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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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aber tritt uns auch ein irrationelles Moment entgegen, welches uns stört und
welches wir doch nicht wegwünschen köunueu, denn es gehört zum schönen Contrast
der Farben. So namentlich in der Consnelo.

Ich will zunächst diejenigen Schriften beseitigen, über die sich nichts weiter
sagen läßt, weil sie ebeu in die Classe der gelesenen, aber unbedeutenden Romane
gehören. Dazu rechne ich namentlich die halb historischen Romane, die sie ans
den Eindrücken ihrer italienischen Reise gesammelt hat, z. B. die Mosaikarbeiter,
der Uskoke, eine wunderliche Bearbeitung der Byron'schen Gedichte Corsar und
Lara, der Piccinino, eine Banditengeschichte, und einige kleinere von demselben
Schlage. Auch ihre Reise bilder, obgleich diese bei vielen Franzosen Anklang
gefunden haben, weil sie in dem wohlfeilen sentimentalen Jargon des Herrn von
Lamartine geschrieben sind, zeigen nichts von der Frische der Anschauung und
Beobachtung, welche sonst die Dichterin in so hohem Grade auszeichnet; es sind
Empfindungen und Reflexionen, die für uns keinen Boden und keinen Zusam¬
menhang haben.

Eine andere Classe von Schriften, die noch tiefer stehen, sind die philoso-
phirenden Phantasien, z. B. die Briefe eines Onkels, die sieben Saiten
der Lyra, das Gedicht von Myrza, einzelne kritische Streitschriften, wozu
sie nicht das geringste Talent hat, namentlich aber der sehr mit Unrecht
berühmte Roman Spiridion, bei dem ich etwas länger verweilen muß. Es
ist ein Mittelding zwischen einem Ammenmährchen, einer Hoffmann'schen Teufels¬
geschichte und einer philosophischen Abhandlung über alle Dinge und noch einiges
Andere. Spiridion, oder, wie er eigentlich heißt, Pater Hebronius, ist zuerst
Jude, dann Lutheraner, dann Katholik, weil der Protestantismus seiue Phantasie
zu wenig anregt, zuletzt im Kloster Spinozist; er hat, wie die meisten Georges
.Sand'schen Denker, alle Philosophien durchstudirt und schließlich auf ein Paar
Blätter die Gesammtsumme aller Wahrheit aufgezeichnet. Von diesen Blättern
werden uns einige mitgetheilt; sie enthalten die wunderlichsten Probleme, und.
eine höchst kindisch dilettantische Auflösung derselben durch Beihülfe des Gefühls
und der Vision. Durch rein subjective Ergießungen wird die, Natur und die
Geschichte corrigirt, die Aufklärung wird verachtet, weil sie das Herz nicht be¬
schäftigt, und der Glaube wird verachtet, weil er deu Verstand uicht befriedigt;
das restguirte Studium wird verschmäht, weil der Mensch nnr eine moralische
Bestimmung haben soll, und doch ziehen sich alle Strebsamen ins Kloster zurück,
um sich dem Genuß der Melancholie, der Träumerei und der abstracten Reflexion
zu ergeben. Dabei wird die Langweiligkeit des bloßen Idealismus, der die be¬
stimmte Erkenntniß verschmäht, ganz richtig erkannt, aber nicht durchgeführt. Eine
künstliche, mystische Exaltation, des menschlichen Wesens, die es ans seiner Ernie¬
drigung erheben soll, ist das letzte Ziel der Weisheit. Dieses Raisonnement wird
durch die abgeschmacktesten Wundergeschichten unterbrochen, Spiridion tritt als ein


aber tritt uns auch ein irrationelles Moment entgegen, welches uns stört und
welches wir doch nicht wegwünschen köunueu, denn es gehört zum schönen Contrast
der Farben. So namentlich in der Consnelo.

Ich will zunächst diejenigen Schriften beseitigen, über die sich nichts weiter
sagen läßt, weil sie ebeu in die Classe der gelesenen, aber unbedeutenden Romane
gehören. Dazu rechne ich namentlich die halb historischen Romane, die sie ans
den Eindrücken ihrer italienischen Reise gesammelt hat, z. B. die Mosaikarbeiter,
der Uskoke, eine wunderliche Bearbeitung der Byron'schen Gedichte Corsar und
Lara, der Piccinino, eine Banditengeschichte, und einige kleinere von demselben
Schlage. Auch ihre Reise bilder, obgleich diese bei vielen Franzosen Anklang
gefunden haben, weil sie in dem wohlfeilen sentimentalen Jargon des Herrn von
Lamartine geschrieben sind, zeigen nichts von der Frische der Anschauung und
Beobachtung, welche sonst die Dichterin in so hohem Grade auszeichnet; es sind
Empfindungen und Reflexionen, die für uns keinen Boden und keinen Zusam¬
menhang haben.

