Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Scheinleben auf der Bühne wieder heraufbeschworen, der Einfluß der Poesie
durchdrang alle übrigen Künste und schuf in der Architektur und Plastik jene
Mischung von Antik und Modern, welche wir mit dem Namen Rococo bezeich¬
nen. Der Einfluß Frankreichs war in Sachen der Kultur herrschend durch ganz
Europa, und selbst der geniale Schlüter konnte sich demselben nicht entziehen.
Aber er stand noch in der Zeit der Begeisterung für die Neubelebung der Antike,
später war es nicht mehr diese, sondern ihr modernes Abbild, das von den
Künstlern zweiten und dritten Ranges nachgeahmt wurde. Im Geiste dieser
doppelten Verdünnung kleideten Adam und Sigisbert Michel ihren mar¬
mornen Schwerin, und die Gebrüder Ranz ihren Winterfeldt in das römische
Kostüm, aber der antike Schnitt zerknitterte wie der modische Flitterstaat des
koketten Paris in tausend kleine Fältchen ohne eine Spur des einfach großen
Wurfes der Antike. Es ist nicht der griechische Trimeter, es ist der französische
Alexandriner, mit dem wir diese Formen vergleichen. Aber schon regte sich ne¬
ben der in das Barocke ausschweifenden Tradition eine Richtung aus das Natür¬
liche, vou der die im Kostüm des siebenjährigen Krieges gehaltenen Statuen der
.Generale Keith und Seydlitz von Tassart an den beiden anderen Ecken des
Wilhelmsplatzes Zeugniß ablegen. Es war eine vereinzelte, noch schwache Op¬
position, die erst durch die Energie eines körnigen Charakters zu nachhaltiger
Lebenskraft erstarken sollte. Dieser Künstlercharakter ist Gottfried Schadow.

Schadow's Jugend fällt in die Zeit, wo Lessing's gewaltige Kritik die
Maske vom Antlitz der französirten Antike gerissen und die Kunst zur Quelle der
Wahrheit zurückgeführt, wo Winckelmann ein neues, tieferes Verständniß der
Antike erschlossen, Goethe den Naturalismus mit jugendlicher Schwärmerei in
die Poesie getragen hatte; Schadow legte den Grund zu der neueren Sculptur
Berlins, sein Verdienst ist es, daß unsere Bildhauerkunst eine eigene
Geschichte, einen selbstständigen Stil besitzt, daß Berlin jetzt in der
Sculptur das Höchste leistet, was die Gegenwart ans diesem Felde der Kunst
hervorzubringen im Staude ist. Kamen auch Andere nach ihm, welche die von
ihm begründete und dauernd in den norddeutschen Boden eingesenkte Richtung
fortschreitender Vollendung zuführten, so wird ihm die erste klare und sichere
Erkenntniß des Zieles, das die neuere Sculptur zu verfolgen hat, als ein un¬
bestreitbares Verdienst für immer bleiben. Er brach kurz und energisch mit allen
Ueberlieferungen jener Art von Idealismus, welche das Ideal in dem äußer¬
lichen Habitus, in der Verwischung und Verallgemeinerung des Wirklichen oder
gar in römischer und griechischer Maskerade suchte. Sein Streben ging dahin,
die Wirklichkeit im innersten Wesen zu erfassen und diesem wesentlich Charakte¬
ristischen in deu schönen Formen der Plastik eine zweite Wahrheit zu schaffen.
Die Statuen des Generals Zielen, des alten Dessauers auf dem Wilhelmsplatze
sind in ihrem stummen Sein die sprechenden Zeugen dieses großen Strebens.


Scheinleben auf der Bühne wieder heraufbeschworen, der Einfluß der Poesie
durchdrang alle übrigen Künste und schuf in der Architektur und Plastik jene
Mischung von Antik und Modern, welche wir mit dem Namen Rococo bezeich¬
nen. Der Einfluß Frankreichs war in Sachen der Kultur herrschend durch ganz
Europa, und selbst der geniale Schlüter konnte sich demselben nicht entziehen.
Aber er stand noch in der Zeit der Begeisterung für die Neubelebung der Antike,
später war es nicht mehr diese, sondern ihr modernes Abbild, das von den
Künstlern zweiten und dritten Ranges nachgeahmt wurde. Im Geiste dieser
doppelten Verdünnung kleideten Adam und Sigisbert Michel ihren mar¬
mornen Schwerin, und die Gebrüder Ranz ihren Winterfeldt in das römische
Kostüm, aber der antike Schnitt zerknitterte wie der modische Flitterstaat des
koketten Paris in tausend kleine Fältchen ohne eine Spur des einfach großen
Wurfes der Antike. Es ist nicht der griechische Trimeter, es ist der französische
Alexandriner, mit dem wir diese Formen vergleichen. Aber schon regte sich ne¬
ben der in das Barocke ausschweifenden Tradition eine Richtung aus das Natür¬
liche, vou der die im Kostüm des siebenjährigen Krieges gehaltenen Statuen der
.Generale Keith und Seydlitz von Tassart an den beiden anderen Ecken des
Wilhelmsplatzes Zeugniß ablegen. Es war eine vereinzelte, noch schwache Op¬
position, die erst durch die Energie eines körnigen Charakters zu nachhaltiger
Lebenskraft erstarken sollte. Dieser Künstlercharakter ist Gottfried Schadow.

