Rechten der Kirche etwas vergibt, so hört seiue Unfehlbarkeit auf,
und seine Nachfolger haben das volle Recht, jene Concessionen wieder zurück¬
zunehmen.

Diese Rechtsfrage ist eigentlich nicht als eine qMeslw M-is, sondern als
eine lMaeslio idoti zu betrachten. Ein Staat, welcher die Kraft hat, seine Ge¬
setze pi-oxrio ol^ors festzustellen, wie der Kunstausdruck lautet, ohne erst jenseit
der Alpen um Erlaubniß zu frage", und welcher die nachtheiligen Folgen, die
aus einem Bruch mit der Curie hervorgehe", entweder nicht empfindet, oder
aufzuheben im Stande ist, wird durch die angeblich auf das Recht sich gründen-
den Protestationen der Kirche ebensowenig beunruhigt werden, als durch die
Blitzstrahlen, welche von dem Bannfluch des Statthalters Gottes ausgehen.
Ein Staat aber, welcher den Feind in seinem eignen Innern hat, welcher den
Aberglauben der Massen fürchten muß, die mehr von ihren geistlichen Hirten als
von dem bürgerlichen Recht ihres Staats abhängig sind, wird sich sehr ernst die
Frage vorlegen müssen, uicht, ob es recht, sondern ob es zweckmäßig sei, mit


beiden Factoren, der Negierung und der Volksvertretung, auf der Aufrechthal-
tung dieser Gesetze besteht.

Einen noch großem Anstoß hat aber die Art und Weise gegeben, wie diese
Bestimmungen Rechtskraft erlangt haben. Sie sind durch eine Vereinbarung
zwischen der Negierung und dem Parlament zu Stande gekommen. Auch die
geistlichen Mitglieder des letztern haben all der Abstimmung Theil genommen
und dadurch ihrer Sache ein Präjudiz gestellt. Allein die Kirche behauptet, po¬
litische Veränderungen, welche ihre Rechte betreffen, könnten nicht durch eiuen
einseitigen politischen Act, souderu uur durch ein Concordat eingeführt werden.
Die Regierung vou Sardinien hat es auch versucht, sowohl vor Erlaß dieser
Gesetze, als nach demselben, mit dem heiligen Stuhl in Unterhandlung zu tre¬
ten; Siccardi selbst, im Verein mit dem Abbate Rosmini, hat im Jahr 1848
Alles aufgeboten, um den Cardinal Antonelli von der Nothwendigkeit dieser
Veränderungen zu überzeuge», es ist Alles vergebeus gewesen: die Kirche hat
das Princip, niemals ein Concordat abzuschließen, in welchem sie irgend eine
Position aufgibt, die sie bereits behauptet. Bei dem Abschluß eines Concordats
ist es also immer der Staat, welcher die Kosten bezahlt. Der Staat ist aber
auch uoch in einem andern Nachtheil. Die Kirche steht zwar so lange fest auf
dem Boden des Concordats, als sie in Gefahr ist, irgend eiuen Punkt desselben
aufgeben zu müssen; sobald sie aber sich stark genug glaubt, in die Offensive
übergehen zu können, so ist es nicht das Concordat, auf welches sie sich stützt,
sondern das ewige, unvertilgbare Recht der Kirche, welches so fest steht wie der
Fels Petri und sich eiuer längern Dauer erstellt, als alle die heidnischen Staa¬
ten, mit denen sie in die Lage kommt, Concordate abzuschließen. Der Papst ist
zwar in alleu Dingen unfehlbar; wenn er aber in einem Concordat den an¬
geblichen Rechten der Kirche etwas vergibt, so hört seiue Unfehlbarkeit auf,
und seine Nachfolger haben das volle Recht, jene Concessionen wieder zurück¬
zunehmen.

