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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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auch wohl ganz in dieselbe übergeht, besonders wenn ihm Instrumentalbegleitung
zu Gebote steht, welche B. Klein, die Orgel ausgenommen, fast überall verschmäht.

Durch diese Formen und die Thätigkeit der erwähnten Männer tritt jetzt der
Männergesang in den Kreis höherer Kunstformen ein; zuvor sehen wir ihn
bescheiden sich in den Grenzen des Liedes halten. Seitdem ist seine Entwickelung
eine doppelte: im Liede und in den großem Compositionen.

Ein größeres Werk mit Orchester muß an dieser Stelle angeführt werden:
das Requiem für Männerchor von Cherubini. Es ist sast ein Wunder, daß
dieser Italiener zu einem so bedeutenden Werke sich nur des wenig ausgiebigen
Mäuuergesaugs bediente; er ist wenigstens der Einzige unter seinen Landsleuten
und deu Franzosen, der diesen Entschluß faßte und ausführte. Cherubim hatte
sich allerdings vom Anfang seiner Laufbahn einer ernstern Richtung ergeben, fast
jeder Takt seiner Werke läßt auf ein sorgfältiges Studium der deutscheu Meister
schließen; ihm konnten die Fortschritte des Männergesanges in der Schweiz und in
Deutschland uicht entgangen sein und er wußte recht wohl denselben zu seinen
kräftigen Effecten zu benutzen. Der Satz ist sast durchgängig dreistimmig gehal¬
ten; an einzelnen Stellen dürftig, erhebt er sich doch wieder an andern Punkten
zu der erhabensten Größe, und die wohlverbundeue und geuau abgemessene Jn¬
strumentation giebt dem Gesänge die richtige Grundlage und Unterstützung. Dem
andern Requiem für gemischten Chor gegenüber und neben den beiden großen
Messen in und I) erscheint das eben besprochene Werk als das bei weitem
vorzüglichere; es ist weniger sinnlich katholisch, man bedarf zu seiner Erklärung
nicht der prachtvollen Altäre, der seidenen Priestergewänder, des Rauchfasses
und des silbernen Glöckleins. In dem großartigsten Style angelegt, verlangt es
zu seiner Ausführung auch die großartigsten Mittel und die sicherste Führung.
Bis jetzt ist ihm bei Mnsitfesten die Ehre einer Aufführung leider nur selten
geworden.

Uuter den Deutschell aber ist ein Manu von vielem Verdienst für den Männer--
gesang zu nennen: Conradin Kreutzer, der bescheidene Liedersänger, der
weiche, liebenswürdige Lyriker. Er besaß in seinem Kopfe einen Schatz von
leichten, freundlichen Melodien, die er in tausend lieblichen Bonqnets in den
deutschen GesaugShalleu ausgestreut hat.

Die deutsche Lyrik trieb zu seiner Zeit in eiuer neuen Richtung neue Blü¬
then, und somit war ihm reiche Gelegenheit geboten, für seine Melodieen die
passendsten Lieder auszuwählen. Der Kreis, in welchem sich bis jetzt das Lied
für deu Mäunergesaug gehalten hat, wird durch ihn erweitert; er fügt dem Trink-
liebe, welches schon dnrch Fr. Schneider einige Cultur erhalten hatte und durch
Marschner auf unerreichte Weise ausgebildet wurde, das Liebeslied hinzu,
und brachte dadurch den Männergesang auf das Gebiet der zarten Sentimentali¬
tät, von der wir ans der frühern Zeit nur wenige Proben besitzen. Kreutzer


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auch wohl ganz in dieselbe übergeht, besonders wenn ihm Instrumentalbegleitung
zu Gebote steht, welche B. Klein, die Orgel ausgenommen, fast überall verschmäht.

Durch diese Formen und die Thätigkeit der erwähnten Männer tritt jetzt der
Männergesang in den Kreis höherer Kunstformen ein; zuvor sehen wir ihn
bescheiden sich in den Grenzen des Liedes halten. Seitdem ist seine Entwickelung
eine doppelte: im Liede und in den großem Compositionen.

Ein größeres Werk mit Orchester muß an dieser Stelle angeführt werden:
das Requiem für Männerchor von Cherubini. Es ist sast ein Wunder, daß
dieser Italiener zu einem so bedeutenden Werke sich nur des wenig ausgiebigen
Mäuuergesaugs bediente; er ist wenigstens der Einzige unter seinen Landsleuten
und deu Franzosen, der diesen Entschluß faßte und ausführte. Cherubim hatte
sich allerdings vom Anfang seiner Laufbahn einer ernstern Richtung ergeben, fast
jeder Takt seiner Werke läßt auf ein sorgfältiges Studium der deutscheu Meister
schließen; ihm konnten die Fortschritte des Männergesanges in der Schweiz und in
Deutschland uicht entgangen sein und er wußte recht wohl denselben zu seinen
kräftigen Effecten zu benutzen. Der Satz ist sast durchgängig dreistimmig gehal¬
ten; an einzelnen Stellen dürftig, erhebt er sich doch wieder an andern Punkten
zu der erhabensten Größe, und die wohlverbundeue und geuau abgemessene Jn¬
strumentation giebt dem Gesänge die richtige Grundlage und Unterstützung. Dem
andern Requiem für gemischten Chor gegenüber und neben den beiden großen
Messen in und I) erscheint das eben besprochene Werk als das bei weitem
vorzüglichere; es ist weniger sinnlich katholisch, man bedarf zu seiner Erklärung
nicht der prachtvollen Altäre, der seidenen Priestergewänder, des Rauchfasses
und des silbernen Glöckleins. In dem großartigsten Style angelegt, verlangt es
zu seiner Ausführung auch die großartigsten Mittel und die sicherste Führung.
Bis jetzt ist ihm bei Mnsitfesten die Ehre einer Aufführung leider nur selten
geworden.