Schadow's Jugend fällt in die Zeit, wo Lessing's gewaltige Kritik die
Maske vom Antlitz der französirten Antike gerissen und die Kunst zur Quelle der
Wahrheit zurückgeführt, wo Winckelmann ein neues, tieferes Verständniß der
Antike erschlossen, Goethe den Naturalismus mit jugendlicher Schwärmerei in
die Poesie getragen hatte; Schadow legte den Grund zu der neueren Sculptur
Berlins, sein Verdienst ist es, daß unsere Bildhauerkunst eine eigene
Geschichte, einen selbstständigen Stil besitzt, daß Berlin jetzt in der
Sculptur das Höchste leistet, was die Gegenwart ans diesem Felde der Kunst
hervorzubringen im Staude ist. Kamen auch Andere nach ihm, welche die von
ihm begründete und dauernd in den norddeutschen Boden eingesenkte Richtung
fortschreitender Vollendung zuführten, so wird ihm die erste klare und sichere
Erkenntniß des Zieles, das die neuere Sculptur zu verfolgen hat, als ein un¬
bestreitbares Verdienst für immer bleiben. Er brach kurz und energisch mit allen
Ueberlieferungen jener Art von Idealismus, welche das Ideal in dem äußer¬
lichen Habitus, in der Verwischung und Verallgemeinerung des Wirklichen oder
gar in römischer und griechischer Maskerade suchte. Sein Streben ging dahin,
die Wirklichkeit im innersten Wesen zu erfassen und diesem wesentlich Charakte¬
ristischen in deu schönen Formen der Plastik eine zweite Wahrheit zu schaffen.
Die Statuen des Generals Zielen, des alten Dessauers auf dem Wilhelmsplatze
sind in ihrem stummen Sein die sprechenden Zeugen dieses großen Strebens.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0374" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92112"/>
          <p xml:id="ID_1159" prev="#ID_1158"> Scheinleben auf der Bühne wieder heraufbeschworen, der Einfluß der Poesie<lb/>
durchdrang alle übrigen Künste und schuf in der Architektur und Plastik jene<lb/>
Mischung von Antik und Modern, welche wir mit dem Namen Rococo bezeich¬<lb/>
nen. Der Einfluß Frankreichs war in Sachen der Kultur herrschend durch ganz<lb/>
Europa, und selbst der geniale Schlüter konnte sich demselben nicht entziehen.<lb/>
Aber er stand noch in der Zeit der Begeisterung für die Neubelebung der Antike,<lb/>
später war es nicht mehr diese, sondern ihr modernes Abbild, das von den<lb/>
Künstlern zweiten und dritten Ranges nachgeahmt wurde. Im Geiste dieser<lb/>
doppelten Verdünnung kleideten Adam und Sigisbert Michel ihren mar¬<lb/>
mornen Schwerin, und die Gebrüder Ranz ihren Winterfeldt in das römische<lb/>
Kostüm, aber der antike Schnitt zerknitterte wie der modische Flitterstaat des<lb/>
koketten Paris in tausend kleine Fältchen ohne eine Spur des einfach großen<lb/>
Wurfes der Antike. Es ist nicht der griechische Trimeter, es ist der französische<lb/>
Alexandriner, mit dem wir diese Formen vergleichen. Aber schon regte sich ne¬<lb/>
ben der in das Barocke ausschweifenden Tradition eine Richtung aus das Natür¬<lb/>
liche, vou der die im Kostüm des siebenjährigen Krieges gehaltenen Statuen der<lb/>
.Generale Keith und Seydlitz von Tassart an den beiden anderen Ecken des<lb/>
Wilhelmsplatzes Zeugniß ablegen. Es war eine vereinzelte, noch schwache Op¬<lb/>
position, die erst durch die Energie eines körnigen Charakters zu nachhaltiger<lb/>
Lebenskraft erstarken sollte. Dieser Künstlercharakter ist Gottfried Schadow.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1160" next="#ID_1161"> Schadow's Jugend fällt in die Zeit, wo Lessing's gewaltige Kritik die<lb/>
Maske vom Antlitz der französirten Antike gerissen und die Kunst zur Quelle der<lb/>
Wahrheit zurückgeführt, wo Winckelmann ein neues, tieferes Verständniß der<lb/>
Antike erschlossen, Goethe den Naturalismus mit jugendlicher Schwärmerei in<lb/>
die Poesie getragen hatte; Schadow legte den Grund zu der neueren Sculptur<lb/>
Berlins, sein Verdienst ist es, daß unsere Bildhauerkunst eine eigene<lb/>
Geschichte, einen selbstständigen Stil besitzt, daß Berlin jetzt in der<lb/>
Sculptur das Höchste leistet, was die Gegenwart ans diesem Felde der Kunst<lb/>
hervorzubringen im Staude ist. Kamen auch Andere nach ihm, welche die von<lb/>
