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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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in ihrem Berufe, verstehen aber von den zum Theil subtilen Rechtsfragen, um
welche es sich in diesem Kampfe handelt, wenig oder nichts. Dennoch stellen sie,
weil Vilmar eil: Aufgebot seiner prätoriauischeu Cohorte erlassen hat, ein wahres
Kirchthurmrennen an, um die Verantwortlichkeit für Hasseupflug's -- "rettende
Thaten" zu theilen. Sie sehen nicht ein, daß sie, ungeachtet Hasseupflug's frü¬
herer unleugbaren Verdienste um Kirchen und Schulen, dem Christenthum jetzt
gar keinen schlimmern Dienst leisten können, als indem sie das Himmelskind in
die Kämpfe leidenschaftlich erregter politischer Parteien herabziehen, und die Kirche
ganz unnötigerweise mit dem Odium dieser Executious- und Dragonerpolitik
belasten, ja indem sie Hassenpflng und Vilmar gewissermaßen als ihre "Heiligen"
hinstellen -- diesen Hassenpslug, welcher durch Nichterfüllung der Zusagen seines
Programms und durch echt jesuitische Gleichgültigkeit in der Wahl der Mittel zur
Erreichung seiner hochmüthig-herrschsüchtigen Zwecke deu Anspruch auf Treu und
Glauben verwirkt hat; diesen Vilmar, dessen "Volksfreund" schou seit geraumer
Zeit in jeder Nummer Zeugniß ablegt von einer "Demuth," die sich für allein
weise und fromm hält und jede selbst vou deu Genossen der eigenen Partei aus¬
gehende Aufforderung zur Selbsterkenntniß mit Schroffheit zurückweist; vou eiuer
"Liebe", die mit unerschütterlicher Consequenz jedem Gegner die erdenklich
schlechtesten Motive unterschiebt und sich Tag für Tag in so leidenschaftlichen und
gemeinen Schmähungen Luft macht, daß selbst manche der nächststehenden Ver¬
ehrer und Mitarbeiter Vilmar's -- ich rede als ein Wissender -- nicht umhin
können, diese frommen Herzensergießungen für Eingebungen "von Fleisch und
Blut" zu erklären; von einer Wahrheitsliebe," welche es wenigstens hinsichtlich
der ans die Gegner geschleuderten Beschuldigungen ungefähr ebenso genan nimmt,
als die mit souveräuster Verachtung behandelte "demokratische und halbdemokra¬
tische" Presse gethan hat.

Und doch sprechen sich unsere alten Kirchenordnungen, auf welche sich diese
Partei so gern beruft, wenn es ihren Zwecken dienlich ist, ans das entschie¬
denste gegen die Einmischung der Geistlichen in die Tagespolitik aus. Schon
die Neformationöordnnng vom 1. Aug. 1572 sagt, die Pfarrer sollten von ihren
Superintendenten dahin beaufsichtigt werden, daß sie sich nicht in poli¬
tische Gezänke und Hadersachen mengen sollen, und was der Dinge
mehr sind, die einem Prädicanten seines Berufs und Amts halber nicht
anstehen." Die Conststorialordnnng des Landgrafen Moritz vom 10. Oct. 1610
schärft den Pfarrern in noch allgemeinerer Fassung ein: sie sollen sich aller
weltlichen Geschäfte und Händel entschlagen, und einzig ihrem anbe¬
fohlenen Kirchendienst obliegen." So unzweideutig diese Erklärungen unserer
Kirchenordnungen laute", und so gern sich Vilmar auf deu Buchstaben steift,
wenn er ihn als Waffe wider seine Gegner nöthig hat: so geschickt weiß er doch
die ihm unbequemen Gesetzparagraphen durch Interpretation zu beseitigen. Und


in ihrem Berufe, verstehen aber von den zum Theil subtilen Rechtsfragen, um
welche es sich in diesem Kampfe handelt, wenig oder nichts. Dennoch stellen sie,
weil Vilmar eil: Aufgebot seiner prätoriauischeu Cohorte erlassen hat, ein wahres
Kirchthurmrennen an, um die Verantwortlichkeit für Hasseupflug's — „rettende
Thaten" zu theilen. Sie sehen nicht ein, daß sie, ungeachtet Hasseupflug's frü¬
herer unleugbaren Verdienste um Kirchen und Schulen, dem Christenthum jetzt
gar keinen schlimmern Dienst leisten können, als indem sie das Himmelskind in
die Kämpfe leidenschaftlich erregter politischer Parteien herabziehen, und die Kirche
ganz unnötigerweise mit dem Odium dieser Executious- und Dragonerpolitik
belasten, ja indem sie Hassenpflng und Vilmar gewissermaßen als ihre „Heiligen"
hinstellen — diesen Hassenpslug, welcher durch Nichterfüllung der Zusagen seines
Programms und durch echt jesuitische Gleichgültigkeit in der Wahl der Mittel zur
Erreichung seiner hochmüthig-herrschsüchtigen Zwecke deu Anspruch auf Treu und
Glauben verwirkt hat; diesen Vilmar, dessen „Volksfreund" schou seit geraumer
Zeit in jeder Nummer Zeugniß ablegt von einer „Demuth," die sich für allein
weise und fromm hält und jede selbst vou deu Genossen der eigenen Partei aus¬
gehende Aufforderung zur Selbsterkenntniß mit Schroffheit zurückweist; vou eiuer
„Liebe", die mit unerschütterlicher Consequenz jedem Gegner die erdenklich
schlechtesten Motive unterschiebt und sich Tag für Tag in so leidenschaftlichen und
gemeinen Schmähungen Luft macht, daß selbst manche der nächststehenden Ver¬
ehrer und Mitarbeiter Vilmar's — ich rede als ein Wissender — nicht umhin
können, diese frommen Herzensergießungen für Eingebungen „von Fleisch und
Blut" zu erklären; von einer Wahrheitsliebe," welche es wenigstens hinsichtlich
der ans die Gegner geschleuderten Beschuldigungen ungefähr ebenso genan nimmt,
als die mit souveräuster Verachtung behandelte „demokratische und halbdemokra¬
tische" Presse gethan hat.

Und doch sprechen sich unsere alten Kirchenordnungen, auf welche sich diese
Partei so gern beruft, wenn es ihren Zwecken dienlich ist, ans das entschie¬
denste gegen die Einmischung der Geistlichen in die Tagespolitik aus. Schon
die Neformationöordnnng vom 1. Aug. 1572 sagt, die Pfarrer sollten von ihren
Superintendenten dahin beaufsichtigt werden, daß sie sich nicht in poli¬
tische Gezänke und Hadersachen mengen sollen, und was der Dinge
mehr sind, die einem Prädicanten seines Berufs und Amts halber nicht
anstehen." Die Conststorialordnnng des Landgrafen Moritz vom 10. Oct. 1610
schärft den Pfarrern in noch allgemeinerer Fassung ein: sie sollen sich aller
weltlichen Geschäfte und Händel entschlagen, und einzig ihrem anbe¬
fohlenen Kirchendienst obliegen." So unzweideutig diese Erklärungen unserer
Kirchenordnungen laute», und so gern sich Vilmar auf deu Buchstaben steift,
wenn er ihn als Waffe wider seine Gegner nöthig hat: so geschickt weiß er doch
die ihm unbequemen Gesetzparagraphen durch Interpretation zu beseitigen. Und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/358>, abgerufen am 28.06.2024.