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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Die Verirrungen der Lelia stammen nicht ans dem Herzen, sondern aus dem
Hirn. Es ist jener Hochmuth unserer Zeit, absurde Probleme aufzustellen und
dann Gott darüber zu verhöhnen, daß er sie nicht lösen kann; jener subjective
Idealismus, das Tr^mrov unseres Denkens und Urtheilens. --

Der nächste Roman -- der Geheimsecretär -- sollte eine Art Buße
für die Sünden der Lelia sein. G. Sand erklärt in der Vorrede, sie beabsichtige
überhaupt keinen principiellen Kampf gegen die sittliche" Einrichtungen der Ge¬
sellschaft; Lelia sei kein Typus, kein Ideal, sondern eine Ausnahme. Die
berühmtesten französischen Kritiker haben ihr darin Recht gegeben, und in der
Heldin des neuen Werks, der italienischen Fürstin Quiutilia Cavalcauti, ein sitt¬
liches Ideal gesucht. Ich kann dieser Meinung uicht beipflichten; ich finde im
Gegentheil die Quiutilia noch viel scheußlicher, als die Lelia; denn der leiden-
schaftlichen Ueberreizung kann man verzeihen, was in der Form der nüchternsten
Selbstzufriedenheit geradezu Ekel erregt. -- Quiutilia ist eine idealisirte Katha¬
rina II.; sie spricht alle Sprachen, treibt alle Künste, ist auch eine große Re-
gentin, versteht den Staatshaushalt besser, als ihre Minister, hat alle Phi¬
losophien studirt (nein echt weiblicher Gedanke.'), raucht Cigarren, liegt
gern auf dem Divan, wenn sie Conr annimmt, und hält sich ein Serail vou
hübschen und geistreichen Leuten, die sie als Spielzeug, als Puppen, Katzen oder
Bologneserhündchen mißbraucht. Bald müssen sie mit ihr Philosophie treiben, oder
Staatsgeschäfte, bald vor ihr knieen, ihr dle Hand küssen, sie umarmen und sie
wenn sie das zu Heinse'schen Gedanken treibt, so springt die Tugend geharnischt
auf; sie werdeu mit Fußtritten, Dolchstößen und der grenzenlosen Verachtung einer
engelhaften Sittenreinheit entlassen. Die ganze Dienerschaft, Minister und Pro¬
fessoren .miteingerechnet, bewegen sich in sclavischer Abhängigkeit. Dabei ist sie
über alle Vorurtheile hinaus; sie ist heimlich mit einem deutscheu Botaniker ver>
heirathet, der sich freilich nnr ein Paar Monate an ihrem Hof aufhalten darf,
im Uebrigen für sich lebt. Das soll ein sittliches Verhältniß sein! Sie kennt
noch dazu das Gefährliche ihres Thuns, und läßt trotz dieser Reflexion nicht
davon ab. Es ist wohl das wunderlichste sittliche Ideal, das bis jetzt ein Dichter
coucipirt hat.

Neben ihr steht eine interessante Ausführung von Horace Cazaleö oder Be-
nedict: der Geheimsecretair Se. Julien, ein reflectirter, hochmütiger Idealist,
der gerade durch seinen Dunkel dem Fall am nächsten steht, wenn er sich am
meisten selbst anbetet. Die Härte, mit welcher dieser gefallene Idealist abgefer¬
tigt wird, thut wohl.

Im Uebrigen ist viel Farbe in dem Stück, ein buntes, bewegtes, fast träu¬
merisches Leben; zu bunt und zu phantastisch, um einen dauernden Eindruck zu
hinterlassen.

Ernster gehalten ist das folgende Werk: Jacques. Der Held ist eutschie-


Die Verirrungen der Lelia stammen nicht ans dem Herzen, sondern aus dem
Hirn. Es ist jener Hochmuth unserer Zeit, absurde Probleme aufzustellen und
dann Gott darüber zu verhöhnen, daß er sie nicht lösen kann; jener subjective
Idealismus, das Tr^mrov unseres Denkens und Urtheilens. —

Der nächste Roman — der Geheimsecretär — sollte eine Art Buße
für die Sünden der Lelia sein. G. Sand erklärt in der Vorrede, sie beabsichtige
überhaupt keinen principiellen Kampf gegen die sittliche« Einrichtungen der Ge¬
sellschaft; Lelia sei kein Typus, kein Ideal, sondern eine Ausnahme. Die
berühmtesten französischen Kritiker haben ihr darin Recht gegeben, und in der
Heldin des neuen Werks, der italienischen Fürstin Quiutilia Cavalcauti, ein sitt¬
liches Ideal gesucht. Ich kann dieser Meinung uicht beipflichten; ich finde im
Gegentheil die Quiutilia noch viel scheußlicher, als die Lelia; denn der leiden-
schaftlichen Ueberreizung kann man verzeihen, was in der Form der nüchternsten
Selbstzufriedenheit geradezu Ekel erregt. — Quiutilia ist eine idealisirte Katha¬
rina II.; sie spricht alle Sprachen, treibt alle Künste, ist auch eine große Re-
gentin, versteht den Staatshaushalt besser, als ihre Minister, hat alle Phi¬
losophien studirt (nein echt weiblicher Gedanke.'), raucht Cigarren, liegt
gern auf dem Divan, wenn sie Conr annimmt, und hält sich ein Serail vou
hübschen und geistreichen Leuten, die sie als Spielzeug, als Puppen, Katzen oder
Bologneserhündchen mißbraucht. Bald müssen sie mit ihr Philosophie treiben, oder
Staatsgeschäfte, bald vor ihr knieen, ihr dle Hand küssen, sie umarmen und sie
wenn sie das zu Heinse'schen Gedanken treibt, so springt die Tugend geharnischt
auf; sie werdeu mit Fußtritten, Dolchstößen und der grenzenlosen Verachtung einer
engelhaften Sittenreinheit entlassen. Die ganze Dienerschaft, Minister und Pro¬
fessoren .miteingerechnet, bewegen sich in sclavischer Abhängigkeit. Dabei ist sie
über alle Vorurtheile hinaus; sie ist heimlich mit einem deutscheu Botaniker ver>
heirathet, der sich freilich nnr ein Paar Monate an ihrem Hof aufhalten darf,
im Uebrigen für sich lebt. Das soll ein sittliches Verhältniß sein! Sie kennt
noch dazu das Gefährliche ihres Thuns, und läßt trotz dieser Reflexion nicht
davon ab. Es ist wohl das wunderlichste sittliche Ideal, das bis jetzt ein Dichter
coucipirt hat.

Neben ihr steht eine interessante Ausführung von Horace Cazaleö oder Be-
nedict: der Geheimsecretair Se. Julien, ein reflectirter, hochmütiger Idealist,
der gerade durch seinen Dunkel dem Fall am nächsten steht, wenn er sich am
meisten selbst anbetet. Die Härte, mit welcher dieser gefallene Idealist abgefer¬
tigt wird, thut wohl.

Im Uebrigen ist viel Farbe in dem Stück, ein buntes, bewegtes, fast träu¬
merisches Leben; zu bunt und zu phantastisch, um einen dauernden Eindruck zu
hinterlassen.

Ernster gehalten ist das folgende Werk: Jacques. Der Held ist eutschie-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/345>, abgerufen am 28.06.2024.