ihm begründete und dauernd in den norddeutschen Boden eingesenkte Richtung<lb/>
fortschreitender Vollendung zuführten, so wird ihm die erste klare und sichere<lb/>
Erkenntniß des Zieles, das die neuere Sculptur zu verfolgen hat, als ein un¬<lb/>
bestreitbares Verdienst für immer bleiben. Er brach kurz und energisch mit allen<lb/>
Ueberlieferungen jener Art von Idealismus, welche das Ideal in dem äußer¬<lb/>
lichen Habitus, in der Verwischung und Verallgemeinerung des Wirklichen oder<lb/>
gar in römischer und griechischer Maskerade suchte. Sein Streben ging dahin,<lb/>
die Wirklichkeit im innersten Wesen zu erfassen und diesem wesentlich Charakte¬<lb/>
ristischen in deu schönen Formen der Plastik eine zweite Wahrheit zu schaffen.<lb/>
Die Statuen des Generals Zielen, des alten Dessauers auf dem Wilhelmsplatze<lb/>
sind in ihrem stummen Sein die sprechenden Zeugen dieses großen Strebens.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0374] Scheinleben auf der Bühne wieder heraufbeschworen, der Einfluß der Poesie durchdrang alle übrigen Künste und schuf in der Architektur und Plastik jene Mischung von Antik und Modern, welche wir mit dem Namen Rococo bezeich¬ nen. Der Einfluß Frankreichs war in Sachen der Kultur herrschend durch ganz Europa, und selbst der geniale Schlüter konnte sich demselben nicht entziehen. Aber er stand noch in der Zeit der Begeisterung für die Neubelebung der Antike, später war es nicht mehr diese, sondern ihr modernes Abbild, das von den Künstlern zweiten und dritten Ranges nachgeahmt wurde. Im Geiste dieser doppelten Verdünnung kleideten Adam und Sigisbert Michel ihren mar¬ mornen Schwerin, und die Gebrüder Ranz ihren Winterfeldt in das römische Kostüm, aber der antike Schnitt zerknitterte wie der modische Flitterstaat des koketten Paris in tausend kleine Fältchen ohne eine Spur des einfach großen Wurfes der Antike. Es ist nicht der griechische Trimeter, es ist der französische Alexandriner, mit dem wir diese Formen vergleichen. Aber schon regte sich ne¬ ben der in das Barocke ausschweifenden Tradition eine Richtung aus das Natür¬ liche, vou der die im Kostüm des siebenjährigen Krieges gehaltenen Statuen der .Generale Keith und Seydlitz von Tassart an den beiden anderen Ecken des Wilhelmsplatzes Zeugniß ablegen. Es war eine vereinzelte, noch schwache Op¬ position, die erst durch die Energie eines körnigen Charakters zu nachhaltiger Lebenskraft erstarken sollte. Dieser Künstlercharakter ist Gottfried Schadow. Schadow's Jugend fällt in die Zeit, wo Lessing's gewaltige Kritik die Maske vom Antlitz der französirten Antike gerissen und die Kunst zur Quelle der Wahrheit zurückgeführt, wo Winckelmann ein neues, tieferes Verständniß der Antike erschlossen, Goethe den Naturalismus mit jugendlicher Schwärmerei in die Poesie getragen hatte; Schadow legte den Grund zu der neueren Sculptur Berlins, sein Verdienst ist es, daß unsere Bildhauerkunst eine eigene Geschichte, einen selbstständigen Stil besitzt, daß Berlin jetzt in der Sculptur das Höchste leistet, was die Gegenwart ans diesem Felde der Kunst hervorzubringen im Staude ist. Kamen auch Andere nach ihm, welche die von ihm begründete und dauernd in den norddeutschen Boden eingesenkte Richtung fortschreitender Vollendung zuführten, so wird ihm die erste klare und sichere Erkenntniß des Zieles, das die neuere Sculptur zu verfolgen hat, als ein un¬ bestreitbares Verdienst für immer bleiben. Er brach kurz und energisch mit allen Ueberlieferungen jener Art von Idealismus, welche das Ideal in dem äußer¬ lichen Habitus, in der Verwischung und Verallgemeinerung des Wirklichen oder gar in römischer und griechischer Maskerade suchte. Sein Streben ging dahin, die Wirklichkeit im innersten Wesen zu erfassen und diesem wesentlich Charakte¬ ristischen in deu schönen Formen der Plastik eine zweite Wahrheit zu schaffen. Die Statuen des Generals Zielen, des alten Dessauers auf dem Wilhelmsplatze sind in ihrem stummen Sein die sprechenden Zeugen dieses großen Strebens.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/374
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/374>, abgerufen am 28.06.2024.