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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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union zog. Zu Beidem hatte er kein Recht; sein Urtheil war ein politisches,
nicht ein juristisches, und das Uebergreifen der Gerichte in ein Gebiet, wo die
Entscheidungen nur ex aeciuo et, bono erfolgen können, ist fast ebenso bedenk¬
lich, als das Uebergreifen der Kirche.

Die Sache wurde noch dadurch in eine größere Verwirrung gebracht, daß
sich mit dem Erzbischof von Cagliari in der nämlichen Zeit (im September) ein
ganz ähnlicher Fall ereignete. Die Verwaltung der wohlthätigen Stiftungen in
Sardinien, die Vertheilung der Zehnten u. s. w. hatten zu einer Reihe der
schreiendsten Mißbräuche geführt, die der constitutionelle Staat nicht länger dul¬
den konnte. Es wurden Commissäre nach der Insel geschickt, die Verhältnisse
zunächst zu untersuchen, damit sie in Folge dessen regulirt werden konnten. Der
Erzbischof, welcher dem Staat sogar zu dieser Untersuchung das Recht absprach,
weil er es als einen Eingriff in die Rechte der Kirche betrachtete, benutzte seineu
geistlichen Einfluß, um die Thätigkeit der Commissäre unmöglich zu machen, und
ging so weit, alle Behörden, die sich an derselben beteiligten, zu excommuni-
ciren. Die Regierung wandte dasselbe Mittel an, wie gegen den Erzbischof von
Turin; sie verklagte ihn vor dem Appellationshof zu Cagliari, und es erfolgte
der nämliche Urtheilsspruch. Auch hier war das Urtheil nicht auf die Hand¬
lungsweise des Erzbischofs an sich gegründet, denn er hatte nur seiue geistlichen
Befugnisse ausgeübt, sondern ans die Motive derselben.

Unbedenklich würde ich mich für jeden Staat erklären, der eine Gewalt,
die seine eigne Thätigkeit unmöglich macht, mit Gewalt zurückweist, wenn er sich
vollkommen sicher fühlt, es bis zu Ende führen zu köunen. Eine Gewaltthat
aber, die wieder zurückgenommen werden muß, führt zu nichts Andern:, als die
Macht zu verstärken, die mau bekämpfen wollte.

Wir werden zu diesen Bemerkungen zum Theil durch die Lage veranlaßt,
in der wir uns selber befinden. Es ist in den östreichischen Blättern und ihren
Verbündeten viel die Rede vou der Erneuerung des römischen Kaiserthums und
von der Uebertragung desselben an das Haus Oestreich. Zwar erheben die
schwarzweißen Patrioten wieder ein sehr lautes Kriegsgeschrei, aber die Erfahrung
hat gelehrt, daß dieses Kriegsgeschrei nur darauf berechnet ist, den Gegner ein¬
zuschüchtern; wenn er sich nicht einschüchtern läßt, so fühlen sie sich stark und
laufen davon. Da bei der gegenwärtigen preußischen Negierung nichts zu be¬
rechnen ist, so kaun matt uicht wissen, ob sie nicht vielleicht die Erneuerung der
Erzkämmererwürde zu Gunsten des Hauses Brandenburg, vielleicht mit Hinzu¬
fügung des Fürstenthums NeufclMel als einen hinlänglichen Ersatz betrachtet für
die verlorene europäische Stellung des preußischen Staats. In diesem Fall
würde das neue Kaiserhaus innerhalb des preußischen Staats selbst wahrscheinlich
sehr mächtige Verbündete finden; abgesehen von den Ehrgeizigen, die sich jeder
neuen Macht zuwenden, würden ihr alle Ultramontanen dienstbar sein, und das


union zog. Zu Beidem hatte er kein Recht; sein Urtheil war ein politisches,
nicht ein juristisches, und das Uebergreifen der Gerichte in ein Gebiet, wo die
Entscheidungen nur ex aeciuo et, bono erfolgen können, ist fast ebenso bedenk¬
lich, als das Uebergreifen der Kirche.

Die Sache wurde noch dadurch in eine größere Verwirrung gebracht, daß
sich mit dem Erzbischof von Cagliari in der nämlichen Zeit (im September) ein
ganz ähnlicher Fall ereignete. Die Verwaltung der wohlthätigen Stiftungen in
Sardinien, die Vertheilung der Zehnten u. s. w. hatten zu einer Reihe der
schreiendsten Mißbräuche geführt, die der constitutionelle Staat nicht länger dul¬
den konnte. Es wurden Commissäre nach der Insel geschickt, die Verhältnisse
zunächst zu untersuchen, damit sie in Folge dessen regulirt werden konnten. Der
Erzbischof, welcher dem Staat sogar zu dieser Untersuchung das Recht absprach,
weil er es als einen Eingriff in die Rechte der Kirche betrachtete, benutzte seineu
geistlichen Einfluß, um die Thätigkeit der Commissäre unmöglich zu machen, und
ging so weit, alle Behörden, die sich an derselben beteiligten, zu excommuni-
ciren. Die Regierung wandte dasselbe Mittel an, wie gegen den Erzbischof von
Turin; sie verklagte ihn vor dem Appellationshof zu Cagliari, und es erfolgte
der nämliche Urtheilsspruch. Auch hier war das Urtheil nicht auf die Hand¬
lungsweise des Erzbischofs an sich gegründet, denn er hatte nur seiue geistlichen
Befugnisse ausgeübt, sondern ans die Motive derselben.

Unbedenklich würde ich mich für jeden Staat erklären, der eine Gewalt,
die seine eigne Thätigkeit unmöglich macht, mit Gewalt zurückweist, wenn er sich
vollkommen sicher fühlt, es bis zu Ende führen zu köunen. Eine Gewaltthat
aber, die wieder zurückgenommen werden muß, führt zu nichts Andern:, als die
Macht zu verstärken, die mau bekämpfen wollte.

Wir werden zu diesen Bemerkungen zum Theil durch die Lage veranlaßt,
in der wir uns selber befinden. Es ist in den östreichischen Blättern und ihren
Verbündeten viel die Rede vou der Erneuerung des römischen Kaiserthums und
von der Uebertragung desselben an das Haus Oestreich. Zwar erheben die
schwarzweißen Patrioten wieder ein sehr lautes Kriegsgeschrei, aber die Erfahrung
hat gelehrt, daß dieses Kriegsgeschrei nur darauf berechnet ist, den Gegner ein¬
zuschüchtern; wenn er sich nicht einschüchtern läßt, so fühlen sie sich stark und
laufen davon. Da bei der gegenwärtigen preußischen Negierung nichts zu be¬
rechnen ist, so kaun matt uicht wissen, ob sie nicht vielleicht die Erneuerung der
Erzkämmererwürde zu Gunsten des Hauses Brandenburg, vielleicht mit Hinzu¬
fügung des Fürstenthums NeufclMel als einen hinlänglichen Ersatz betrachtet für
die verlorene europäische Stellung des preußischen Staats. In diesem Fall
würde das neue Kaiserhaus innerhalb des preußischen Staats selbst wahrscheinlich
sehr mächtige Verbündete finden; abgesehen von den Ehrgeizigen, die sich jeder
neuen Macht zuwenden, würden ihr alle Ultramontanen dienstbar sein, und das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/396>, abgerufen am 28.06.2024.