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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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das thut derselbe Mann, welcher den hessischen Richtern die größte Gewissenlo¬
sigkeit in Auslegung der weltlichen Gesetze vorwirft! Er erklärt den Kampf gegen
Hasseupflug's Widersacher kurzweg für identisch mit "dem evangelischen Kampf
gegen die Feinde Gottes, der jedem Geistlichen geboten ist." Obwohl der Erz-
bischof von Paris die französische Geistlichkeit noch vor Kurzem dringend von
jeder politischen Parteidemonstration abgemahnt hat, ja obwohl Vilmar selbst
es bitter rügt, wenn hessische Geistliche in einer andern Richtung als der sei¬
nigen Politisiren: so dringt er doch entschieden auf politisches Parteiergreifeu in
seinem Sinn, und läßt sogar durchblicken, daß das Wort des Heilandes: "Wer
nicht für mich ist, ist wider mich" -- auch auf den Treubund angewendet wer¬
den könne! Doch müßte Vilmar's eignes Beispiel für offne Augen weit mehr
abschreckend, als ermunternd, in dieser Beziehung wirken. Wenn die Martins¬
gemeinde in Kassel sich ihn als Pfarrer verbeten hat, weil er ein leidenschaftlicher
politischer Parteimann sei, so hat er wenigstens nachträglich dieses Urtheil durch
die maßlosesten politischen Diatriben genügend gerechtfertigt. -- Außer den ge¬
nannten Elementen umfaßt der Treubund einige Gymnasiallehrer, viele Schulleh¬
rer, Handwerker und Bauern. Seiner geographischen Verbreitung nach beschränkt
sich der Bund so ziemlich auf die ehemalige Provinz Niederhessen; in Oberhes¬
sen, im Hananischen und Fuldaischen hat er bis jetzt sehr geringen, im Schaum-
bnrgischen noch gar keinen Anklang gefunden, obgleich die Obermüller'sche Zei¬
tung der Loyalität der Schauenburger Weihrauch genug gestreut hat.

Wollte nun der Treubund wirklich segensreich wirken und sich im Volke
Vertrauen erwerben, so mußte er -- was auch ein ehrenwerthes Mitglied des¬
selben in Ur. 15 des Volksfreundeö vou 1851 ausdrücklich fordert -- nicht blos
nach Unten, sondern auch nach Oben energisch und freimüthig auftreten, na-
mentlich "der Wahrheit überall, wo es Noth thut, die Ehre geben." Noth that
es aber überall, wo es sich um die statutenmäßige "Aufrechthaltung des Staats¬
grundgesetzes" handelte.

Es läßt sich leicht zeigen, daß eine derartige dringliche Anforderung schon
zu wiederholten Malen an unsern Treubund herangetreten ist, ohne daß derselbe
seines Versprechens, die Verfassung zu schützen, eingedenk gewesen wäre. Be¬
kannt ist, welchen ausgedehntem Gebrauch von §. 95 der Verf.-Art. Hassen-
Pflng durch Erlaß der Septemberverordunngen gemacht hat, so ausgedehnt, daß
man consequeuterweise die ganze Verfassung mit Hülfe dieses §. auf unbestimmte
Zeit suspendiren könnte. Diese Befürchtung hat sich bekanntlich anch insoweit
bereits als begründet erwiesen, als jede Thätigkeit des permanenten Ausschusses
untersagt und die Ständeversammlung nicht zu gesetzlicher Zeit einberufen wor¬
den ist, mithin die wichtigsten Lebensadern der Verfassung unterbunden sind.
Zwar scheint der Minister die persönliche Verantwortlichkeit für diese neuen Will-
kürlichkeiten gescheut zu haben, zumal da er in seiner Denkschrift ausdrücklich


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das thut derselbe Mann, welcher den hessischen Richtern die größte Gewissenlo¬
sigkeit in Auslegung der weltlichen Gesetze vorwirft! Er erklärt den Kampf gegen
Hasseupflug's Widersacher kurzweg für identisch mit „dem evangelischen Kampf
gegen die Feinde Gottes, der jedem Geistlichen geboten ist." Obwohl der Erz-
bischof von Paris die französische Geistlichkeit noch vor Kurzem dringend von
jeder politischen Parteidemonstration abgemahnt hat, ja obwohl Vilmar selbst
es bitter rügt, wenn hessische Geistliche in einer andern Richtung als der sei¬
nigen Politisiren: so dringt er doch entschieden auf politisches Parteiergreifeu in
seinem Sinn, und läßt sogar durchblicken, daß das Wort des Heilandes: „Wer
nicht für mich ist, ist wider mich" — auch auf den Treubund angewendet wer¬
den könne! Doch müßte Vilmar's eignes Beispiel für offne Augen weit mehr
abschreckend, als ermunternd, in dieser Beziehung wirken. Wenn die Martins¬
gemeinde in Kassel sich ihn als Pfarrer verbeten hat, weil er ein leidenschaftlicher
politischer Parteimann sei, so hat er wenigstens nachträglich dieses Urtheil durch
die maßlosesten politischen Diatriben genügend gerechtfertigt. — Außer den ge¬
nannten Elementen umfaßt der Treubund einige Gymnasiallehrer, viele Schulleh¬
rer, Handwerker und Bauern. Seiner geographischen Verbreitung nach beschränkt
sich der Bund so ziemlich auf die ehemalige Provinz Niederhessen; in Oberhes¬
sen, im Hananischen und Fuldaischen hat er bis jetzt sehr geringen, im Schaum-
bnrgischen noch gar keinen Anklang gefunden, obgleich die Obermüller'sche Zei¬
tung der Loyalität der Schauenburger Weihrauch genug gestreut hat.

