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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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wurde durch seiue Natur auf diesen Weg getrieben; er war nie im Stande, kräftige
und erschütternde Weisen zu schreiben, deshalb griff er instinctmäßig uach diesen
weichen Stoffen, und er hat sie in der That mit Glück bearbeitet. Es begann
der Zeit der Ständchen. Die Mode, das Liebchen, mit schönen, weichen Quar¬
tetten anzusingen und ihr in einer Massenerklärung seine Liebe zu Füßen zu
legen. Die früher so beliebten Serenaden für Flöte und Guitarre verstummten,
und die verliebten Schafen hingen ihre Guitarren an die Wand, wie früher die
Juden ihre Harfen an die Weiden; dafür dröhnten die Basse und flöteten die
Tenore, in einen Haufen geballt durch die Nachtluft.

Kreutzer's Nachfolger haben so viele Ständchen geliefert, daß durch ihren An¬
kauf eine kleine Bibliothek begründet werden könnte. Auch die Jägerlieder führte
er ein. Ju ganz naher Verwandtschaft mit Kreutzer, steht FranzOtto; er sieht
ihm so ähnlich, daß matt Beide mit einander verwechseln könnte. Größer und
selbstständiger trat Heinrich Marschner auf, der, obwohl er vorzugsweise gleiche
Texte bearbeitet, doch mit kräftigern Strichen zeichnet lind das Volksthnmliche
zu seinem Hauptziele macht, von dem sich Jene in ihrer Sentimentalität ziemlich
abgewendet hatten. Unser vortrefflicher Marschner hat eine der Haupteigenschaften
des deutschen Stamms mit den treffendstell Zügen gezeichnet: die Liebe zum
Becher und fröhlichem Gelage, und in diesem Fache sind neben vielen andern guten
Einzelheiten besonders die vier Trinklieder von Herloßsohn zu erwähnen, die
durch ihre Tugenden dem Komponisten bei allen fröhlichen Männerherzen unver¬
gänglichen Rllhm bereiten werden.

Diese drei Männer bezeichnen, wenigstens hinsichtlich des Männerqnartetts,
eine neue Periode. Die vielen Andern, welche mit ihnen lebten und schrieben,
sind, so vortrefflich einzelnes Geschaffene ist, doch für die Entwickelung des Män¬
nergesanges in neuen Richtungen von keiner überwiegenden Bedeutung. Aber die
Ausdehnung, welche der Männergesaug genommen hatte, war eine große,
-die Fortschritte im Allgemeinen die erfreulichsten. Die Liebe zum Gesänge hatte sich
in alle Gauen Deutschlands verbreitet; viele kleine Städte, ja manches Dorf
erhielten ihren Gesangverein. Musikfeste vereinten wiederum die kleinen Heeres¬
haufen zu großen Körpern. Und jetzt machte sich das ewige Gesetz geltend, daß
jede Kunst, welche die Massen ergreift, von ihrer reinen und edlen Höhe herab¬
gezogen wird, und uicht verhindern kann, das Gemeine in sich aufzunehmen,
um den großen Häuser zu gefallen. scholl der Vortheil, welcher der Kunst aus
diesen großen Mnsikfesten. erwuchs, war viel geriuger, als man erwartet hatte,
wenn man den praktischen Nutzen abrechnet, daß sie das Volksbewußtsein weckten
und den Philister der kleinen und großen Stadt aus seinem lethargischen Schirm-"
mer rissen. Den künstlerischen Vortheil beeinträchtigte der Umstand, daß die
Wahl der größeren Musikstücke für den ersten Tag der Musikfeste uur selten so
getroffen werden konnte, daß sie einen erziehenden und bildenden Einfluß aus-


wurde durch seiue Natur auf diesen Weg getrieben; er war nie im Stande, kräftige
und erschütternde Weisen zu schreiben, deshalb griff er instinctmäßig uach diesen
weichen Stoffen, und er hat sie in der That mit Glück bearbeitet. Es begann
der Zeit der Ständchen. Die Mode, das Liebchen, mit schönen, weichen Quar¬
tetten anzusingen und ihr in einer Massenerklärung seine Liebe zu Füßen zu
legen. Die früher so beliebten Serenaden für Flöte und Guitarre verstummten,
und die verliebten Schafen hingen ihre Guitarren an die Wand, wie früher die
Juden ihre Harfen an die Weiden; dafür dröhnten die Basse und flöteten die
Tenore, in einen Haufen geballt durch die Nachtluft.

Kreutzer's Nachfolger haben so viele Ständchen geliefert, daß durch ihren An¬
kauf eine kleine Bibliothek begründet werden könnte. Auch die Jägerlieder führte
er ein. Ju ganz naher Verwandtschaft mit Kreutzer, steht FranzOtto; er sieht
ihm so ähnlich, daß matt Beide mit einander verwechseln könnte. Größer und
selbstständiger trat Heinrich Marschner auf, der, obwohl er vorzugsweise gleiche
Texte bearbeitet, doch mit kräftigern Strichen zeichnet lind das Volksthnmliche
zu seinem Hauptziele macht, von dem sich Jene in ihrer Sentimentalität ziemlich
abgewendet hatten. Unser vortrefflicher Marschner hat eine der Haupteigenschaften
des deutschen Stamms mit den treffendstell Zügen gezeichnet: die Liebe zum
Becher und fröhlichem Gelage, und in diesem Fache sind neben vielen andern guten
Einzelheiten besonders die vier Trinklieder von Herloßsohn zu erwähnen, die
durch ihre Tugenden dem Komponisten bei allen fröhlichen Männerherzen unver¬
gänglichen Rllhm bereiten werden.

Diese drei Männer bezeichnen, wenigstens hinsichtlich des Männerqnartetts,
eine neue Periode. Die vielen Andern, welche mit ihnen lebten und schrieben,
sind, so vortrefflich einzelnes Geschaffene ist, doch für die Entwickelung des Män¬
nergesanges in neuen Richtungen von keiner überwiegenden Bedeutung. Aber die
Ausdehnung, welche der Männergesaug genommen hatte, war eine große,
-die Fortschritte im Allgemeinen die erfreulichsten. Die Liebe zum Gesänge hatte sich
in alle Gauen Deutschlands verbreitet; viele kleine Städte, ja manches Dorf
erhielten ihren Gesangverein. Musikfeste vereinten wiederum die kleinen Heeres¬
haufen zu großen Körpern. Und jetzt machte sich das ewige Gesetz geltend, daß
jede Kunst, welche die Massen ergreift, von ihrer reinen und edlen Höhe herab¬
gezogen wird, und uicht verhindern kann, das Gemeine in sich aufzunehmen,
um den großen Häuser zu gefallen. scholl der Vortheil, welcher der Kunst aus
diesen großen Mnsikfesten. erwuchs, war viel geriuger, als man erwartet hatte,
wenn man den praktischen Nutzen abrechnet, daß sie das Volksbewußtsein weckten
und den Philister der kleinen und großen Stadt aus seinem lethargischen Schirm-»
mer rissen. Den künstlerischen Vortheil beeinträchtigte der Umstand, daß die
Wahl der größeren Musikstücke für den ersten Tag der Musikfeste uur selten so
getroffen werden konnte, daß sie einen erziehenden und bildenden Einfluß aus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/352>, abgerufen am 28.06.2024.