Eine andere Classe von Schriften, die noch tiefer stehen, sind die philoso-
phirenden Phantasien, z. B. die Briefe eines Onkels, die sieben Saiten
der Lyra, das Gedicht von Myrza, einzelne kritische Streitschriften, wozu
sie nicht das geringste Talent hat, namentlich aber der sehr mit Unrecht
berühmte Roman Spiridion, bei dem ich etwas länger verweilen muß. Es
ist ein Mittelding zwischen einem Ammenmährchen, einer Hoffmann'schen Teufels¬
geschichte und einer philosophischen Abhandlung über alle Dinge und noch einiges
Andere. Spiridion, oder, wie er eigentlich heißt, Pater Hebronius, ist zuerst
Jude, dann Lutheraner, dann Katholik, weil der Protestantismus seiue Phantasie
zu wenig anregt, zuletzt im Kloster Spinozist; er hat, wie die meisten Georges
.Sand'schen Denker, alle Philosophien durchstudirt und schließlich auf ein Paar
Blätter die Gesammtsumme aller Wahrheit aufgezeichnet. Von diesen Blättern
werden uns einige mitgetheilt; sie enthalten die wunderlichsten Probleme, und.
eine höchst kindisch dilettantische Auflösung derselben durch Beihülfe des Gefühls
und der Vision. Durch rein subjective Ergießungen wird die, Natur und die
Geschichte corrigirt, die Aufklärung wird verachtet, weil sie das Herz nicht be¬
schäftigt, und der Glaube wird verachtet, weil er deu Verstand uicht befriedigt;
das restguirte Studium wird verschmäht, weil der Mensch nnr eine moralische
Bestimmung haben soll, und doch ziehen sich alle Strebsamen ins Kloster zurück,
um sich dem Genuß der Melancholie, der Träumerei und der abstracten Reflexion
zu ergeben. Dabei wird die Langweiligkeit des bloßen Idealismus, der die be¬
stimmte Erkenntniß verschmäht, ganz richtig erkannt, aber nicht durchgeführt. Eine
künstliche, mystische Exaltation, des menschlichen Wesens, die es ans seiner Ernie¬
drigung erheben soll, ist das letzte Ziel der Weisheit. Dieses Raisonnement wird
durch die abgeschmacktesten Wundergeschichten unterbrochen, Spiridion tritt als ein


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[0382] aber tritt uns auch ein irrationelles Moment entgegen, welches uns stört und welches wir doch nicht wegwünschen köunueu, denn es gehört zum schönen Contrast der Farben. So namentlich in der Consnelo. Ich will zunächst diejenigen Schriften beseitigen, über die sich nichts weiter sagen läßt, weil sie ebeu in die Classe der gelesenen, aber unbedeutenden Romane gehören. Dazu rechne ich namentlich die halb historischen Romane, die sie ans den Eindrücken ihrer italienischen Reise gesammelt hat, z. B. die Mosaikarbeiter, der Uskoke, eine wunderliche Bearbeitung der Byron'schen Gedichte Corsar und Lara, der Piccinino, eine Banditengeschichte, und einige kleinere von demselben Schlage. Auch ihre Reise bilder, obgleich diese bei vielen Franzosen Anklang gefunden haben, weil sie in dem wohlfeilen sentimentalen Jargon des Herrn von Lamartine geschrieben sind, zeigen nichts von der Frische der Anschauung und Beobachtung, welche sonst die Dichterin in so hohem Grade auszeichnet; es sind Empfindungen und Reflexionen, die für uns keinen Boden und keinen Zusam¬ menhang haben. Eine andere Classe von Schriften, die noch tiefer stehen, sind die philoso- phirenden Phantasien, z. B. die Briefe eines Onkels, die sieben Saiten der Lyra, das Gedicht von Myrza, einzelne kritische Streitschriften, wozu sie nicht das geringste Talent hat, namentlich aber der sehr mit Unrecht berühmte Roman Spiridion, bei dem ich etwas länger verweilen muß. Es ist ein Mittelding zwischen einem Ammenmährchen, einer Hoffmann'schen Teufels¬ geschichte und einer philosophischen Abhandlung über alle Dinge und noch einiges Andere. Spiridion, oder, wie er eigentlich heißt, Pater Hebronius, ist zuerst Jude, dann Lutheraner, dann Katholik, weil der Protestantismus seiue Phantasie zu wenig anregt, zuletzt im Kloster Spinozist; er hat, wie die meisten Georges .Sand'schen Denker, alle Philosophien durchstudirt und schließlich auf ein Paar Blätter die Gesammtsumme aller Wahrheit aufgezeichnet. Von diesen Blättern werden uns einige mitgetheilt; sie enthalten die wunderlichsten Probleme, und. eine höchst kindisch dilettantische Auflösung derselben durch Beihülfe des Gefühls und der Vision. Durch rein subjective Ergießungen wird die, Natur und die Geschichte corrigirt, die Aufklärung wird verachtet, weil sie das Herz nicht be¬ schäftigt, und der Glaube wird verachtet, weil er deu Verstand uicht befriedigt; das restguirte Studium wird verschmäht, weil der Mensch nnr eine moralische Bestimmung haben soll, und doch ziehen sich alle Strebsamen ins Kloster zurück, um sich dem Genuß der Melancholie, der Träumerei und der abstracten Reflexion zu ergeben. Dabei wird die Langweiligkeit des bloßen Idealismus, der die be¬ stimmte Erkenntniß verschmäht, ganz richtig erkannt, aber nicht durchgeführt. Eine künstliche, mystische Exaltation, des menschlichen Wesens, die es ans seiner Ernie¬ drigung erheben soll, ist das letzte Ziel der Weisheit. Dieses Raisonnement wird durch die abgeschmacktesten Wundergeschichten unterbrochen, Spiridion tritt als ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/382>, abgerufen am 28.06.2024.