Uuter den Deutschell aber ist ein Manu von vielem Verdienst für den Männer--
gesang zu nennen: Conradin Kreutzer, der bescheidene Liedersänger, der
weiche, liebenswürdige Lyriker. Er besaß in seinem Kopfe einen Schatz von
leichten, freundlichen Melodien, die er in tausend lieblichen Bonqnets in den
deutschen GesaugShalleu ausgestreut hat.

Die deutsche Lyrik trieb zu seiner Zeit in eiuer neuen Richtung neue Blü¬
then, und somit war ihm reiche Gelegenheit geboten, für seine Melodieen die
passendsten Lieder auszuwählen. Der Kreis, in welchem sich bis jetzt das Lied
für deu Mäunergesaug gehalten hat, wird durch ihn erweitert; er fügt dem Trink-
liebe, welches schon dnrch Fr. Schneider einige Cultur erhalten hatte und durch
Marschner auf unerreichte Weise ausgebildet wurde, das Liebeslied hinzu,
und brachte dadurch den Männergesang auf das Gebiet der zarten Sentimentali¬
tät, von der wir ans der frühern Zeit nur wenige Proben besitzen. Kreutzer


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[0351] auch wohl ganz in dieselbe übergeht, besonders wenn ihm Instrumentalbegleitung zu Gebote steht, welche B. Klein, die Orgel ausgenommen, fast überall verschmäht. Durch diese Formen und die Thätigkeit der erwähnten Männer tritt jetzt der Männergesang in den Kreis höherer Kunstformen ein; zuvor sehen wir ihn bescheiden sich in den Grenzen des Liedes halten. Seitdem ist seine Entwickelung eine doppelte: im Liede und in den großem Compositionen. Ein größeres Werk mit Orchester muß an dieser Stelle angeführt werden: das Requiem für Männerchor von Cherubini. Es ist sast ein Wunder, daß dieser Italiener zu einem so bedeutenden Werke sich nur des wenig ausgiebigen Mäuuergesaugs bediente; er ist wenigstens der Einzige unter seinen Landsleuten und deu Franzosen, der diesen Entschluß faßte und ausführte. Cherubim hatte sich allerdings vom Anfang seiner Laufbahn einer ernstern Richtung ergeben, fast jeder Takt seiner Werke läßt auf ein sorgfältiges Studium der deutscheu Meister schließen; ihm konnten die Fortschritte des Männergesanges in der Schweiz und in Deutschland uicht entgangen sein und er wußte recht wohl denselben zu seinen kräftigen Effecten zu benutzen. Der Satz ist sast durchgängig dreistimmig gehal¬ ten; an einzelnen Stellen dürftig, erhebt er sich doch wieder an andern Punkten zu der erhabensten Größe, und die wohlverbundeue und geuau abgemessene Jn¬ strumentation giebt dem Gesänge die richtige Grundlage und Unterstützung. Dem andern Requiem für gemischten Chor gegenüber und neben den beiden großen Messen in und I) erscheint das eben besprochene Werk als das bei weitem vorzüglichere; es ist weniger sinnlich katholisch, man bedarf zu seiner Erklärung nicht der prachtvollen Altäre, der seidenen Priestergewänder, des Rauchfasses und des silbernen Glöckleins. In dem großartigsten Style angelegt, verlangt es zu seiner Ausführung auch die großartigsten Mittel und die sicherste Führung. Bis jetzt ist ihm bei Mnsitfesten die Ehre einer Aufführung leider nur selten geworden. Uuter den Deutschell aber ist ein Manu von vielem Verdienst für den Männer-- gesang zu nennen: Conradin Kreutzer, der bescheidene Liedersänger, der weiche, liebenswürdige Lyriker. Er besaß in seinem Kopfe einen Schatz von leichten, freundlichen Melodien, die er in tausend lieblichen Bonqnets in den deutschen GesaugShalleu ausgestreut hat. Die deutsche Lyrik trieb zu seiner Zeit in eiuer neuen Richtung neue Blü¬ then, und somit war ihm reiche Gelegenheit geboten, für seine Melodieen die passendsten Lieder auszuwählen. Der Kreis, in welchem sich bis jetzt das Lied für deu Mäunergesaug gehalten hat, wird durch ihn erweitert; er fügt dem Trink- liebe, welches schon dnrch Fr. Schneider einige Cultur erhalten hatte und durch Marschner auf unerreichte Weise ausgebildet wurde, das Liebeslied hinzu, und brachte dadurch den Männergesang auf das Gebiet der zarten Sentimentali¬ tät, von der wir ans der frühern Zeit nur wenige Proben besitzen. Kreutzer 43*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/351>, abgerufen am 28.06.2024.