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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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einen wirklich künstlerischen Werth, in pädagogischer Hinsicht betrachtet waren sie
wenigstens für die Zeit, in welcher sie entstanden, von größter Wichtigkeit und
haben das Beste geleistet. Vorzüglich ist in ihnen zu loben die richtige und für
den Gesang -passende Auswahl der Texte. Nägeli hielt dem Männergesang für
angemessen nur das Ernste und Erhabene; Religion, Vaterland, Freiheit,
Sittlichkeit sind der Inhalt seiner Texte. Doch war der Scherz und die männ¬
liche Heiterkeit nicht ausgeschlossen, wohl aber triviale Kindereien und alberne
Possen.

In Deutschland nahmen sich die bedeutendsten Talente dieser neuen Weise zu
singen an, Weber muß vor allen Dingen vou Neuem erwähut werden, und wäre
es nur, um eiues einzigen Liedes zu gedenken, das heute noch als Buudeslieo
aller Männergesangvereine betrachtet zu werden verdient, des herrlichen Liedes:
"Singet dem Gesang zu Ehren ze.", gewiß die dringendste und freundlichste
Aufforderung, die je ein der Musik ergebenes Herz zum heitern, fröhlichen Ge¬
sänge begeistert hat. Auch in einer größern Form versuchte sich Weber: das
Turnier, eine mit vielen pomphaften Dichterworten ausgeschmückte Darstellung
des chevaleresken Mittelalters; es treten in ihm ans kämpfende und trinkende
Ritter und Knappen, die durch lebhast rhythmistrte Chöre ihren frischen Muth
darthun; dazwischen tönen im Solo die Aufforderungen der turnierlnstigen Käm¬
pen, und zarte Troubadoure singen im sanften zweistimmigen Gesänge das Lob
der anwesenden Damen. Diese Komposition ist sast vergessen, und doch mit
Unrecht; denn der Stoff ist dem Männergesange angemessen, und die Musik an
sich ist so frisch und pikant, daß sie unser Publicum wohl besser anregen würde,
als die unsaubern Knallaffecte späterer Zeit.

An Weber schließen sich der Zeit nach zwei Männer: Bernhard Klein
in Berlin und Friedrich Schneider in Dessau, Beide Sänger des Friedens,
die den Kirchengesang zuerst mit Erfolg in den Männergesang einführten. Der
strengere unter ihnen ist B. Klein; seine harmonisirten Choräle und Motetten in
ihrer strengen und erusten Haltung werden lange, vielleicht immerwährende Gel¬
tung behalten, da in ihren Motiven nicht die Zeit erkennbar ist, weil ihre strenge
Setzart sie vor diesem Uebel bewahrt. Will man Eins an ihnen aussetzen, so ist es
die übermäßige Länge einzelner Stücke und die oft zu weit getriebene Schularbeit,
die an dem Männergesange um so empfindlicher wird, als er nur wenige Schat-
tirnngen zuläßt. F. Schneider arbeitet weniger streug, und obgleich er sich als
erfahrner und wohlgeschulter Mann zu zeigen versteht, hat er doch in einzelnen
Fällen Klein Übertrossen durch zugänglichere und leichter faßliche Motive, am
meisten aber durch die Kraft seiner Rhythmen. Noch unterscheiden sich Beide durch
deu Umstand, daß Klein sich meistentheils in der Motettenform gefallen hat, die
in der ausschließlich protestantischen Kirchenmusik seit beinahe anderthalb Jahr¬
hunderten sanctionirt ist, während Schneider sich der geistlichen Cantate nähert,


einen wirklich künstlerischen Werth, in pädagogischer Hinsicht betrachtet waren sie
wenigstens für die Zeit, in welcher sie entstanden, von größter Wichtigkeit und
haben das Beste geleistet. Vorzüglich ist in ihnen zu loben die richtige und für
den Gesang -passende Auswahl der Texte. Nägeli hielt dem Männergesang für
angemessen nur das Ernste und Erhabene; Religion, Vaterland, Freiheit,
Sittlichkeit sind der Inhalt seiner Texte. Doch war der Scherz und die männ¬
liche Heiterkeit nicht ausgeschlossen, wohl aber triviale Kindereien und alberne
Possen.

In Deutschland nahmen sich die bedeutendsten Talente dieser neuen Weise zu
singen an, Weber muß vor allen Dingen vou Neuem erwähut werden, und wäre
es nur, um eiues einzigen Liedes zu gedenken, das heute noch als Buudeslieo
aller Männergesangvereine betrachtet zu werden verdient, des herrlichen Liedes:
„Singet dem Gesang zu Ehren ze.", gewiß die dringendste und freundlichste
Aufforderung, die je ein der Musik ergebenes Herz zum heitern, fröhlichen Ge¬
sänge begeistert hat. Auch in einer größern Form versuchte sich Weber: das
Turnier, eine mit vielen pomphaften Dichterworten ausgeschmückte Darstellung
des chevaleresken Mittelalters; es treten in ihm ans kämpfende und trinkende
Ritter und Knappen, die durch lebhast rhythmistrte Chöre ihren frischen Muth
darthun; dazwischen tönen im Solo die Aufforderungen der turnierlnstigen Käm¬
pen, und zarte Troubadoure singen im sanften zweistimmigen Gesänge das Lob
der anwesenden Damen. Diese Komposition ist sast vergessen, und doch mit
Unrecht; denn der Stoff ist dem Männergesange angemessen, und die Musik an
sich ist so frisch und pikant, daß sie unser Publicum wohl besser anregen würde,
als die unsaubern Knallaffecte späterer Zeit.

An Weber schließen sich der Zeit nach zwei Männer: Bernhard Klein
in Berlin und Friedrich Schneider in Dessau, Beide Sänger des Friedens,
die den Kirchengesang zuerst mit Erfolg in den Männergesang einführten. Der
strengere unter ihnen ist B. Klein; seine harmonisirten Choräle und Motetten in
ihrer strengen und erusten Haltung werden lange, vielleicht immerwährende Gel¬
tung behalten, da in ihren Motiven nicht die Zeit erkennbar ist, weil ihre strenge
Setzart sie vor diesem Uebel bewahrt. Will man Eins an ihnen aussetzen, so ist es
die übermäßige Länge einzelner Stücke und die oft zu weit getriebene Schularbeit,
die an dem Männergesange um so empfindlicher wird, als er nur wenige Schat-
tirnngen zuläßt. F. Schneider arbeitet weniger streug, und obgleich er sich als
erfahrner und wohlgeschulter Mann zu zeigen versteht, hat er doch in einzelnen
Fällen Klein Übertrossen durch zugänglichere und leichter faßliche Motive, am
meisten aber durch die Kraft seiner Rhythmen. Noch unterscheiden sich Beide durch
deu Umstand, daß Klein sich meistentheils in der Motettenform gefallen hat, die
in der ausschließlich protestantischen Kirchenmusik seit beinahe anderthalb Jahr¬
hunderten sanctionirt ist, während Schneider sich der geistlichen Cantate nähert,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/350>, abgerufen am 28.06.2024.