Diese Rechtsfrage ist eigentlich nicht als eine qMeslw M-is, sondern als
eine lMaeslio idoti zu betrachten. Ein Staat, welcher die Kraft hat, seine Ge¬
setze pi-oxrio ol^ors festzustellen, wie der Kunstausdruck lautet, ohne erst jenseit
der Alpen um Erlaubniß zu frage«, und welcher die nachtheiligen Folgen, die
aus einem Bruch mit der Curie hervorgehe», entweder nicht empfindet, oder
aufzuheben im Stande ist, wird durch die angeblich auf das Recht sich gründen-
den Protestationen der Kirche ebensowenig beunruhigt werden, als durch die
Blitzstrahlen, welche von dem Bannfluch des Statthalters Gottes ausgehen.
Ein Staat aber, welcher den Feind in seinem eignen Innern hat, welcher den
Aberglauben der Massen fürchten muß, die mehr von ihren geistlichen Hirten als
von dem bürgerlichen Recht ihres Staats abhängig sind, wird sich sehr ernst die
Frage vorlegen müssen, uicht, ob es recht, sondern ob es zweckmäßig sei, mit


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[0394] beiden Factoren, der Negierung und der Volksvertretung, auf der Aufrechthal- tung dieser Gesetze besteht. Einen noch großem Anstoß hat aber die Art und Weise gegeben, wie diese Bestimmungen Rechtskraft erlangt haben. Sie sind durch eine Vereinbarung zwischen der Negierung und dem Parlament zu Stande gekommen. Auch die geistlichen Mitglieder des letztern haben all der Abstimmung Theil genommen und dadurch ihrer Sache ein Präjudiz gestellt. Allein die Kirche behauptet, po¬ litische Veränderungen, welche ihre Rechte betreffen, könnten nicht durch eiuen einseitigen politischen Act, souderu uur durch ein Concordat eingeführt werden. Die Regierung vou Sardinien hat es auch versucht, sowohl vor Erlaß dieser Gesetze, als nach demselben, mit dem heiligen Stuhl in Unterhandlung zu tre¬ ten; Siccardi selbst, im Verein mit dem Abbate Rosmini, hat im Jahr 1848 Alles aufgeboten, um den Cardinal Antonelli von der Nothwendigkeit dieser Veränderungen zu überzeuge», es ist Alles vergebeus gewesen: die Kirche hat das Princip, niemals ein Concordat abzuschließen, in welchem sie irgend eine Position aufgibt, die sie bereits behauptet. Bei dem Abschluß eines Concordats ist es also immer der Staat, welcher die Kosten bezahlt. Der Staat ist aber auch uoch in einem andern Nachtheil. Die Kirche steht zwar so lange fest auf dem Boden des Concordats, als sie in Gefahr ist, irgend eiuen Punkt desselben aufgeben zu müssen; sobald sie aber sich stark genug glaubt, in die Offensive übergehen zu können, so ist es nicht das Concordat, auf welches sie sich stützt, sondern das ewige, unvertilgbare Recht der Kirche, welches so fest steht wie der Fels Petri und sich eiuer längern Dauer erstellt, als alle die heidnischen Staa¬ ten, mit denen sie in die Lage kommt, Concordate abzuschließen. Der Papst ist zwar in alleu Dingen unfehlbar; wenn er aber in einem Concordat den an¬ geblichen Rechten der Kirche etwas vergibt, so hört seiue Unfehlbarkeit auf, und seine Nachfolger haben das volle Recht, jene Concessionen wieder zurück¬ zunehmen. Diese Rechtsfrage ist eigentlich nicht als eine qMeslw M-is, sondern als eine lMaeslio idoti zu betrachten. Ein Staat, welcher die Kraft hat, seine Ge¬ setze pi-oxrio ol^ors festzustellen, wie der Kunstausdruck lautet, ohne erst jenseit der Alpen um Erlaubniß zu frage«, und welcher die nachtheiligen Folgen, die aus einem Bruch mit der Curie hervorgehe», entweder nicht empfindet, oder aufzuheben im Stande ist, wird durch die angeblich auf das Recht sich gründen- den Protestationen der Kirche ebensowenig beunruhigt werden, als durch die Blitzstrahlen, welche von dem Bannfluch des Statthalters Gottes ausgehen. Ein Staat aber, welcher den Feind in seinem eignen Innern hat, welcher den Aberglauben der Massen fürchten muß, die mehr von ihren geistlichen Hirten als von dem bürgerlichen Recht ihres Staats abhängig sind, wird sich sehr ernst die Frage vorlegen müssen, uicht, ob es recht, sondern ob es zweckmäßig sei, mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/394>, abgerufen am 24.07.2024.