Wollte nun der Treubund wirklich segensreich wirken und sich im Volke
Vertrauen erwerben, so mußte er — was auch ein ehrenwerthes Mitglied des¬
selben in Ur. 15 des Volksfreundeö vou 1851 ausdrücklich fordert — nicht blos
nach Unten, sondern auch nach Oben energisch und freimüthig auftreten, na-
mentlich „der Wahrheit überall, wo es Noth thut, die Ehre geben." Noth that
es aber überall, wo es sich um die statutenmäßige „Aufrechthaltung des Staats¬
grundgesetzes" handelte.

Es läßt sich leicht zeigen, daß eine derartige dringliche Anforderung schon
zu wiederholten Malen an unsern Treubund herangetreten ist, ohne daß derselbe
seines Versprechens, die Verfassung zu schützen, eingedenk gewesen wäre. Be¬
kannt ist, welchen ausgedehntem Gebrauch von §. 95 der Verf.-Art. Hassen-
Pflng durch Erlaß der Septemberverordunngen gemacht hat, so ausgedehnt, daß
man consequeuterweise die ganze Verfassung mit Hülfe dieses §. auf unbestimmte
Zeit suspendiren könnte. Diese Befürchtung hat sich bekanntlich anch insoweit
bereits als begründet erwiesen, als jede Thätigkeit des permanenten Ausschusses
untersagt und die Ständeversammlung nicht zu gesetzlicher Zeit einberufen wor¬
den ist, mithin die wichtigsten Lebensadern der Verfassung unterbunden sind.
Zwar scheint der Minister die persönliche Verantwortlichkeit für diese neuen Will-
kürlichkeiten gescheut zu haben, zumal da er in seiner Denkschrift ausdrücklich


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[0359] das thut derselbe Mann, welcher den hessischen Richtern die größte Gewissenlo¬ sigkeit in Auslegung der weltlichen Gesetze vorwirft! Er erklärt den Kampf gegen Hasseupflug's Widersacher kurzweg für identisch mit „dem evangelischen Kampf gegen die Feinde Gottes, der jedem Geistlichen geboten ist." Obwohl der Erz- bischof von Paris die französische Geistlichkeit noch vor Kurzem dringend von jeder politischen Parteidemonstration abgemahnt hat, ja obwohl Vilmar selbst es bitter rügt, wenn hessische Geistliche in einer andern Richtung als der sei¬ nigen Politisiren: so dringt er doch entschieden auf politisches Parteiergreifeu in seinem Sinn, und läßt sogar durchblicken, daß das Wort des Heilandes: „Wer nicht für mich ist, ist wider mich" — auch auf den Treubund angewendet wer¬ den könne! Doch müßte Vilmar's eignes Beispiel für offne Augen weit mehr abschreckend, als ermunternd, in dieser Beziehung wirken. Wenn die Martins¬ gemeinde in Kassel sich ihn als Pfarrer verbeten hat, weil er ein leidenschaftlicher politischer Parteimann sei, so hat er wenigstens nachträglich dieses Urtheil durch die maßlosesten politischen Diatriben genügend gerechtfertigt. — Außer den ge¬ nannten Elementen umfaßt der Treubund einige Gymnasiallehrer, viele Schulleh¬ rer, Handwerker und Bauern. Seiner geographischen Verbreitung nach beschränkt sich der Bund so ziemlich auf die ehemalige Provinz Niederhessen; in Oberhes¬ sen, im Hananischen und Fuldaischen hat er bis jetzt sehr geringen, im Schaum- bnrgischen noch gar keinen Anklang gefunden, obgleich die Obermüller'sche Zei¬ tung der Loyalität der Schauenburger Weihrauch genug gestreut hat. Wollte nun der Treubund wirklich segensreich wirken und sich im Volke Vertrauen erwerben, so mußte er — was auch ein ehrenwerthes Mitglied des¬ selben in Ur. 15 des Volksfreundeö vou 1851 ausdrücklich fordert — nicht blos nach Unten, sondern auch nach Oben energisch und freimüthig auftreten, na- mentlich „der Wahrheit überall, wo es Noth thut, die Ehre geben." Noth that es aber überall, wo es sich um die statutenmäßige „Aufrechthaltung des Staats¬ grundgesetzes" handelte. Es läßt sich leicht zeigen, daß eine derartige dringliche Anforderung schon zu wiederholten Malen an unsern Treubund herangetreten ist, ohne daß derselbe seines Versprechens, die Verfassung zu schützen, eingedenk gewesen wäre. Be¬ kannt ist, welchen ausgedehntem Gebrauch von §. 95 der Verf.-Art. Hassen- Pflng durch Erlaß der Septemberverordunngen gemacht hat, so ausgedehnt, daß man consequeuterweise die ganze Verfassung mit Hülfe dieses §. auf unbestimmte Zeit suspendiren könnte. Diese Befürchtung hat sich bekanntlich anch insoweit bereits als begründet erwiesen, als jede Thätigkeit des permanenten Ausschusses untersagt und die Ständeversammlung nicht zu gesetzlicher Zeit einberufen wor¬ den ist, mithin die wichtigsten Lebensadern der Verfassung unterbunden sind. Zwar scheint der Minister die persönliche Verantwortlichkeit für diese neuen Will- kürlichkeiten gescheut zu haben, zumal da er in seiner Denkschrift ausdrücklich -44*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/359>, abgerufen am 28.06.2024.